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150 Jahre Israelitische Cultusgemeinde Zürich

Zwischen Opferrolle und Heldentum

Die Israelitische Cultusgemeinde Zürich feiert dieses Jahr ihr 150jähriges Bestehen. Moshe Zimmermann, Professor für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, hielt aus diesem Anlass an der UZH kürzlich einen Festvortrag über die Schwierigkeit, mit jüdischen Geschichtsbildern umzugehen. Eine Video-Aufzeichnung der Veranstaltung ist jetzt online.
Adrian Ritter
Sprichwörtliche Stärke: Samson-Satue in der isrealischen Hafenstadt Aschdod.

Mit blossen Händen zerriss Samson den Löwen, der ihm auf dem Weg zur Brautwerbung begegnete. Die im Alten Testament beschriebene Szene über den unbezwingbar starken Juden hinterliess wenig überraschen das Bild von «Samson dem Starken». Was aber meinte Levi Eschkol, dritter Ministerpräsident Israels in den 1960er Jahren, mit seinem Bild von «Samson dem Schwachen»?

Dieser Frage ging Moshe Zimmermann, Professor für deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, in seinem Referatam 25. Oktober an der Universität Zürich nach (siehe Video-Aufzeichnung).

Zimmermann zeigte auf, wie das widersprüchliche Bild von «Samson dem Schwachen» den Konflikt in der Selbstdarstellung der Juden auf den Punkt bringt. Holocaust und Antisemitismus hätten zu einer eigentlichen Spaltung in der kollektiven jüdischen Identität geführt: Man stelle sich einerseits als Opfer und andererseits als Held im Kampf gegen Vernichtung und Judenhass dar.

Zwischen Nation und Religion

Die unterschiedlichen Selbstbilder oder Geschichtsbilder werden je nach Situation und Absicht anders eingesetzt. «Mit ihnen lassen sich Argumente ersetzen», so Zimmermann. Jede Generation und jede Ideologie kreiere neue Bilder oder interpretiere bestehende Bilder anders. Nicht zuletzt dies habe in der jüdischen Geschichte auch zu Zwist zwischen verschiedenen Strömungen innerhalb des Judentums geführt.

Das Bild des starken Juden, auch als «Muskeljudentum» bezeichnet,  ist gemäss Zimmermann eine Reaktion auf die vermeintliche Schwäche von Juden in der Diaspora.  Das Bild versuche zu zeigen, dass die Schwäche nicht in der Natur der Juden liege, sondern eine Folge der Diaspora, also des Exils, sei. So sei es kein Zufall, dass das heroische Buch «Der jüdische Läufer» 1937 in Nazideutschland entstand – in einer Situation grossen jüdischen Leidens.

«Geschichtsbilder sind nie neutral, sondern immer Instrumente und instrumentalisiert», mahnte Zimmermann. Es gelte daher, «den Autopiloten im Kopf abzuschalten» und einen bewussten Umgang mit ihnen zu pflegen. Hollywood übrigens habe zum Geschichtsbild des Holocaust wie auch der Gründung des Staates Israel deutlich mehr beigetragen als jedes Geschichtsbuch.