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Schlafforschung

Um vier Uhr morgens ist der Schlaf vorbei

Steven Brown vom Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Universität Zürich hat herausgefunden, warum ältere Menschen häufig unter «seniler Bettflucht» leiden. Der Schlafforscher im Interview über unsere innere Uhr und seine Suche nach einem einzelnen Hormon.  
Alice Werner

UZH News: Herr Brown, der menschliche Schlaf- und Wachrhythmus verschiebt sich mit zunehmendem Alter: Junge Menschen sind eher Nachteulen, während Ältere häufig zu «seniler Bettflucht» neigen und sehr früh aufwachen. Woran liegt das?

Steven Brown: Tatsächlich verändern wir unseren Chronotypus im Laufe des Lebens. Ungefähr ab einem Alter von zwanzig Jahren setzt bei unserer inneren Uhr im Gehirn, die für viele tagesrhythmische Prozesse wie Schlaf, Körpertemperatur, Blutdruck und Verdauung zuständig ist, ein Prozess ein: Je älter wir werden, desto weniger nachtaktiv sind wir. Das hat mehrere Gründe.

Die Augen älterer Menschen reagieren weniger sensibel auf Licht, denn die Linsen sind nicht mehr klar, sondern gelblich verfärbt. Doch unsere innere Uhr wird zentral durch das Licht, das durch die Augen einfällt, synchronisiert. Bei älteren Menschen ist dieser Prozess gestört. Erstaunlicher aber ist: Die Periodenlänge der inneren Uhr nimmt im Alter ab.

Senile Bettflucht: Hormone sind dafür verantwortlich, dass die meisten Menschen im Alter morgens sehr früh erwachen.

Wie sind Sie dabei vorgegangen?

Zunächst muss man wissen, dass die gleichen Proteine, die in den Nervenzellen des Gehirns unsere innere Uhr steuern, auch in den meisten anderen Zellen unseres Körpers vorkommen. Das heisst: Fast jede Zelle kann Zeit erkennen. In einer komplexen Rückkopplungsschleife wirken diese sogenannten «Sklavenzellen» zusammen und generieren molekulare Rhythmen. Im Rahmen einer Studie haben wir achtzehn jungen (21-30 Jahre) und achtzehn älteren Versuchspersonen (60-88 Jahre) Hautzellen entnommen und die molekularen Mechanismen untersucht. Interessanterweise konnten wir keine Unterschiede feststellen: Die molekulare Periodenlänge in den Zellen war bei jungen und älteren Probanden gleich – obwohl sie sich in ihrem Schlafverhalten deutlich unterschieden.

Hat Sie das Ergebnis überrascht?

Ja! Wir konnten erstmals zeigen, dass in den entnommenen Zellen nicht die molekularen Vorgänge für die chronobiologischen Veränderungen im Alter verantwortlich sind. Die Ursache musste woanders liegen.

Um das herauszufinden haben Sie eine neue Untersuchungsmethode entwickelt.

Richtig, wir haben den Versuchspersonen Blut abgenommen und durch Zentrifugieren die zellulären Bestandteile herausgelöst. Als Überstand erhält man Blutserum, also den flüssigen Anteils des Blutes. Die Hautzellen der jungen und älteren Probanden haben wir dann mit humanem Serum vermischt, das von jungen Personen stammte. Wiederum war die molekulare Periodenlänge in den Zellen bei Jungen und Älteren gleich.

Als wir aber die Zellen mit Serum von älteren Teilnehmern behandelten, trat eine Verkürzung der Periodenlänge auf – und zwar bei allen Zellen. Stellen Sie sich vor, Ihre Armbanduhr würde plötzlich schneller laufen! Für ältere Menschen bedeutet dies: Ihre biologische Uhr läuft nicht mehr über 24-Stunden-Perioden, sondern kürzer. Diese altersabhängigen chronobiologischen Veränderungen wollten wir untersuchen.

Auf Steven Brown, Chronobiologe und Schlafforscher, wartet Fleissarbeit: Ein Hormon unter Tausenden finden.

Was ist Ihre Erklärung?

Im Blutserum älterer Menschen zirkulieren offensichtlich Faktoren, die für das Phänomen der «senilen Bettflucht» verantwortlich sind. Wir vermuten, dass Hormone dahinter stecken. Ungefähr hundert Proteine haben wir als Ursache schon ausgeschlossen. Der Mensch hat allerdings mehrere Tausend.

Könnte man die «senile Bettflucht» pharmakologisch behandeln?

Hormonelle Störungen sind generell sehr gut mit Medikamenten zu steuern. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel ein «Antihormon» einzusetzen, das dem «Bettflucht-Hormon» entgegenwirkt. Nach dem gleichen Prinzip und mit wenigen Nebenwirkungen funktioniert zum Beispiel die Anti-Baby-Pille. Aber das ist noch Zukunftsmusik – zuerst müssen wir das verantwortliche Hormon identifizieren.