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Podiumsveranstaltung

Wird man zur Wissenschaft berufen?

Eine Diskussion zum Thema «Wissenschaft als Beruf» rüttelte an gängigen Mythen über den Werdegang und die Rolle des Wissenschaftlers in der heutigen Gesellschaft. Forschung ist zum fast normalen Beruf geworden.
Stefan Stöcklin
Podiumsteilnehmer
Ist Wissenschaft zum normalen Beruf geworden? Von links: Moderatorin Gabriele Siegert, Literaturwissenschaftlerin Corina Caduff, UZH-Rektor Michael Hengartner und Volkskundler Thomas Hengartner, Direktor Collegium Helveticum. (Bild: Caspar Türler)

 

Wieso wird man Wissenschaftler, Wissenschaftlerin? Ist es das damit verbundene Prestige, die intellektuelle Erfüllung oder das Geld? Es sind Fragen, die gut zur aktuellen Manifesta 11 passen, die mit dem Slogan «What people do for money» die Stadt Zürich herausfordert.

Unter der Leitung von Gabriele Siegert, designierte Prorektorin Geistes- und Sozialwissenschaften, diskutierten UZH-Rektor Michael Hengartner, die Literaturwissenschaftlerin Corina Caduff und Thomas Hengartner, Direktor des Collegiums Helveticum, über das Thema «Wissenschaft als Beruf». Die gut besuchte Podiumsveranstaltung in der Aula wurde vom Graduate Campus zusammen mit Alumni UZH im Rahmen der Transactions – einer Paralleveranstaltung zur Manifesta 11 – organisiert.

Was unterscheidet Kunst von Wissenschaft?

Gleich bei der ersten Frage von Gabriele Siegert, die sich bei den Gesprächspartnern nach den Beweggründen für ihren beruflichen Werdegang erkundigte, offenbarten sich unterschiedliche Sichtweisen: «Ich bin chronisch neugierig», sagte Michael Hengartner, Professor für Molekularbiologie, zu seiner Studienwahl und rückte damit den Erkenntnisdrang ins Zentrum.

Corina Caduff dagegen relativierte diesen Drang und die damit verbundene Mystifizierung der Wissenschaft. «Ich spüre keine innere Berufung, meine Tätigkeiten haben sich halt so ergeben.» Nach verschiedenen Stationen unter anderem bei Radio SRF arbeitet die Literaturwissenschaftlerin zurzeit an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) – und sie sei immer noch unsicher, ob sie sich am richtigen Ort befinde. Thomas Hengartner zählte mehrere treibende Kräfte auf – innere Berufung, soziale Herkunft, aber auch Langeweile – und positionierte sich zwischen seinen Diskussionspartnern, wobei er anfügte, er wollte schon als Achtjähriger Professor werden.

Im übrigen sei Wissenschaft nicht nur ein Erfolgsmodell, sondern vielfach mit Scheitern verbunden. Dies veranlasste Michael Hengartner zur Bemerkung, man müsse in diesem Metier ein Stehaufmännchen sein. So positionierten sich die Akteure ausgehend von ihren Erfahrungen und Disziplinen unterschiedlich, was zu einer interessanten Tour d’Horizon über die Wissenschaft als Berufsfeld und zu einer anregenden Diskussion führte, die von Gabriele Siegert mit Bedacht geleitet wurde.

Podium
Engagierte Diskussion über die Unterschiede zwischen Kunst und Wissenschaft. (Bild: Caspar Türler)

Im Folgenden beantworteten die Podiumsteilnehmer auch die Frage, was (Natur)-Wissenschaft von der Kunst unterscheide, verschieden. Corina Caduff meinte dazu, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler praktisch nur in Institutionen arbeiteten, dagegen seien Künstlerinnen und Künstler meist freiberuflich tätig.

In Kunstinstitutionen wie der ZHdK hingegen fände leider auch im künstlerischen Bereich eine «beängstigende» Normierung statt, die zur Bildung eines Mainstreams führte. UZH-Rektor Michael Hengartner betonte dagegen die Gemeinsamkeiten der beiden Bereiche. Sowohl in der Kunst wie in der Wissenschaft hätten die Akteure viel Eigenverantwortung und Narrenfreiheit – die Künstler vielleicht noch etwas mehr als die Wissenschaftler. Gleichzeitig stellte er fest, dass nicht nur Forschende, sondern auch viele Künstler in Institutionen arbeiteten.

Vom Sockel gefallen

Thomas Hengartner brachte mit Verweisen auf Max Weber (1864 – 1920) immer wieder eine historische und soziologische Dimension in die Diskussion, so bei der Frage zur Rolle des Wissenschaftlers in der Gesellschaft. Vor hundert Jahren hatten Gelehrte eine höchst exklusive Stellung, mehr als damals sind die wissenschaftlichen Protagonisten heute Teil der Gesellschaft.

Eine Demokratisierung der Wissenschaften habe stattgefunden, Expertenwissen sei dank dem Internet nicht mehr das Privileg gut situierter Gelehrter. «Die Wissenschaft ist in der Gesellschaft angekommen», meinte Thomas Hengartner, eine Aussage, die allgemeine Zustimmung fand. Corina Caduff würdigte die mit dem Internet verbundene Open-Access-Bewegung und Michael Hengartner die Möglichkeiten der Citizen Science, der Bürgerwissenschaft.

Die Diskussion mündete in Exkurse über den auch mit dem Internet zusammenhängenden Umbruch in der Medienlandschaft, die Rolle des Geldes in den verschiedenen Disziplinen und die schwierige Lage des akademischen Mittelbaus. Caduff thematisierte die fehlende Sichtbarkeit der Frauen – das Amt des öffentlichen Intellektuellen werde nie an eine Frau vergeben, diagnostizierte sie. Und sie beklagte die Untervertretung der Frauen im akademischen Lehrkörper und in den Leitungsgremien. Michael Hengartner meinte diesbezüglich, dass die UZH so gut als möglich Frauen fördern würde. Aber in vielen Disziplinen habe es einfach weniger Wissenschaftlerinnen.

Siegert und Caduff
Gabriele Siegert (li) und Corina Caduff. (Bild: Caspar Türler)

Höchstmögliches Ansehen

In der anschliessenden Publikumdiskussion wurde die Genderdiskussion sowie die Frage der Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft aufgenommen. Ein Votant stellte die These auf, dass das Ansehen der Wissenschaft noch nie so gross gewesen sei wie heute, gleichzeitig werde sie als Orientierungshilfe zu allen möglichen Fragestellungen missbraucht, denn endgültige Wahrheiten könne sie nicht liefern.

Dies motivierte Thomas Hengartner zu einer Aussage, der niemand widersprach: «Die Wissenschaft als abstrakte Disziplin ist heute hoch bewertet – aber der einzelne Wissenschaftler ist auf dem Boden gelandet.» So kam das Podium doch noch zum gemeinsamen Fazit, das Gabriele Siegert wie folgt zusammenfasste: Die Tätigkeit in der Wissenschaft sei zum normalen Beruf geworden und habe nichts Mythisches mehr an sich, sie umfasse verschiedene Bereiche, zu denen es viele Zugänge gebe.

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