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Rechtswissenschaften

«Studierende halfen uns aus der Sackgasse»

Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität Zürich nimmt einen zweiten Anlauf zur Bologna-Reform. Dekan Wolfgang Wohlers verspricht weniger Prüfungen und einen schlankeren Bachelor. Was die Praktiker, Juristen, die im Berufsalltag stehen, zum Stand des Studiums 2010 meinen, ist unter anderem auch Thema einer Veranstaltung der Fachzeitschrift «plädoyer» von morgen Dienstag .
David Werner

Herr Wohlers, die Rechtswissenschaftliche Fakultät nimmt einen zweiten Anlauf zur Bologna-Reform. Warum?

Wolfgang Wohlers: Einiges ist bei uns im ersten Anlauf nicht ganz geglückt. Das grösste Problem ist das Übermass an Prüfungen. Die Studierenden starren immer nur auf den nächsten Prüfungstermin, die Assistierenden sind mit Korreturarbeiten überlastet, und Verschiebeeffekte bei nicht bestandenen Prüfungen verkomplizieren das Studium.

Wie wollen Sie die Prüfungslast vermindern?

Wir vergrössern die Module. Das bedeutet weniger Prüfungen. Es wird dann auch einfacher, die Prüfungen zu terminieren. Die Prüfungen dürfen ja nicht zu spät im Semester stattfinden, damit die Noten noch vor einem allfälligen Wechsel auf eine andere Stufe oder an eine andere Universität erteilt werden können. Sie dürfen aber auch nicht zu früh angesetzt werden, sonst fehlt den Studierenden die Vorbereitungszeit.

Warum wurden die Studiengänge im ersten Reformanlauf so kleinteilig gestaltet?

Die Kleinteiligkeit resultiert daraus, dass wir die Bologna-Vorgaben mit der uns Juristen eigenen Normtreue umgesetzt haben: Wort für Wort, Punkt für Punkt.

Andere rechtswissenschaftliche Fakultäten in der Schweiz waren da lockerer.

Vieles, was dort gemacht wurde, ist vielleicht sinnvoll, aber es ist nicht im Sinne der Bologna-Idee. Wenn man zum Beispiel am Ende des Studiums den Stoff aller Module nochmals in einer Verbundprüfung abfragt, ist man der Sache nach wieder bei der alten Lizenziatsprüfung angelangt. Und wenn man das alte Liz-Curriculum zwar formal umbenennt, dann aber auf Bachelorstufe keine wesentlichen inhaltlichen Änderungen vornimmt, hat man letztlich alles beim Alten gelassen.

In Zürich war man viel strikter bei der Umsetzung von Bologna, obwohl die Reformbegeisterung sich doch sehr in Grenzen hielt.

Wolfgang Wohlers, Dekan der Rechtwissenschaftlichen Fakultät: «Die Studierenden wünschen sich im Studium mehr Tiefe statt Breite.»

Unsere Fakultät war in der Tat sehr skeptisch gegenüber der Reform. Wir waren mehrheitlich der Meinung, dass Bologna mit dem juristischen Denken nicht zu vereinbaren sei. Das Modulsystem bedeutet eine Zerhackstückelung des Lehrstoffes, die juristische Kernkompetenz aber besteht darin, vernetzt zu denken, Querbezüge zwischen verschiedenen Bereichen herzustellen. Juristinnen und Juristen sollten die Rechtsstruktur insgesamt durchschauen. Das Modulsystem erschwert es, diese Kernkompetenz aufzubauen und abzuprüfen. Wir müssen uns nun aber nicht vorwerfen, den Systemwechsel vollzogen zu haben – dieser wurde uns ja aufgezwungen. Wir müssen uns dagegen vorwerfen, dass wir dabei zu regelgläubig vorgegangen sind. Aber dies wollen und werden wir jetzt korrigieren.

Da uns das Bologna-System wohl erhalten bleibt, müsste der Ehrgeiz sein, die Reformvorgaben so gut wie möglich mit den Besonderheiten der Rechtswissenschaften in Einklang zu bringen.

Die Korrekturen gehen in diese Richtung. Leider aber werden wir im Modulsystem nie die volle Gewissheit haben, ob jemand am Ende des Studiums wirklich juristisch denken kann. Ein Masterabsolvent kann jemand sein, der lediglich kleinräumig den Durchblick hat oder – im schlimmsten Fall – einfach gut darin ist, sehr viel auswendig zu lernen.

Neben der Modulgrösse erwies sich in vielen Fächern auch die Überfrachtung der Bachelorstudiengänge als Problem. Wie steht es damit an Ihrer Fakultät?

Auch bei uns wurde die Bachelorstufe überladen. Der Grund dafür war, dass wir beabsichtigten, Bachelorabgänger als fertige Juristinnen und Juristen in den Arbeitsmarkt zu entlassen. Im Bachelor sollte im Wesentlichen alles vermittelt werden, was zuvor Liz-Studierende können mussten. Dieser Plan ging nicht auf, weil der Arbeitsmarkt weiterhin Masterabgänger bevorzugt. Wir hatten uns dafür eingesetzt, den Bachelor als ausreichende Voraussetzung für die Erlangung des Anwaltspatentes anzuerkennen. Der Gesetzgeber hat dies nun aber anders geregelt – und damit ist die Geschäftsgrundlage unserer ursprünglichen Konzeption entfallen.

Wenn Sie die Bachelorstufe als Komplettstudiengang konzipierten – was hätte dann auf der Masterstufe noch stattgefunden?

Uns schwebte für die Masterstufe ein vertiefender wissenschaftlicher Unterricht in Kleingruppenveranstaltungen auf höchstem wissenschaftlichem Niveau vor. Wir rechneten damit, dass ungefähr zehn Prozent der Bachelorabgänger weiterstudieren würden. Damit hätten wir im Master Betreuungsverhältnisse wie Harvard oder Cambridge gehabt. Das wäre eine Kompensation für den Massenbetrieb gewesen, unter dem wir an unserer Fakultät leiden.

W obei die hohen Studierendenzahlen ja nichts mit Bologna zu tun haben.

Natürlich nicht. Wir glaubten aber anfänglich, die Reform dazu benutzen zu können, zumindest auf Masterstufe bessere Betreuungsverhältnisse schaffen zu können.

Und was geschieht jetzt? Verschieben Sie einen Teil des Stoffes von der Bachelor- auf die Masterstufe?

Ja. Und wir verschaffen so den Studierenden in den unteren Semestern etwas mehr Möglichkeiten zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem verbleibenden Stoff. Wir haben 2009 eine aufwändige Evaluation durchgeführt, die für uns wichtig und erhellend war. Ich war vom Ergebnis angenehm überrascht. Es zeigt, dass die Studierenden sehr leistungsbereit sind. Sie sagten nicht etwa, der Stoff sei ihnen zu schwierig. Was sie sich wünschten, war mehr Tiefe statt Breite im Studium.

Können Sie zumindest Teile der ursprüng­lichen Idee eines forschungsnahen, betreuungsintensiven Studiums auf Masterstufe in die Zukunft retten?

Wir werden auf der Masterstufe Wahlpflichtveranstaltungen über Spezialthemen anbieten, die nahe an der Forschung unserer Dozierenden sind. Früher war die Beschäftigung mit solchen Fragen jenseits des Mainstreams eine brotlose Kunst, heute erhalten Masterstudierende Punkte dafür. Da sehe ich im Vergleich zum Liz-System einen klaren Fortschritt.

Ein weiterer vieldiskutierter Punkt der Studienreform ist die Mobilität. Wie hat sich die Mobilität an Ihrer Fakultät entwickelt?

Bologna hat auch bei uns die Mobilität eher erschwert, obwohl die zuständigen Mitarbeitenden  im Dekanat sehr bemüht sind, für alle Fälle Lösungen zu finden. Mobilitätsstudierenden aus der Romandie zum Beispiel, die oft nur Teile bestimmter Module bei uns studieren wollen, bieten wir massgeschneiderte Prüfungen an. Ausserdem setzen wir auf bilaterale Spezialabkommen mit Partneruniversitäten im Ausland. Allgemein aber sind die  Unterschiede zwischen den Universitäten zu gross, als dass beliebige Wechsel des Studienortes ohne Zeitverlust möglich wären. Ein Wechsel zwischen verschiedenen Universitäten bietet sich zukünftig vor allem im Übergang von der Bachelor- zur Masterstufe an. 

Wäre es nicht denkbar, dass zumindest innerhalb der Schweiz die rechtswissenschaftlichen Fakultäten ihre Studienangebote besser aufeinander abstimmen würden?

Ich glaube, das wäre nur durch äusseren Zwang möglich, da jede Fakultät ihre eigenen Schwerpunkte und Spezialitäten pflegt. Und diese Vielfalt finde ich auch positiv. Wir hier in Zürich zum Beispiel sind bekannt für unser besonders anspruchsvolles Studium. Wir wollen unser Niveau nicht nach unten korrigieren. 

Zurück zur Revision der Studienreform: Wie ging Ihre Fakultät dabei vor?

Ausgangspunkt war die erwähnte Evaluation. Es gab umfangreiche quantitative Erhebungen zum Studierverhalten, zum Workload und zu den äusseren Rahmenbedingungen des Studiums. Zusätzlich wurden aufwändige Fokusgruppengespräche mit Studierenden, Assistierenden und Dozierenden durchgeführt. Danach organisierten wir eine dreitägige Retraite, in der neue Leitlinien für die Bachelor- und Masterstudiengänge entworfen wurden.

Welchen Anteil hatten die Studierenden an der jetzt gefundenen Lösung?

Einen grossen Anteil. Ihre Beiträge waren kritisch, aber immer konstruktiv. Es waren auch Studierende, die erlösende Vorschläge brachten, wenn die Diskussion um neue Leitlinien in eine Sackgasse zu geraten drohten. Wir waren und sind laufend mit unseren Studierendenorganisationen, etwa dem Fachverein, im Gespräch. Es war für uns selbstverständlich, die Studierenden bei der Neukonzeption der Reform stark einzubeziehen – und es hat sich ganz eindeutig gelohnt.

Welchen Zeitplan verfolgen Sie bei der Umsetzung der Reform-Korrekturen?

Wir sind jetzt daran, neue Studienreglemente zu erarbeiteten, von denen wir hoffen, dass sie Ende 2010 vor die Universitätsleitung und den Universitätsrat kommen. Wenn alles glatt läuft, könnten sie auf das Herbstsemester 2012 in Kraft treten.