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Deutsche Dozierende an der UZH

«Gefragt ist Nachwuchsförderung, nicht Heimatschutz»

In der Öffentlichkeit wird immer wieder die relativ grosse Zahl deutscher Professoren an der UZH kritisiert, zuletzt im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren für die Nachfolge des Publizistikwissenschaftlers Heinz Bonfadelli. Unter anderem besteht die Sorge, dass spezifisch schweizerische Themen in der Forschung vernachlässigt würden. Otfried Jarren, Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften der UZH, nimmt im Interview dazu Stellung.
Interview: David Werner

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«Die UZH strebt Vielfalt in verschiedenster Hinsicht an»: Otfried Jarren, Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften.

Herr Jarren, am Institut für Publizistikwissenschaft und Medienforschung (IPMZ) wurde vor einigen Wochen das Verfahren um die Nachfolge von Heinz Bonfadelli sistiert, nachdem in einem Medienbericht verbreitet worden war, kein Schweizer habe es in die engere Auswahl geschafft. War es Ihrer Meinung nach richtig, das Verfahren zu unterbrechen?

Jarren: Berufungsverfahren sind nicht Sache der Öffentlichkeit. Die Universität sollte sich durch einen Medienbericht nicht derart unter Druck setzen lassen. Dass die Berufungskommission einen Antrag auf Sistierung stellen musste, finde ich daher bedauerlich. Ich habe aber Verständnis dafür aufbringen müssen, weil die Auswirkungen des Zeitungsartikels auf die Berufungskommission massiv waren. Sie konnte ihre Arbeit unter diesen Bedingungen nicht weiterführen. Für mich ist aber klar, dass das Verfahren wieder aufgenommen werden muss.

Was sagen Sie zum generellen Vorwurf, der einheimische wissenschaftliche Nachwuchs trete an Schweizer Universitäten zu wenig in Erscheinung und habe gegenüber deutschen Bewerbern das Nachsehen?

Jarren: Die Diskussion über die Nachwuchsförderung ist wichtig. Es ist bedenklich, wenn sich bei Berufungen unter den Kandidierenden für einen Lehrstuhl keine Schweizerinnen und Schweizer befinden. Das zeigt, dass wir in einigen Disziplinen Handlungsbedarf bei der Nachwuchsförderung haben. Diese Diskussion darf aber nicht auf dem Rücken der deutschen Professoren, die hier gute Arbeit leisten, ausgetragen werden.

Es ist unnötig und unfair, die Debatte um die Defizite in der Nachwuchsförderung anzuheizen, indem man negative Emotionen gegenüber deutschen Professoren schürt. Ich möchte betonen, dass die Universität Zürich froh ist um ihre deutschen Professorinnen und Professoren. Sie tragen viel zur Qualität in Forschung und Lehre und zum internationalen Ansehen der UZH bei.

Unter den aus dem Ausland stammenden Dozierenden sind die Deutschen mit Abstand am zahlreichsten. Wäre eine stärkere internationale Durchmischung wünschenswert?

Jarren: Die UZH strebt Vielfalt in verschiedenster Hinsicht an: Eine Vielfalt an Disziplinen und Fachkulturen, eine Vielfalt wissenschaftlicher Positionen, Methoden und Perspektiven. Und ja, wir befürworten auch eine Vielfalt betreffend der Herkunft der Dozierenden. Man muss sich aber bewusst sein: Professorinnen und Professoren einzustellen, die nicht aus dem deutschsprachigen Raum stammen, verändert die Zusammenarbeit an Instituten und auch die Lehre: Wo bisher primär Deutsch die Umgangs- und Unterrichtssprache war, wird man mit zunehmender Internationalität auf Englisch umstellen müssen.

Ist die kulturelle und sprachliche Nähe Deutschlands zur Deutschschweiz der Hauptgrund dafür, dass so viele Deutsche an die UZH berufen werden?

Jarren: Es gibt noch mehr Gründe: Zum Beispiel die Attraktivität der Schweizer Universitäten und die Tatsache, dass Deutschland eine zehnmal grössere Bevölkerung hat als die Schweiz. Ein weiterer Grund ist das deutsche Bildungssystem, das viele Nachwuchsforschende hervorbringt, die es dann «exportiert». Umgekehrt «importieren» wir viele Spitzenkräfte, die in Deutschland ausgebildet wurden, ohne die hohen Ausbildungskosten tragen zu müssen. Denken Sie zum Beispiel an die Medizin.

Die Situation ist also positiv für die UZH.

Jarren: Die UZH kann bei Berufungen aus einem grossen Fundus schöpfen und Spitzenkräfte für die Schweiz gewinnen. Die meisten der deutschen Nachwuchsforschenden, die sich hier bewerben, kommen gerne in die Schweiz und bleiben auch hier. Die Situation hat aber in den vergangenen Jahrzehnten in einigen Fächern dazu geführt, dass die Förderung des eigenen Nachwuchses vernachlässigt wurde. Dieses Problem ist erkannt. Die UZH hat begonnen, die Förderung des Nachwuchses zu stärken – etwa mit Schaffung von Assistenzprofessuren oder mit dem Forschungskredit.

Die internationale Durchmischung ist an der UZH je nach Fach und Fakultät unterschiedlich ausgeprägt. Sollten die Sozial- und Geisteswissenschaften einen Internationalisierungsgrad anstreben, wie er in den Naturwissenschaften besteht?

Jarren: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollten sich in einem anspruchsvollen und vielfältigen Rahmen entwickeln können. Monokulturen – nationale wie internationale – bringen die Wissenschaft und die Gesellschaft nicht weiter. Es stimmt, dass es Fächer mit starker regional-, sprach- oder kulturspezifischer Ausrichtung gibt, in denen die Internationalisierung langsamer als beispielsweise in der Mathematik oder der Chemie voranschreitet.

Internationalität per Dekret zu fordern halte ich für falsch, sie zu fördern ist jedoch angebracht, auch in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern. Gerade diese Fächer können durch unterschiedliche kulturelle Sichtweisen und interkulturelle Vermittlung viel zur Selbstaufklärung der modernen Gesellschaft beitragen. Gleichzeitig müssen wir jedoch auch die kultur- wie regionalspezifischen Aspekte dieser Fächer wertschätzen: Sie bewahren, pflegen und reflektieren unser kulturelles Erbe.

Im Zusammenhang mit dem Berufungsverfahren für die Nachfolge von Heinz Bonfadelli wurde die Befürchtung geäussert, die wissenschaftliche Beschäftigung mit Schweizerischen Themen komme zu kurz, wenn kein Schweizer berufen würde. Führt die Internationalisierung der Wissenschaft dazu, dass die Schweiz immer seltener zum Forschungsgegenstand gewählt wird?

Die Gefahr der Marginalisierung von Forschung, die sich nur mit länderspezifischen Themen auseinandersetzt, besteht tatsächlich. Das ist aber nicht nur ein Problem der Schweiz, es ist auch ein Problem der anderen kleinen und mittelgrossen Länder. Strukturell hat es nichts mit der Herkunft der Professorinnen und Professoren zu tun, sondern damit, dass – vor allem in den sozialwissenschaftlichen, zunehmend aber auch in geisteswissenschaftlichen Disziplinen – die internationale Reputation für Forschende immer wichtiger wird.

Wer international wahrgenommen werden will, muss eben auch international ausgerichtete Arbeiten vorlegen. Das betrifft Schweizer Forschende genauso wie deutsche oder schwedische Forschende.

Nachwuchsforschende, die vorwiegend über die Schweiz forschen, haben heute also keine grosse Chance mehr auf einen Lehrstuhl?

Jarren: In den Sozialwissenschaften zumindest wäre der Blick allein auf einen Nationalstaat eindeutig zu eng. Wer ausschliesslich zu nationalspezifischen Fragen geforscht hat, hat es schwer, eine attraktive Stelle im Ausland zu finden. Die Forschung interessiert sich für übergreifende Phänomene. Es wäre daher auch unverantwortlich, als Professor die Nachwuchsforschenden ausschliesslich aufs Thema Schweiz anzusetzen.

Was empfehlen Sie Forschenden, die sich mit schweizerischen Themen befassen wollen? Raten Sie grundsätzlich ab?

Jarren: Nein, aber ich rate klar dazu, Themen zur Schweiz forschungsstrategisch anzugehen und vergleichend zu behandeln. Vergleichende Forschung ist anspruchsvoll, aber sie ermöglicht viele spannende Erkenntnisse und Einsichten.

Wäre es in gewissen Fällen nicht von Vorteil, auch Hausberufungen zuzulassen, um die Chancen für den Schweizer Nachwuchs zu verbessern?

Jarren: Hausberufungen sind zu Recht verpönt. Junge Forschende sollten beweisen, dass Sie sich auch ausserhalb ihrer Alma Mater und unabhängig von ihrem Doktorvater durchzusetzen vermögen, bevor sie eine Ordentliche Professur erhalten.

Liegt es in der Verantwortung der Universität Zürich, dafür zu sorgen, dass ein gewisser Schweiz-Bezug in geistes- und sozialwissenschaftlichen Fächern gewahrt bleibt?

Jarren: Unbedingt. Die UZH ist eine international ausgerichtete Forschungsuniversität, die sich dem globalen wissenschaftlichen Wettbewerb stellt. Aber sie ist zugleich in ein regionales Umfeld eingebunden. Sie wird zur Hauptsache vom Kanton getragen, und sie ist entsprechend verpflichtet, Leistungen für die Region zu erbringen. Sie erbringt diese auch. Nicht nur, indem Forschende der UZH sich mit Schweizer Themen beschäftigen, sondern auch, indem sie sich direkt in Staat, Kanton und Zivilgesellschaft einbringen, beispielsweise durch die Aus- und Weiterbildung von Lehrpersonen. Man kann nicht genug betonen, wie wertvoll und wichtig dieses Engagement ist.

Wäre es wichtig, dass Schweizerinnen und Schweizer berufen werden, damit der enge Bezug zwischen Wissenschaft und Gesellschaft gewahrt bleibt?

Jarren: Das gesellschaftliche Engagement wird von vielen Professorinnen und Professoren ganz gleich welcher Herkunft erbracht. Leider wird es zu wenig beachtet und  gewürdigt.

Und wie steht es mit der Forschung über schweizerische Themen? Haben Schweizerinnen und Schweizer dazu nicht einen engeren Bezug?

Jarren: Das Anliegen, dass weiterhin auch Schweizerinnen und Schweizer über die Schweiz forschen und lehren, ist berechtigt. Aber es ist nicht so, dass nur Schweizer über Schweizer Themen forschen könnten. Wichtiger als die nationale Herkunft der Forschenden ist, dass sie einen Zugang zu schweizerischen Themen finden. Das ist – unabhängig von der Nationalität – natürlich eher der Fall, wenn die Forschenden einen Teil ihrer wissenschaftlichen Laufbahn in der Schweiz verbracht haben. Wir haben in den Geistes- und Sozialwissenschaften eine ganze Reihe deutscher Professoren, die sich erfolgreich mit Schweizer Themen auf höchstem Niveau befassen.

Welche Kriterien sollten Ihrer Meinung nach bei Berufungsgeschäften besonders berücksichtigt werden?

Jarren: Es sollte nicht allein den Ausschlag geben, wieviel jemand in international angesehenen Journals veröffentlicht hat, denn Journals ändern sich, Themen wandeln sich, und Impact ist nicht mit Wirkung oder gar mit dauerhafter Relevanz zu verwechseln. Der wissenschaftliche Leistungsausweis ist zweifellos zentral, doch die Bereitschaft, Leistungen für die hiesige Gesellschaft zu erbringen, muss ebenfalls ein Kriterium sein. Schliesslich sollte ein neuer Professor, eine neue Professorin mit Blick auf die bestehende Zusammensetzung eines Instituts beziehungsweise Seminars ausgesucht werden. Anzustreben ist eine möglichst grosse Vielfalt an Sicht- und Denkweisen innerhalb eines Instituts oder Seminars.

Was bedeutet dieser Diversitätsgedanke hinsichtlich der Beschäftigung mit Schweizer Themen?

Jarren: Fremd- und Selbstsicht sollten sich ergänzen. Erstrebenswert ist, dass sowohl Schweizer wie Nicht-Schweizer sich mit schweizerischen Themen beschäftigen.

Und wie ist dies zu gewährleisten?

Jarren: Nicht durch Heimatschutz, sondern Fortführung und Ausbau der gezielten Nachwuchsförderung. Die UZH ist da auf einem guten Weg.

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