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Karten des Wortschatzes

«zwee Manne, zwo Fraue, zwöi Chind»

Eine neue populärwissenschaftliche Publikation der UZH zeigt die verblüffende Vielfalt der Mundart in der Deutschschweiz auf anschaulichen Karten. Der «Kleine Sprachatlas der deutschen Schweiz» ist eine Schatzkiste für Dialektfreunde. Das Buch enthält zahlreiche sprachwissenschaftliche Hintergründe und versammelt unzählige seltene Ausdrücke. 
Claudio Zemp

Wenn mich jetzt in Zürich mal jemand wieder nicht versteht und prompt in die Pfütze tritt, obwohl ich doch vor dem ‹Glumpe› warnte, so kann ich es endlich mit Karten beweisen, dass ich nicht der einzige bin, der so spricht. Der «kleine Sprachatlas der deutschen Schweiz» bestätigt meine sprachliche Identität: Ich komme aus der ‹Bätzgi›-Gegend des kleinen Apfels Deutschschweiz (was in Glarus ‹Gütschi› und in Schaffhausen ‹Bixi› heisst). Wo ich aufwuchs, spielten wir ‹Zinggi› – niemals ‹Fangis› oder ‹Springis›. Wir schleckten weder ‹Zältli› noch ‹Täfeli›, aber ‹Tröpsli›. Und mein Lieblingsjogurt ist das mit ‹Höi-Beeri› (keineswegs ‹Heidel- oder gar ‹Hasel-Beeren, wie man in Basel beziehungsweise St. Gallen sagt). Wahrlich, das Schmökern in den 120 bunten Karten mit den Dialektrevieren der Deutschschweiz ist lustig.

Kleiner Sprachatlas der deutschen Schweiz: Leicht lesbarer Führer durch die Deutschschweizer Mundarten.

Wissen für Dialektfans

«Das breite Publikum soll an den Ergebnissen linguistischer Forschungen teilhaben können», sagt Mitherausgeberin Elvira Glaser zu der handlichen Publikation. Die Professorin des Deutschen Seminars der UZH kennt die verbreitete Neugier der Bevölkerung gegenüber den Dialekten. In ihren Kommentaren zu den Wortschatzkarten haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zusätzliche Informationen aus dem Schweizerdeutschen Wörterbuch verarbeitet. Dieses immense Standardwerk, «Idiotikon» genannt, war bis jetzt für Laien relativ schwer zugänglich.

So liest man nun in übersichtlichen und gut lesbaren Texten über verschiedene Wortformen und deren historische Herkunft. Und über die Varianten der geschlechtlichen Zahlworte (Wo die Berner ‹zwee Manne›, ‹zwo Fraue›, ‹zwöi Chind› sagen, tönt's im Thurgau ‹zwee/zwoo/zwaa›). Die Variationen betreffen nicht nur die Wörter, sondern auch den Satzbau und die Grammatik. So sind im kleinen Sprachatlas die unterschiedlichen Endungen der Verbformen beschrieben. Und der Leser kann geografisch genau verfolgen, wo die Grenze im Satzbau verläuft: Westlich von Limmat und Zürichsee hat man einen Gast nach dessen Besuch ‹la gaa›, während man ihn östlich ‹gaa laa› hat.

Karte 50: Viele Namen für den Überrest eines Apfels: Von «Üürbsi» im Norden bis «Grübschi» im Süden.

Daten aus der Grosselternzeit

Die Grundlage für die Karten des kleinen Sprachatlas sind Erhebungen, die von 1939 bis 1958 an 565 Orten der Deutschschweiz bei der Bevölkerung gemacht wurden. Der zwischenzeitlich eingetretene Sprachwandel ist hie und da spürbar. So stimmen die Karten zwar erstaunlich oft mit der eigenen Erinnerung überein, es taucht aber eine Vielzahl von Ausdrücken auf, die man heute kaum mehr hört.

«Der Wortschatz ist im steten Wandel», bestätigt Glaser. Durch die Mobilität würden ausgefallene Wörter eher vermieden und dadurch eine gewisse Vereinheitlichung erreicht. So orientieren sich bestimmte Regionen auf zentralere Mundarten, zum Beispiel die an den Zürichsee angrenzenden Schwyzer Gemeinden. Auch wenn immer mehr hochdeutsche oder englische Wörter in der ganzen Deutschschweiz verwendet werden, wirke das der dialektalen Kleinräumigkeit entgegen. Die Verschiedenheit bleibe aber dennoch erhalten, sagt Glaser: «Die Wörter werden weiterhin entsprechend den lokalen Aussprachegewohnheiten verschieden ausgesprochen.»

Sprache als Halt

In Zeiten grosser Mobilität gewinne die Sprachlandschaft als Teil der Identitätsfindung an emotionaler Bedeutung, heisst es im Pressetext des Verlags. Gemeint ist wohl das warme Gefühl ums Herz, wenn man in der Liste mit mehr als 100 verschiedenen Ausdrücken für Purzelbaum den persönlichen ‹Höibürzel› entdeckt.

Die abgebildete Vielfalt ist erstaunlich. Karte 31 zeigt etwa diesseits des legendären Röschtigrabens ein Dutzend alternative Dialektausdrücke für Röschti. Karte 22 zeigt, wie die Grosseltern den blauen Flecken sagten, welche Fussballer heute landläufig als ‹Tomate› bezeichnen (nämlich ‹Tätsch› im Oberwallis, ‹Blätz› im Fribourgischen oder ‹Mose› im Bernbiet).

Punktuell wurden die historischen Sprachkarten durch Zusatzbefragungen mit dem aktuellen Sprachgebrauch verglichen. Tatsächlich seien Wörter verschwunden oder stark zurückgegangen, so Glaser, zum Beispiel der ‹Anke› in der östlichen Deutschschweiz. Oder der Schmetterling verdrängte diverse Bezeichnungen für Sommervögel.

So freut man sich beim Lesen wie beim Pflücken von zahlreichen Gänseblümchen. Für mich heissen die ‹Wasebüürschteli›. Und ich gebe zu, dass ich jeden, der von ‹Margritli› oder gar ‹Geisse-Gigeli› spricht, für ein bisschen schrullig halte.