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Hirnforschung

Stresserfahrungen epigenetisch vererbt

Psychische Leiden, deren Ursachen in schwerem chronischem Stress in der Kindheit liegen, werden von Generation zu Generation vererbt, und zwar auf sogenannt epigenetischem Weg. Dies konnten Forscher der Universität Zürich und der ETH zeigen.
Peter Rüegg

Chronischer schwerer Stress oder traumatische Erlebnisse während der Kindheit können verschiedene psychische Spätfolgen hervorrufen, unter anderem Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder Depressionen.

Schwerer chronischer Stress und Traumata in der Kindheit führen an bestimmten Genen zu epigenetischen Veränderungen, die über mehrere Generationen weitergegeben werden.
Eine Studie einer Arbeitsgruppe unter der Leitung der Hirnforscherin Isabelle Mansuy demonstriert nun an Mäusen erstmals, dass solche Spätfolgen auch nachkommende Generationen betreffen können. Mansuy ist Professorin für Molekulare und Kognitive Neurowissenschaften an der Universität Zürich und gleichzeitig Professorin am Zentrum für Neurowissenschaften der Universität und der ETH Zürich.

Die Forscher weisen nach, dass negative Umwelteinflüsse in einem frühen Lebensabschnitt das Verhalten eines Individuums über dessen ganze Lebensspanne entsprechend verändern und dass dieses veränderte Verhalten auch an seine Nachkommen bis hin zur dritten Folge-Generation weitergegeben wird.

Stress im Kindesalter, Probleme im Alter

Für ihre Studie arbeiteten die Wissenschaftler mit Mäusen. Jungtiere wurden nach der Geburt während 14 Tagen wiederholt und zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten vom Muttertier getrennt, das zusätzlich während der Trennung gestresst wurde. Dieses Vorgehen löst bei Jungtieren starken Stress aus und wird als Tiermodell verwendet, um die Vernachlässigung von Kindern und traumatische Kindheitserlebnisse nachzuahmen. Die jungen Mäuse reagierten auf diese Trennung so stark, dass sie im Erwachsenenalter depressiv wurden, ihre Impulsivität nicht im Griff hatten und unter bestimmten Umständen soziale Probleme zeigten.

Insbesondere konnten diese Tiere mit neuen oder widrigen Situationen nicht angemessen umgehen. So gaben sie ihre natürliche Vorsicht auf, wenn sie neues Terrain erkundeten. Zudem reagierten sie unter widrigen Umständen apathisch oder kämpften nicht um ihr Leben. Mäuse, die unter natürlichen Bedingungen aufwuchsen, wehrten sich hingegen in unangenehmen Situationen, und sie erkundeten neue Lebensbedingungen schrittweise und vorsichtig, gepaart mit einer natürlichen Neugier.

Überdies wurden die traumatisierten Mäuse ihre Verhaltensweisen ihr Leben lang nicht mehr los, und sie «vererbten» ihre Verhaltensstörungen auch ihren Nachkommen. Die Forscher konnten gar nachweisen, dass diese Schädigungen bis in die dritte Nachfolge-Generation andauern.

Epigenetik bestimmt Verhalten

Zurückzuführen sind diese Verhaltungsänderungen jedoch nicht auf Mutationen der Erbsubstanz. Der Stress, so zeigen die Forschenden auf, verändert «lediglich» das Methylierungs-Profil bestimmter Gene im Gehirn und in den Spermien männlicher Mäuse. Diese Plastizität, die auf Veränderungen der Chromatinstruktur beruht, wird als die epigenetische Ebene bezeichnet, und DNS-Methylierung ist ein zentraler epigenetischer Mechanismus. «Stress bringt die Methylierungsmaschinerie durcheinander», erklärt Isabelle Mansuy.

Isabelle Mansuy: «Stress bringt die Methylierungsmaschinerie durcheinander.»
An bestimmten Genen wird Methyl, ein kleines Molekül aus einem Kohlenstoff und drei Wasserstoff-Atomen, an einen der vier Bausteine der DNS, das sogenannte Cytosin, angehängt. Dies ändert jedoch an der Abfolge der vier DNS-Bausteine nichts. Die unterschiedliche Methylierung kann aber beispielsweise die Aktivität der betroffenen Gene steuern und damit zahlreiche wichtige Körperfunktionen beeinflussen.

Mehr oder weniger Methylgruppen

Bisher haben die Wissenschaftler bei Mäusen fünf Gene identifiziert, die aufgrund früher Stresserlebnisse von Methylierungen betroffen sind. Nicht alle gefundenen Gene werden jedoch gleich stark verändert. «Es kommt sehr darauf an, wo, wie und in welchem Grad die Methylgruppen angebracht werden», betont Mansuy. An einigen Genen werden vermehrt Methylgruppen angehängt, an anderen wiederum werden sie übermässig entfernt.

Die epigenetische Weitergabe von solchen Verhaltensinformationen wurde schon lange vermutet, aber Mansuys Arbeitsgruppe ist die erste, die dies nun auf molekularer Ebene und für mehrere Generationen nachweisen konnte. Aber das ist noch nicht alles. In Kollaboration mit dem Basler Unternehmen Roche brachte Mansuy bereits weitere Gene zu Tage, die epigenetisch gesteuert werden und die mit Verhaltensstörungen in Verbindung stehen.

Übertragung auf Menschen möglich

«Die Symptome, welche die gestörten Mäuse zeigten, sind auch bei Borderline-, Depressions- oder Schizophrenie-Patienten sehr prominent vorhanden», sagt Isabelle Mansuy. Die Resultate aus dem Mäuseversuch seien deshalb möglicherweise auf Menschen übertragbar.

Die Forscherin denkt daran, die Untersuchung dieses epigenetischen Phänomens auf Menschen auszudehnen. Dazu braucht sie Gewebeproben von Personen und ihren Nachkommen, um mögliche Methylisierungskandidaten unter den Genen herauszufinden. «Ich bin überzeugt, dass wir Methylierungen auch in menschlichem Gewebe finden werden», so die Professorin.