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Kalligrafie

Geronnene Bewegungsspuren

Verborgen bleibt in der japanischen Kalligrafie nichts: Sie ist unmittelbarer Ausdruck des Herzens, geronnene Gefühlsregung. «Bilder des Herzens» nennt sich auch die Ausstellung im Völkerkundemuseum der Universität Zürich, die noch bis zum 21. Oktober dauert. Suishū T. Klopfenstein-Arii, dreissig Jahre lang Lehrbeauftragte an der UZH, zeigt darin ihre Schriftkunstwerke. Am Mittwoch, 26. September, ist sie im Rahmen eines Vortrages mit Vorführung persönlich zu erleben.
Sascha Renner

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Kalligrafie: Fast unbegrenzte Möglichkeiten des persönlichen Ausdrucks. 

Wenig ist da zu sehen. Ein paar Pinselhiebe bloss auf weissem Grund, entstanden durch das rasche Absetzen der Pinselspitze. Und doch schliesst sich das Ganze augenblicklich zu einem sinnfälligen Bild, wenn man um den Titel des zarten Werkes weiss: «Blumen blühen, blühen!!»

Ein scheinbar zufälliges Arrangement wildwachsender Blumen entsteht vor dem inneren Auge. Das Werk basiert auf den japanischen Schriftzeichen für den Bildtitel. Es behandelt sie jedoch derart frei und abstrakt, dass sie selbst für Kundige des Japanischen nur mit viel Vorstellungskraft zu entziffern sind.

Viel Vorstellungskraft lässt auch die Künstlerin in ihre Werke einfliessen. Suishū T. Klopfenstein-Arii ist klassisch ausgebildet: Sie besitzt ein Meisterdiplom in den fünf japanischen Schriftstilen Siegelschrift, Amtsschreiberschift, Standardschrift, Kurrentschrift und Konzeptschrift.

Das hindert sie jedoch nicht daran, über die Regelwerke hinaus kompromisslos ihren eigenen schöpferischen Impulsen zu folgen. Die japanische Zeichenfolge für «Energie» erscheint so als bedrohlich tosender Wirbel, diejenige für «liebevoll, zärtlich» als wolkig-flauschiger Kugelhaufen.

Ganze Kraft für die einzelnen Striche

Es sind nachvollziehbare Gefühlsregungen, die hier seismografisch exakt ihren Weg aufs Papier finden. Für die Künstlerin sind sie «Ausdruck meiner selbst, die mein Leben in Japan und in der Schweiz, hier und jetzt, irgendwie wiederspiegeln.» Die Japanerin lebt seit 1967 in der Schweiz und war von 1976 bis 2006 Lehrbeauftragte am Ostasiatischen Seminar der UZH.

Seit ihrem siebten Lebensjahr studiert sie die Schriftkunst. Sie hätte auch – wie ihre Mutter – Teezeremoniemeisterin werden können. «Aber ich habe mich für die Kalligrafie entschieden, weil ich beim Schreiben von allen Dingen unabhängig sein und meine ganze Kraft für die einzelnen Striche aufwenden kann.»

Obwohl die japanische Pinselkunst vorgegebene Schriftzeichen zum Ausgangspunkt nimmt, bietet sie dem persönlichen Ausdruck fast unbegrenzte Möglichkeiten. Das führt diese Ausstellung eindrücklich vor Augen: Die Varianz der Schriftstile ist gross, mal klassisch, mal vollkommen frei, so dass das Zeichen zum reinen Bild wird.

Suishū T. Klopfenstein-Arii gilt als Neuererin der japanischen Pinselschrift. Die Ferne zur Heimat erweist sich dabei als wesentliche Triebkraft: «Ich möchte Werke schaffen, die nicht Ausdruck eines fernöstlichen Exotismus sind, sondern direkt zu den Menschen sprechen und sie anrühren», begründet die Künstlerin ihre progressive Haltung.

Suishū T. Klopfenstein-Arii: «Ich möchte Werke schaffen, die direkt zu den Menschen sprechen und sie anrühren.» 

Minuten oder Jahre für eine Kalligrafie

Direkt spricht etwa – auch ohne Japanischkenntnisse – ein Bild mit dem Titel «Nichts, absolute Freiheit»: Der Duktus des Pinsels setzt das Thema sinnhaft um. Mit gespreizten Haaren streift er in einer raschen Bewegung bloss oberflächlich das weisse Papier. Dabei hinterlässt er eine aufgebrochene, transparente Spur, flüchtig und federleicht. Ein aufgestauter Momentausbruch. Auf Anhieb müssen Form und Inhalt im Einklang sein: «Da man Kalligrafie nicht korrigiert, schreibe ich solange und so oft dasselbe, bis das Geschriebene meiner Vorstellung entspricht.» Das könne Minuten, aber auch Jahre beanspruchen.

Tuschespuren, so zeigt sich hier, verschleiern niemals ihren Entstehungsprozess. Nicht zuletzt darin liegt die Attraktivität dieser Werke begründet. Sie lassen ihren Werdegang als geronnene Bewegungsspuren nachvollziehen und den Betrachter am Schöpfungsakt teilhaben. Das Papier hält jeden Druckunterschied unmittelbar fest, jede Richtungsänderung, sei sie eckig oder gerundet, jedes Zögern oder Ausgleiten.

Verborgen bleibt nichts. Ein «Abbild des Herzens» sei die Schreibkunst, so fasste es ein Meister schon vor Hunderten von Jahren zusammen. «Bilder des Herzens» nennt auch Suishū T. Klopfenstein-Arii ihre Zürcher Ausstellung.

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