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US-Präsidentschaftswahlen

«Unromantisch – aber effektiv»

Obamas Sieg ist ein Triumph modernsten Polit-Marketings, sagt Kommunikationswissenschaftler Frank Esser. Er beobachtete den amerikanischen Präsidentschafts-Wahlkampf vor Ort. Im Interview mit UZH News zieht er ein Resümee.
David Werner
«Noch bevor Romney Gelegenheit hatte, sich selbst zu definieren, hat Obama das für ihn übernommen.» Frank Esser, Kommunikationswissenschaftler an der UZH.

Herr Esser, der längste und teuerste Wahlkampf der amerikanischen Geschichte ist vorbei. Hat Sie die Klarheit des Ergebnisses überrascht?

Frank Esser: Ja, allerdings. Aus der Sicht des Obama-Lagers hat alles gepasst, Vorbereitung und die Durchführung der Kampagne waren optimal. Obamas Leute wussten genau, wo welche Wähler gewonnen werden müssen und wie man sie zum richtigen Zeitpunkt dazu bringt, auch wirklich wählen zu gehen.

Während des Wahlkampfs waren Sie nicht so begeistert von der Obama-Kampagne.

Frank Esser: Es ist wie im Fussball: Am Ende des Spiels ist man immer schlauer. Im Wahlkampf wirkte Obama auf mich wenig inspirierend, er vermittelte kaum neue Ideen. Es war eine gewisse Amtsmüdigkeit zu spüren. Doch Obamas Kampagne war immer zwei, drei Schritte weiter, als ich und viele andere Beobachter vermuteten.

Hat am Ende die bessere Kampagne gewonnen?

Frank Esser: Ja, Obamas Kampagne war eindeutig besser als die Romneys. Die Demokraten hatten die bessere Taktik, jeder auf dem Platz wusste, gegen wen er zu spielen hatte, was die Stärken und Schwächen des Gegners waren. Die Kampagne war sehr abgebrüht und professionell. Die Demokraten haben das eiskalt durchgezogen und verdient gewonnen.

Warum zeigen sich die Stärken von Obamas Kampagne erst jetzt?

Frank Esser: 2008 war alles viel offensichtlicher. Da gab es diese riesige Begeisterungswelle, alle schienen daran teilhaben zu wollen. Die Leute waren sichtbar hingerissen und hingen mit offenem Mund an den Lippen Obamas. Diesmal war es genau umgekehrt: Alles Entscheidende lief im Verborgenen. Die Kampagne war wie ein Schiff, das über die scheinbar ruhige See gleitet und dessen Motor unsichtbar unter der Wasseroberfläche arbeitet. Die Journalisten haben nicht verstanden, was in diesem Wahlkampf vor sich ging und wie gut die Obama-Kampagne vorbereitet war.

Was genau spielte sich denn da unter der Oberfläche ab?

Frank Esser: Kern der Kampagne war der systematische Einsatz von Datenbanken. In sämtlichen Schlüsselstaaten trug man riesige Mengen individualisierter Daten über potenzielle Obama-Wähler zusammen. Diese potenziellen Wähler wurden dann zielgruppengerecht mit den für sie relevanten Informationen versorgt. Man achtete darauf, dass sie nicht über professionelle Wahlhelfer, sondern über Bekannte angesprochen wurden – nutzte also gezielt persönliche Netzwerke. Das war Polit-Marketing modernster Art: unromantisch, aber sehr effektiv.

Konnte Obama dabei auch vom letzten Wahlkampf profitieren, bei dem er ja bereits ähnliche Methoden angewandt hatte?

Frank Esser: Die diesjährige Kampagne war um Lichtjahre professioneller als die Kampagne von 2008. Aber Obama konnte in den entscheidenden Staaten tatsächlich auf die Infrastruktur zurückgreifen, die er damals geschaffen hatte. Damit hatte Obama einen grossen Vorteil gegenüber Romey.  

Die Republikaner hatten einen weit grösseren Wahlkampfetat – und verloren trotzdem. Was haben sie falsch gemacht?

Frank Esser: Sie haben zu viel Geld in die Wahlen zum Senats- und Repräsentantenhaus gesteckt. Sie haben in die TV-Kampagnen von Kandidaten investiert, die so konservativ waren, dass sie eine eher abschreckende Wirkung entfalteten. Man hat also mit viel Geld Wähler und Wählerinnen ins gegnerische Lager getrieben.

Den Demokraten ist dagegen früh ein strategisches Meisterstück gelungen: Nachdem die Vorwahlen ergeben hatten, dass Romney republikanischer Kandidat werden würde, kratzte Obama sehr mutig nahezu sämtliche finanziellen Mittel, die er zur Verfügung hatte, zusammen, um Romney als teuflische Figur darzustellen. Noch bevor Romney Gelegenheit hatte, sich selbst zu definieren, hat Obama das für ihn übernommen. Das Bild, das bis heute von Romney kursiert, ist jenes, das Obama geprägt hat.

Werden die Republikaner diese Art des Wahl-Marketings kopieren müssen, um das nächste Mal erfolgreich zu sein?

Frank Esser: Ich denke schon. Statt wie Obama kalt zu kalkulieren, haben die Republikaner in diesem Wahlkampf auf das trügerische Gefühl gesetzt, die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler inhaltlich auf ihrer Seite zu haben. Die konservativen Experten waren sich sicher, dass Romney gewinnt. Jetzt müssen sie schockiert die Fakten zur Kenntnis nehmen – und stehen blamiert da.

Es konnte einem fast leidtun, wie konsterniert und sprachlos sich gestern Abend republikanische Politiker und konservative Journalisten auf dem rechten Sender Fox TV zeigten.

Handelt es sich bei Obamas Sieg nur um einen Sieg moderner Marketinginstrumente oder auch um einen Sieg der Inhalte?

Frank Esser: Es war zweifellos eine ganz wichtige politische Richtungswahl. Obamas Sieg bedeutet zum Beispiel, dass die Abtreibung, die Gesundheitsreform und die gleichgeschlechtliche Ehe nicht mehr gefährdet sind und dass es weder zu massiv steigenden Militärausgaben noch zu Steuererleichterungen für Wohlhabende kommen wird.

Wie werden die Republikaner auf die Niederlage reagieren?

Frank Esser: Das wird spannend zu beobachten sein. Sie müssen sich damit auseinandersetzen, dass das Land nicht so ist, wie sie es sich zurechtgelegt hatten. Die USA sind im Umbruch begriffen, und Obama hat die moderneren Schichten des Landes gewonnen: Die Minoritäten, die Frauen, die Jungen, die Nicht-Kirchgänger, die Nicht-Verheirateten. Die Republikaner setzten auf die Weissen, die Alten, die Unternehmer – alles schön, aber es sind Gruppen, die künftig weniger stark wachsen werden als die anderen.

Die Republikaner werden sich also auch inhaltlich neu formieren müssen?

Frank Esser: Mir scheint unumgänglich, dass sie sich öffnen, insbesondere, was soziale und gesundheitspolitische Fragen anbelangt. Mit der radikalen Anti-Staats- und Anti-Steuer-Haltung der Tea-Party-Bewegung wird man in Zukunft keine Präsidentschaftswahl mehr gewinnen können.

In San-Diego haben Sie als Medienwissenschaftler den Wahlkampf mit amerikanischen Fachkolleginnen und -kollegen zusammen verfolgt. Was war in diesem Kreis das dominierende Thema?

Frank Esser: Ich muss vielleicht vorausschicken, dass man es im universitären Milieu fast ausschliesslich mit Obama-Anhängern zu tun hat – im liberalen Staat Kalifornien sowieso. Das grosse Thema bei uns war der unglaubliche atmosphärische Unterschied zwischen dem diesjährigen Wahlkampf und jenem von 2008. Diesmal fehlte die Freude, der Spass, die Leichtigkeit.

Obama hat es also seinen Anhängern nicht so einfach gemacht, mit ihm mitzufiebern?

Frank Esser: So ist es. Viele haben ihn hart kritisiert. Aber dann haben sie sich doch zusammengerauft und ihm die Stimme gegeben.

Was sind für Sie als Medienwissenschaftler die wichtigsten Lehren, die Sie aus diesem Wahlkampf ziehen?

Frank Esser: Es sind zwei. Die erste bezieht sich auf die sozialen Medien. Viele glauben, Twitter, Facebook und Co. führen zu mehr Demokratie und zu einer grösseren Vielfalt der Standpunkte. Das Gegenteil ist der Fall, wie dieser Wahlkampf gezeigt hat: Social Media bewirken keine Verbreiterung, sondern eine Verengung des Meinungsspektrums. Sie führen dazu, dass die Menschen bei der Wahl ihrer Kontakte und Informationsquellen noch ausschliesslicher ihren eigenen Vorlieben folgen. Statt sich auch mit fremden Standpunkten und Sichtweisen auseinanderzusetzen, nehmen sie nur noch zur Kenntnis, was ohnehin der eigenen Auffassung entspricht.

Und die zweite Lehre?

Frank Esser: Die betrifft die Rolle moderner, individualisierter Marketing-Methoden. Wie gross deren Wirkung ist, hat sich erst am gestrigen Wahltag gezeigt. All das Bunte, Laute, Aufgedrehte des medial geführten Wahlkampfs ist demgegenüber blosses Beiwerk. Auf diese veränderten Vorzeichen wird man sich als Beobachter einstellen müssen.