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Landesmuseum Zürich

Neue Dauerausstellungen mit einer Prise Spektakel

 Am 1. August 2009 erhält die Schweiz ein anderes Gesicht. Das Landesmuseum Zürich eröffnet zwei neue Dauerausstellungen. Im wissenschaftlichen Beirat war die Universität Zürich mit drei von fünf Professoren vertreten. Darunter Simon Teuscher, Professor für Geschichte des Mittelalters.
Roland Gysin
Mythenrad als Blickfang der Ausstellung: «Debatten gehören zu einer lebendigen Geschichtskultur.»

Was vor vier Jahren mit dem Umbau des Bahnhofflügels des Landesmuseums Zürich begann, findet am 1. August 2009 seinen vorläufigen Abschluss: Zwei neue Dauerausstellungen auf total 2400 Quadratmetern. In der «Galerie Sammlungen» wird eine kleine Auswahl aus total 820'000 kunsthandwerklichen Objekten gezeigt. In der Ausstellung «Geschichte der Schweiz» werden vier Geschichten «von der Steinzeit bis in die Gegenwart» erzählt.

In der Summe ergibt sich inhaltlich ein komplett neues Bild der Schweiz. Mythen erscheinen in einem neuen Kontext, die Erzählweise ist nüchtern, die Objekte atmosphärisch und stimmig inszeniert.

Die Kuratorinnen Pascale Meyer, Erika Hebeisen und Christine Keller wurden von einem fünfköpfigen wissenschaftlichen Beirat beraten. Darunter drei Zürcher Professoren: Philipp Sarasin und Jakob Tanner, Professoren für Allgemeine Geschichte der Neuzeit sowie Simon Teuscher, Professor für Geschichte des Mittelalters.

UZH News sprach mit Simon Teuscher über die neue Dauerausstellung «Geschichte der Schweiz» und darüber, wie die Schweiz im Museum dargestellt ist.
 

Simon Teuscher, Professor für Geschichte des Mittelalters: «Das Mythenrat ist vielleicht zu wuchtig geraten.»


UZH News: Im «Kulturmagazin», der Zeitschrift des Landesmuseums, sagt Jakob Tanner, dass die «Geschichte der Schweiz auf neuen Wegen attraktiv gemacht werden muss». Die Ausstellung müsse mit einem «Game» konkurrieren können. Geht das Landesmuseum Richtung «Boulevard»?

Simon Teuscher: Eine historische Ausstellung kann man weder mit dem «Blick» noch mit der «NZZ» vergleichen. Hier muss Geschichte hauptsächlich durch Objekte, also mit nicht-sprachlichen Mitteln, dargestellt werden. Dazu kann auch Unterhaltung und, warum auch nicht, eine Prise Spektakel gehören. Wichtig ist, dass man einem reflektierten Umgang mit Geschichte nicht den Weg versperrt.

Erika Hebeisen, stellvertretende Projektleiterin, sagt, dass besonders «das Tauziehen um Form und Inhalte» Nerven gekostet habe. Historiker möchten Zwischentöne zeigen, Gestalter hingegen die grossen Brüche. Wann beginnt die Reduktion historischer Komplexität dem Wissenschaftler weh zu tun?

Das Problem war nicht, dass man Komplexität reduzieren musste. Das gehört ja durchaus auch zum wissenschaftlichen Alltag. Als wir Beiräte erstmals einbezogen wurden, lag schon ein Konzept vor. Nicht mehr vertretbar war aus unserer Sicht eine lineare Geschichte einer Schweiz, deren Wesen seit mystifizierten Ursprüngen im Mittelalter feststand. Wir drängten darauf, ein paar ausgewählte Themen mit Aktualitätsbezug über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen. Das bedeutete auch den Verzicht auf Inhalte, die man erwartet hätte. Wo neue Aspekte der Geschichte dargestellt werden sollen, gehen auch die Meinungen darüber auseinander, wo die wichtigsten Brüche liegen. Solche Debatten gehören zu einer lebendigen Geschichtskultur.

Die neue Dauerausstellung stellt nationale Mythen ganz bewusst in Frage. Die Besonderheiten der Schweizer Geschichte werden im Kontext europäischer Entwicklungen dargestellt. Die bisherige Fokussierung auf die politische und militärische Geschichte gehört der Vergangenheit an. Neu nehmen Wirtschafts- oder Migrationsgeschichte breiten Raum ein.

Das war in mancher Hinsicht ganz selbstverständlich. Sozial- und wirtschaftgeschichtliche Themen gehören mittlerweile zu den «Basics» der Geschichtswissenschaft. Es entspricht heute auch dem Alltagsbewusstsein, dass historischer Wandel nicht nur vom Nationalstaat ausgeht, sondern mindestens so sehr von weltweiten wirtschaftlichen Verflechtungen und neuen Lebensformen. Die Herausforderung lag auf einer anderen Ebene: Die alt-ehrwürdige Ruhmeshalle des Landesmuseums verkörpert geradezu das heroische Geschichtsbild des 19. Jahrhunderts mit seiner Mystifizierung von Schlachten. Dort musste man neue Inhalte inszenieren, ohne dass sie im alten Pathos untergehen.

Wie werden Schulklassen, unsere Väter und Grossmütter oder japanische Touristen auf dieses zumindest für das Landesmuseum «neue» Schweiz- und Schweizerbild reagieren?

Einzelne Besucher werden möglicherweise vertraute Bilder aus dem Geschichtsunterricht alter Schule  vermissen: die Bünde der so genannten Urschweiz oder Männer mit langen Bärten und wüsten Hellebarden, die Schlachten gegen Österreich und Burgund führen. Die meisten werden es erfrischend finden, dass die Ausstellung Fragen in den Mittelpunkt stellt, welche die Schweiz heute bewegen: die politische Kultur, die Siedlungsstrukturen am Alpenrand, den Finanzplatz oder die Migration. Gleichzeitig sind das natürlich Themen mit Irritationspotential. 

Die erwähnte «alt-ehrwürdige» Ruhmeshalle mit Ferdinand Hodlers Fresko «Der Rückzug von Marignano» prägte jahrzehntelang das Bild des Landesmuseums. Was wird den Besucherinnen und Besuchern von der neuen Dauerausstellung am meisten bleiben?

Vielleicht der massiv-edle Safeschrank aus den Verliesen der ehemaligen Volksbank. Richtig wuchtig, vielleicht zu wuchtig, ist das so genannte Mythenrad geraten, auf dem die alten Mythen zur Schweizergeschichte im Leerlauf drehen. Aber die Stossrichtung ist sicher richtig: weniger dumpfes National-Pathos und mehr Ironie, die provoziert – und zum Nachdenken anregt.

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