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Grippeforschung

Die Pandemie der Panik

Wissenschaftler unterscheiden sich in der Art und Weise, wie sie ihre Resultate verkünden. Gerade in der Influenzaforschung ist Panikmache gefährlich. Der Ethnologe Carlo Caduff plädiert für einen besonnenen Umgang mit wissenschaftlichen Resultaten und wünscht sich bescheidene Wissenschaftler. 
Marita Fuchs
Virenforscher im Labor: Wissenschaftler stehen in einem Konkurrenzkampf um Anerkennung und Gelder, das wirkt sich auf ihre Kommunikationsstrategie aus.

Sie klebt immer noch da, die Anleitung, die erklärt, wie das nun genau geht, das mit dem Händewaschen. Irgendein Vorgänger im Büro hat sie angebracht, damals im Sommer 2009, als die Hysterie um die Schweinegrippe ihren Höhepunkt erreichte. Eine Boulevard-Zeitung titelte gar: «Schweinegrippe-Professor befürchtet 35‘000 Tote».

Alle Jahre wieder ängstigen neue Viren die Bevölkerung: 2003 war es SARS, 2006 die Vogelgrippe und 2009 kam die Schweinegrippe hinzu. Die Panik war gross, vor allem da die Schweinegrippe von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie eingestuft wurde. Eine fragwürdige Einschätzung wie sich später herausgestellte.

Kürzlich berichteten die Medien wieder über eine grosse Bedrohung. Holländische Forscher der Gruppe um Ron Fouchier hätten einen neuen Virus geschaffen, der höchst ansteckend und tödlich sei.

«Diese Meldung ist mit Vorsicht zu interpretieren», sagt Carlo Caduff, Ethnologe an der UZH. Man wisse bis jetzt lediglich, dass Fourchier bei seinen Versuchen mit Frettchen arbeitete und die Übertragung des neuen Virus von einem Tier auf das andere gelang. «Frettchen sind zwar ein gutes Modell für die experimentelle Forschung, aber kein gutes Modell für den Menschen», sagt Caduff.

Dennoch war in den Medien von einem Monster-Virus die Rede. Wie kommt es zu solchen Bewertungen, und welche Rolle spielen Wissenschaftler in diesen Szenarien?

Feldforschung im Labor

Carlo Caduff beobachtet und erforscht mit ethnologischen Methoden die Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, vor allem Influenzaforschern. Dieser ungewöhnlichen Art der Feldforschung liegt ein neues Verständnis der Ethnologie zugrunde. Früher befassten sich Ethnologen vor allem mit der traditionellen Kultur aussereuropäischer Gesellschaften. «Die Unterscheidung zwischen modernen und traditionellen europäischen und aussereuropäischen Gesellschaften widerspiegelt lediglich eine europäische Perspektive», sagt Caduff. «Die Ethnologie will diese Unterscheidungen nicht mehr reproduzieren, sondern in Frage stellen.»

Ethnologe Carlo Caduff: «Im unerbittlichen Wettkampf um Aufmerksamkeit und Forschungsgelder nutzen manche Forscher leichtfertig eine Rhetorik der Krise.».

Wie Virologen ticken

Während seiner Promotion beobachtete Caduff an der University of California in Berkeley die wissenschaftliche Community der Virologen. Das Thema lässt ihn auch heute nicht los, denn die Angst vor Viren ist allgegenwärtig.

Caduff hat in Berkeley Ethnologie studiert und sich insbesondere mit Medizin- und Wissenschaftsethnologie auseinandergesetzt. Als die Debatte zur Schweinegrippe aufkam, wollte er sie wissenschaftlich begleiten, Akteure ausmachen und Zusammenhänge benennen. Und er hatte Glück, Peter Palese, ein renommierter Mikrobiologe, öffnete ihm die Tür zu seinem Labor an der Mount Sinai School of Medicine in New York.

Caduff konnte so die Arbeit der Wissenschaftler vor Ort beobachten, arbeitete sich in die Virenforschung ein, sprach mit Post-Docs und besuchte wissenschaftliche Konferenzen und Kongresse, um die Kommunikationsstrategien der einzelnen Forschergruppen zu analysieren. Peter Palese hielt die damalige Berichterstattung über die Schweinegrippe für einen Hype. Die Aufregung, die seine Kollegen verbreiteten, fand er bedenklich.

Bescheiden oder grossspurig

Caduff zählt Peter Palese zu den zurückhaltenden Wissenschaftlern ‒ einem Typus, der Panik verhindern möchte. Aus der Gewissheit heraus, immer nur Teilbereiche des Ganzen zu sehen, betrachtet er seine eigenen wissenschaftliche Ergebnisse kritisch; dies im Unterschied zu Wissenschaftlern, die ihre Forschungsergebnisse mit grosser Geste präsentieren und damit das mediale Echo suchen. «Sie schüren Ängste und alarmieren die Öffentlichkeit», sagt Caduff.

«Wissenschaftler stehen in einem Konkurrenzkampf um Anerkennung und Gelder, sie müssen sich voneinander abheben, deshalb nehmen sie oft prägnante Positionen ein», meint Caduff. «Im unerbittlichen Wettkampf um Aufmerksamkeit und Forschungsgelder nutzen manche Forscher leichtfertig eine Rhetorik der Krise.»

Öffentlichkeit auf der falschen Fährte

Der Blick hinter die Kulissen der Labore hat Caduff eines gelehrt: Selbst für Experten ist es nicht einfach, eine Pandemie zu erkennen. Die heutige Definition besagt, dass eine Pandemie entsteht, wenn sich ein neuer Subtypus des Virus global ausbreitet. Nun ist es aber so, dass der Schweinegrippevirus nicht einen neuen Subtypus darstellt – er gehört vielmehr zum H1N1 Subtypus, der bereits seit 1977 jedes Jahr zirkuliert. Palese hat die Schweinegrippe-Pandemie deshalb auch als eine «halbe Pandemie» bezeichnet.

Interessant sei, so Caduff, dass in der Öffentlichkeit solche Fragen gar nicht erörtert wurden. Man diskutierte lediglich darüber, ob die Weltgesundheitsorganisation, die die Pandemie ausgerufen hatte und Impfungen empfahl, von der Pharmaindustrie bestochen worden sei oder nicht. Eine solche Diskussion greife zu kurz.

Panik in Kauf genommen

Der Pandemie-Alarm kam auch dadurch zustande, dass Forscher schon seit 15 Jahren vor einer solchen Pandemie gewarnt hatten. Die Angst sei ständig geschürt worden, so Caduff. Als plötzlich das Schweingrippevirus auftrat, gab es keinen Weg mehr zurück. Die WHO handelte schnell und zwar mit dem Argument, «better safe than sorry». Damit nahm sie jedoch Panik und die Verunsicherung der Bevölkerung in Kauf. «Durch dieses Verhalten wurden viele, zum Teil unbegründete Ängste ausgelöst», sagt Caduff. Das schade letztendlich dem Ansehen und der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft.

Zwischen Forschungsinteresse und Rechtfertigungsdruck

Forschende stecken heute in einem Dilemma, meint Caduff. Sie müssen sich ständig rechtfertigen, selbst die Grundlagenforschung obliege dem Druck, schnell gesellschaftlich nützliche Resultate vorzuweisen.

Gerade deshalb plädiert Caduff für eine neue, eine bescheidenere Sprache der Wissenschaft. «Die zentrale Aufgabe besteht zukünftig darin, nicht nur exzellente Universitäten zu schaffen, sondern auch besonnene Wissenschaftler auszubilden, die zur Absicherung ihrer Erkenntnisansprüche nicht der Mobilisierung von Ängsten bedürfen.»