Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Hirnforschung

Der kleine Unterschied, der keiner ist

Unterschiedliche Verhaltensweisen von Männern und Frauen werden oft hirnphysiologisch begründet. Neuropsychologe Lutz Jäncke und sein Team konnten die hartnäckigen Vorurteile demontieren, indem sie nachwiesen, dass die anatomischen Besonderheiten von Gehirnen nicht wesentlich durch das Geschlecht bestimmt werden. 
Marita Fuchs
Vermessung des Gehirns: Kleinere Gehirne haben mehr graue Substanz als grosse. (Grafik: zVg.)

Frauen können schlecht einparken und Männer nicht zuhören. Der Unterschied zwischen den Geschlechtern wird gern zum Thema gemacht und häufig überzeichnet. Die Botschaft ist jedoch immer wieder dieselbe: Männer und Frauen sind anders, weil ihre Gehirne anders sind. Weit verbreitet ist dabei auch die Meinung, dass Frauengehirne kleiner sind als die der Männer.

Ist das wirklich so? Dieser Frage ging Lutz Jäncke, Neuropsychologe von der Universität Zürich, in seiner neuesten Studie nach. Jäncke und sein Team haben die Gehirne von 856 männlichen und weiblichen geistig fitten Probanden in einem Alter von 18 bis 95 Jahren mittels bildgebender Verfahren untersucht. Dabei wurde das Gesamthirnvolumen und das Volumen verschiedener Gehirnareale aus 3-D Daten berechnet.

Kein typisches Männer- oder Frauenhirn

Um die anatomischen Kennwerte des Gehirns zwischen Männern und Frauen zu vergleichen, haben die Forscher die gemessenen Werte zuerst auf das Gesamtgehirnvolumen normiert. «Das ist gemäss unser Auffassung notwendig», betont Jäncke, da die Gehirnvolumen stark voneinander variieren, «denn zirka 20 Prozent der Männer weisen ein Gehirnvolumen auf, das dem des durchschnittlichen Volumens von Frauen entspricht. Andersherum weisen etwa 20 Prozent der Frauen ein Hirnvolumen auf, das dem des durchschnittlichen Volumens von Männergehirnen entspricht.»

«Unsere statistischen Auswertungen haben ergeben, dass im Schnitt der Unterschied der Gehirnareale von Männern und Frauen, was ihr Volumen anbelangt, eher marginal ist und im Bereich von 0.5 bis 2 Prozent der statistisch erklärten Variabilität liegt», bilanziert Jäncke.

Es liegt also kein nennenswerter Geschlechtsunterschied vor, sofern man die anatomischen Kennwerte anhand des Gehirnvolumens statistisch korrigiert. Jäncke hat dieses Ergebnis kürzlich im Wissenschaftsjournal «Human Brain Mapping» veröffentlicht. 

Transportwege machen den Unterschied

Ausserdem sei ein grosses Gehirn nicht gleichzusetzen mit Klugheit oder Intelligenz, betont Jäncke. Grosse und kleine Gehirne unterscheiden sich zwar in ihrer Neuroanatomie, ob und wie sich diese ‚Gehirnarchitektur’ jedoch auf Verhalten oder das Denken auswirke, wissen die Forscher nicht.

Sicher ist: Je grösser das Gehirn, desto grösser sind auch die Gehirnbereiche. Allerdings sind bei einem grossen Gehirn die ‚Transportwege’ zwischen diesen Bereichen länger, es müssen bei der Informationsverarbeitung grössere Distanzen zurücklegt werden als bei kleineren Gehirnen. Die längeren Wege machen eine gute ‚Verkabelung’ der Gehirnfasern notwendig, was zu einer Zunahme der so genannten weissen Gehirnsubstanz führe, sagt Jäncke.

Anders bei kleinen Gehirnen: Hier sind die Wege kürzer, was mit einer Zunahme der grauen Substanz einhergeht. Grosse und kleine Gehirne unterscheiden sich also in ihrer Art, wie sie mit kürzeren oder längeren Wegen umgehen. Dieser Unterschied habe aber – soweit man das heute sagen kann – nichts mit dem Geschlecht zu tun, betont der Neuropsychologe.

Lernmaschine in Gang halten

Bei aller Anatomie, sollte nicht vergessen werden: Das Gehirn ist eine Lernmaschine. «Es hat eine ungeheure Fähigkeit, sich immer wieder neu zu strukturieren», sagt Jäncke. Wenn eine Frau also aus der Überzeugung heraus, nicht einparken zu können, jede schwierige Parklücke meidet, wird ihr Gehirn keine entsprechenden Nervenverbindungen aufbauen. Das ändert sich, wenn sie das Einparken übt. «Use it, or loose it», bilanziert Jäncke.