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Podiumsdiskussion

Zwischen Entgermanisierung und Heimatschutz

Reformieren oder weitermachen? Wie renovierungsbedürftig sind die Schweizer Universitäten? Darüber diskutierten die Teilnehmer eines öffentlichen Podiums an der ETH Zürich – mit einstimmigem Ergebnis. Bekanntlich stecken die Unterschiede aber im Detail.
Alice Werner

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«Ja, wir brauchen eine Universitätsreform», stellte Dieter Imboden, Forschungsrats-Präsident des Schweizerischen Nationalfonds, zu Beginn des Podiums fest. «Aber über die Mittel und Wege ist noch zu diskutieren.» Eingeladen war Imboden – zusammen mit fünf weiteren Vertretern aus Politik und Hochschullandschaft – vom Tages-Anzeiger und dem Zentrum «Geschichte des Wissens». Die zentrale Frage des Abends lautete: Wie steht es um die Forschungs- und Förderstrukturen an Schweizer Universitäten? – Ein Thema, das in letzter Zeit immer wieder öffentlich debattiert wurde.

Zur Einstimmung zitierte Moderator Michael Hagner, Professor für Wissenschaftsforschung an der ETH Zürich, den Soziologen Max Weber aus einem Vortrag von 1918: «Es ist gewagt für junge Gelehrte sich den Bedingungen der akademischen Laufbahn auszusetzen.» Denn ob man später eine angemessene Anstellung finde, sei von vielen zufälligen Prozessen abhängig. Diese Aussage treffe heute noch zu, meinte Hagner. Die Situation habe sich für angehende Wissenschaftler nicht grundlegend verbessert. «Wo also drückt der akademische Schuh?»

Michael Hagner: «Wo also drückt der akademische Schuh?»

Flache Hierarchien, unbefristete Stellen

Eine erste Antwort lieferte der Neuzeithistoriker Caspar Hirschi, der als Ambizione-Stipendiat des Schweizerischen Nationalfonds an der ETH Zürich arbeitet: Schweizer Hochschulpolitiker hätten eine Internationalisierung der Forschung bislang auf rein personeller Ebene gefördert – dabei würde es in erster Linie um eine Internationalisierung der helvetischen Universitätsstrukturen gehen.

Durch eine Anpassung an das angelsächsische Modell mit flachen Hierarchien und flexiblen Departementsstrukturen könnten einheimische Talente an Schweizer Hochschulen gehalten und akademischer Nachwuchs aus der eigenen Studentenschaft gewonnen werden, so Hirschis Überzeugung. Vor allem eine Abschaffung der Assistenz- und Teilzeitstellen sowie die systematische Einführung von Graduiertenkollegs für Doktoranden und Assistenzprofessuren für die besten Postdocs würden zu grösserer wissenschaftlicher Selbstständigkeit sowie Planbarkeit und Attraktivität der akademischen Karriere führen.

Kathy Riklin und Caspar Hirschi: Anpassung an das angelsächsische Universitätssystem erwünscht.

Derselben Ansicht war Kathy Riklin, Nationalrätin und Universitätsrätin der Universität Zürich: Der Schweizer Wissenschaftsnachwuchs sei aus verständlichen Gründen nicht gewillt, das hohe Risiko eines späten Scheiterns einzugehen. «Daran wird sich erst etwas ändern, wenn wir die Universitätslaufbahnen strukturieren, durchlässiger gestalten und den akademischen Mittelbau aufwerten, etwa durch Tenure-Track-Stellen.»

Doktor verliert an Stellenwert

Riklin konstatierte aber auch einen Wertverlust des Doktortitels in der Schweizer Gesellschaft: Unter Politikern sei es mittlerweile fast peinlich, den akademischen Grad zu verwenden. Den spürbaren Verlust von Ansehen und Prestige der Wissenschaft in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft führte Caspar Hirschi auf die «paradoxe Logik unseres Universitätssystems» zurück: Wer im Reich der wissenschaftlichen Rationalität bleiben wolle, müsse ein Höchstmass an «strategischer Irrationalität» mitbringen. Dies führe zu einem von der Auslese der Fähigsten losgelösten Selektionseffekt.

Hinzu komme noch das Problem der informellen Selektion: Während an angelsächsischen Universitäten Doktoranden von einem unabhängigen Gremium ausgewählt werden, sei ein Professor in der Schweiz befugt, sich seine Doktoranden selbst aussuchen – was nicht immer der Förderung der Besten, aber der Ausbildung von Seilschaften dienen könne.

Provinzkomplex überwinden

Diesen Diskussionspunkt griff Joseph Jurt auf, ehemaliger Vizepräsident des Schweizerischen Wissenschafts- und Technologierates: Das Verhältnis von Doktorvater/Doktormutter zum Doktorierenden sei asymmetrisch und gehöre abgeschafft. Einführen müsse man dagegen eine neutrale Kommission, die die Doktoratsförderung evaluiere. Jurt kritisierte weiter den «Provinzkomplex» der Schweizer Universitäten: Es gäbe eine starke Tendenz zu Hausberufungen. Könnte man das wissenschaftliche Personal nicht aus den eigenen Reihen rekrutieren, hole man sich einen ausländischen Forscher – ohne sich vorher an anderen Hochschulen im Land 'umgesehen' oder einen Schweizer von einer ausländischen Universität angefragt zu haben. Ein Umdenken sei hier dringend angebracht.

Joseph Jurt kritisierte den «Provinzkomplex» der
Schweizer Universitäten.

Mauro Dell' Ambrogio, Staatssekretär für Bildung und Forschung, widersprach mit folgendem Argument: Seiner Meinung nach ist die hohe Forschungsqualität an Schweizer Hochschulen auch eine direkte Folge der hohen Internationalität unter den Wissenschaftlern. Dank der guten Arbeitsbedingungen könne man sich die besten Köpfe ins Land holen, die Schweiz hätte diesbezüglich einen deutlichen Wettbewerbsvorteil – den man natürlich nutzen müsse. «Wie viele Universitäten im Ausland wären gern in unserer Position?»

Wer hat die Macht?

Die Frage musste offen bleiben, denn Dieter Imboden lenkte die Diskussion wieder auf universitäre Schwachstellen. Der allgemeinen Forderung nach einer Reform der Machtstrukturen konnte er sich voll und ganz anschliessen. Die momentane Situation – wenige, unbefristet angestellten Professoren 'verfügen' über die Mehrheit der befristet beschäftigten Mitarbeiter – sei nicht tragbar. Es müssten mehr «Zwischenstufen mit Entscheidungsgewalt» eingeführt werden; ermöglicht würde dies zum Beispiel über die Auflösung von Lehrstühlen bei Neubesetzungen.

Auch mit dem starken Einfluss der Fakultäten gegenüber dem Rektorat, etwa bei Berufungsentscheiden, erklärte sich Imboden nicht einverstanden: «Die Berufungskommission muss zwingend von einem externen Mitglied geleitet werden.» Um sich gegen die Machtinteressen der Professorenschaft durchzusetzen, meinte Imboden, sei der Wettbewerbsgedanke zu stärken: Neben einer Grundfinanzierung müsse es zur selbstverständlichen Aufgabe von Fakultäten werden, Drittmittel einzuwerben.

Dieter Imboden und Mauro Dell`Ambrogio: Hohe Forschungsqualität halten durch eine Reform der Machtstrukturen.:

Habilitation adé

Nach aller Kritik am Schweizer Hochschulsystem wies vor allem der Rektor der Universität Basel, Antonio Loprieno, auf das bereits Erreichte hin: Die meisten Schweizer Universitäten hätten – fakultäts- oder institutsintern – bereits selbstständig Reformen und Qualitätskontrollen durchgeführt. Er beobachte beispielsweise seit längerem eine strukturelle «Entgermanisierung selbst in den Geisteswissenschaften». Geschuldet sei dies vor allem dem Rückgang des anachronistischen Habilitationsverfahrens.

Für Antonio Loprieno ist Heimatschutz für Schweizer keine Option.nn.er

«Wir befinden uns in einer Phase des Übergangs», fasste Loprieno die Diskussion zusammen. Die wesentlichen Probleme und Lösungsmöglichkeiten seien erkannt, nun gehe man Schritt für Schritt in die richtige Richtung. Dabei sei eine Art 'Heimatschutz' für Schweizer aber keine ernsthafte Option, um den eigenen wissenschaftlichen Nachwuchs zu fördern. – Qualität (der Leistung) geht immer noch über Quantität (der Schweizer).

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