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Geschichtswissenschaft

Auf den Hund gekommen

Die Geschichtswissenschaft hatte Tiere lange Zeit nicht im Blick, obwohl sie als soziale Akteure auftreten und Geschichte mitgestalten. Die UZH-Historikerin Aline Steinbrecher will das ändern. Sie ist eine Pionierin auf dem Gebiet der Wirkungsgeschichte der Tiere im deutschsprachigen Raum. 
Marita Fuchs
Heute undenkbar, früher ein vertrautes Bild: Hunde im Hörsaal. Studenten bevorzugten Jagdhunde als Begleiter.

Zürich, im Jahr 1850. Aus dem Niederdorf streben Studenten zur «Universitas Turicensis», um Vorlesungen zu hören. Viele der jungen Burschen werden von ihrem Hund begleitet, in der Regel ist es ein Jagdhund, der auch ganz selbstverständlich im Hörsaal Platz nimmt.

Derweil pudert sich die Bürgersfrau und Gattin eines Textilfabrikanten in ihrem Haus im Oberdorf die Nase; ganz in ihrer Nähe hechelt ihr Löwenhund, eine Art Pekinese. Er ist der ständige Begleiter der Dame, ihr lebendiges Accessoire, das auch bei offiziellen Anlässen auf ihrem Schoss sitzen darf. Die Kinder der Bürgerfamilie haben ihre eigenen Hunde zum Spielen.

In der Strasse treibt ein Metzger mit Hilfe seiner zwei grossen Bulldoggen, so genannten Bullenbeissern, seine Ochsen zum Markt. Hühner flattern gackernd zur Seite. Ein Bettler steht mit seinem Hund am Eingang zur Kirche. Gottesdienstbesucher nehmen wie selbstverständlich ihre Vierbeiner mit in den Kirchenraum.

Vier Mal so viele Hunde pro Einwohner wie heute

So könnte es an einem ganz gewöhnlichen Tag in Zürich zu und her gegangen sein, denn historische Quellen belegen, dass Tiere im vorindustriellen Europa omnipräsent waren. Allein in Zürich lebten vor 200 Jahren vier Mal so viele Hunde pro Einwohner wie heute. Mit dem Vordringen in den menschlichen Wohnraum wurde aus den Tieren, die vormals vorwiegend als Nutztiere gehalten wurden, Haustiere. In der Neuzeit eroberte vor allem der Hund die privaten Räume der Stadtbürger. Damals wie heute verwies die Hunderasse auf die Statuszugehörigkeit und den Lifestyle des Besitzers. So gehörte zum Studenten der edle Jagdhund, zu den Kindern der Bürgerfamilie der als klug geltende Pudel. 

Reiche Familie mit Hund: Damals wie heute verwies die Hunderasse auf die Statuszugehörigkeit und den Lifestyle des Besitzers.

Wissenschaftliches Neuland

Die Tiere prägten das Leben der Stadtbewohner, und sie waren somit auch soziale Akteure. «Auch wenn Tiere auf engstem Raum mit den menschlichen Gemeinschaften verwoben waren und sind, waren sie bislang kein zentrales Thema der modernen Geschichtswissenschaft», sagt Aline Steinbrecher von der Universität Zürich. Die Historikerin arbeitet an ihrer Habilitation und beschreitet mit ihrem Thema über Menschen und Hunde wissenschaftliches Neuland.

Zwar wird seit den 80er Jahren vor allem im angelsächsischen Raum das historische Forschungsfeld um die so genannte «Animal History» erweitert, doch erst seit 2000 wird das Thema langsam auch in der deutschsprachigen Historiographie aufgegriffen. «So wie man Frauen in der Renaissance mehrheitlich in von Männern verfassten Zeugnissen begegnet, tauchen auch Tiere als indirekte Akteure in historischen Quellen auf», sagt Steinbrecher. 

Wie aber lassen sich die Tiere als Untersuchungsgegenstand fassen? Um das Fehlen von Sprache oder direkter textlicher Spuren von tierischen Akteuren auszugleichen, hat Steinbrecher damit begonnen, andere Techniken der Textkritik zu entwickeln und historische Quellen sozusagen gegen den Strich zu lesen.

Hunde als Statussymbol und Lifestyle-Objekt

Haltungsbücher zum Beispiel beschreiben die Hunde mit ihren oft edlen Accessoires, die dem Tier eine individuelle Note verliehen. Kostbare Halsbänder wurden in Vermisstenanzeigen detailliert beschrieben. «Dies zeigt, dass Hunde nicht nur Medien der Selbstdarstellung, sondern durchaus Beziehungspartner waren», erläutert Steinbrecher. Um ihren Hund zurückzubekommen, nahmen die Besitzer Kosten und Mühe auf sich, schalteten eine Anzeige und setzten Finderlohn aus.

Historikerin Aline Steinbrecher: «Erst seit 2000 wird die Animal History auch in der deutschsprachigen Historiographie zum Thema.»

Konfliktreiches Miteinander von Tier und Mensch

Das enge Verwobensein von Mensch und Tier im urbanen Raum führte auch zu Konflikten. In Zürich kam 1863 auf jeden 29. Einwohner ein Hund. Diese hohe Dichte hatte viele Nachteile: Die Gassen waren vom Kot verunreinigt, Bisswunden und Angriffe verunsicherten die Bürger. So diskutieren die Ratsherren, wie die Stadthunde reduziert werden könnten. 1812 führte man die Hundesteuer ein. Eine Massnahme, um überzählige Hunde zu dezimieren. Hoffte man doch, dass die Besitzer nicht für alle Hunde eine Hundemarke besorgten. Doch belegen historische Quellen, dass gleichzeitig Zweifel an dieser Aktion aufkam. Zu gross sei die Liebe der Besitzer zu ihren Tieren, es bedürfe wohl eines starken Druckes, um sie zur Abschaffung zu bewegen.

All diese Beispiele zeigen, dass die Interaktionen von Menschen und Hunden historisch bedeutsam sind. «Hunde treten als soziale Akteure, als Beziehungspartner oder als störende soziale Subjekte auf», sagt Steinbrecher. Das Miteinander sei vielschichtig, nicht nur aufgrund der Unterschiedlichkeit der Menschen, sondern auch wegen der Individualität der einzelnen Hunde.