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Gesundheitswesen

DRG – Wird die Pauschale zur Falle?

Ab 2012 werden schweizweit Fallpauschalen unter dem Namen «Swiss DRG» eingeführt. Von da an erhält ein Spital nur noch einen einheitlichen Betrag für eine Behandlung und keine Tagespauschalen mehr. Forscherinnen und Forscher der Universität Zürich verfolgen das Projekt aus wissenschaftlicher und ethischer Sicht. Ihnen geht es vor allem um Gerechtigkeit. 
Marita Fuchs

Mit Beginn des nächsten Jahres tritt eine neue Spitalfinanzierung in der Schweiz in Kraft. Vorgesehen sind unter anderem Fallpauschalen und freie Spitalwahl in der ganzen Schweiz. Die Spitäler müssen sich mit der neuen Regelung dem wirtschaftlichen Druck beugen. Im Gesundheitswesen wird für keinen Bereich so viel Geld ausgegeben wie für Behandlungen in einer Klinik. Die Kosten steigen stetig an, im Jahr 2009 lagen die Ausgaben für stationäre Behandlungen bei über 27 Milliarden Schweizer Franken.

Genau hinschauen wie Fallpauschalen sich auf den Spitalalltag auswirken.

Doch mit der Einführung der Pauschalen sind Befürchtungen von Ärzten, Patienten und Pflegepersonal verknüpft: Es würde kein Geld eingespart, stattdessen entstünden neue administrative Aufgaben auf Kosten der Patientenbetreuung. In Deutschland wurden die Fallpauschalen 2004 eingeführt. Seither ist bekannt, dass Patienten mit komplexen Erkrankungen, zum Beispiel mit Querschnittslähmungen, zu den Verlierern in den Krankenhäusern zählen können. Experten befürchten eine dramatische Unterversorgung und fordern, ungeeignete Fälle aus der starren Pauschalierung herauszunehmen.

Von Anfang an wissenschaftlich begleiten

In der Schweiz wird ein interdisziplinäres Forschungsteam unter der Leitung von Professorin Nikola Biller-Andorno, Institut für Biomedizinische Ethik der Universität Zürich, die Einführung der Fallpauschalen wissenschaftlich begleiten. Im Fokus der Forscherinnen und Forscher: Auswirkungen der Pauschalen auf die Arbeit von Ärzten und Pflegepersonal, auf die Veränderung des Arzt-Patienten-Verhältnisses und auf die Patientenversorgung. «Falls es zu Ungerechtigkeiten kommt, wollen wir dies rechtzeitig aufzeigen», sagt Caroline Clarinval, Projektkoordinatorin und Forschungsassistentin am Institut für Biomedizinische Ethik. «Wir möchten nicht, dass die Pauschale zur Falle wird».

Ärztin Verina Wild (li.) und Projektkoordinatorin Caroline Clarinval vom Institut für Biomedizinische Ethik der UZH: Kliniken dürfen den Reformdruck nicht an die Kranken weitergeben.

Das zunächst auf drei Jahre angelegte Projekt hat 25 Mitarbeitende aus drei Schweizer Universitäten (Zürich, Lausanne, Basel) und wird vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) aus der Projektlinie «Sinergia» finanziert. Vorgesehen sind quantitative Befragungen, die online und per Fragebögen in Spitälern der ganzen Schweiz durchgeführt werden, darunter auch Universitätsspitäler. Qualitative Befragungen in Form von längeren Interviews mit Ärzten und Pflegepersonal sollen die Auswertungen ergänzen. Zudem werden Studien über die Patientenversorgung vor und nach Einführung von DRG durchgeführt.

Verdichteter Arbeitsalltag

Verina Wild ist eine der Forscherinnen, die am Institut für Biomedizinische Ethik arbeitet und an dem Projekt beteiligt ist. Als Spital-Ärztin konnte sie vor einigen Jahren in Deutschland bereits Erfahrungen mit Fallpauschalen sammeln. «Durch die Vorgabe, möglichst hohe Fallzahlen in möglichst kurzer Zeit zu erzielen, entstand ein enorm verdichteter Arbeitsalltag», erzählt Wild. Ein Kollege von ihr sagte damals: «Uns wird die Zeit auf der Toilette unter dem Hintern wegrationalisiert». Trotz dieser eher negativen Erfahrung ist Wild davon überzeugt, dass die Schweiz aus den Fehlern in Deutschland gelernt hat und überlegter an diese grosse gesundheitspolitische Reform herangehe.

Codierung beim Spitalaustritt

Ein Beispiel dafür sei der Zeitpunkt der genauen Diagnose, sagt Wild. In Deutschland wird sie beim Eintritt des Patienten ins Spital erfasst oder codiert, wie es in der Fachsprache heisst. Der Code ist dann ausschlaggebend für die Verrechnung. In der Schweiz wird erst beim Spitalaustritt codiert. Das sei besser, weil die Diagnosen zum Ende eines Spitalaufenthaltes das eigentliche Krankheitsbild genauer abbilden und die Ärzte mehr Spielraum für eine adäquate Behandlung hätten.

Die Forschenden werden die Ergebnisse ihrer Untersuchungen ab Mitte nächsten Jahres publizieren.