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Linguistik

Gräphic Väriätion

Der Soziolinguist Jürgen Spitzmüller untersucht, wie und aus welchem Grund ‹Fremdes› in unsere Sprache gelangt und wie es dort zum Mittel sozialer Standortbestimmung wird. In diesem Zusammenhang analysiert er die Übernahme fremder grafischer Zeichen und Mittel. So erklärt sich auch die seltsame Karriere der «Röck Döts».
Marita Fuchs
Linguist Jürgen Spitzmüller befasst sich mit dem «Fremden» in sprachlichen Zeichensystemen.

In Stresssituationen, beim Streit mit dem Lehrer etwa, flechten englische Schüler in ihren Redefluss mitunter deutsche Sätze ein. Sie verstehen gar nicht, was sie da sagen, haben jedoch die Erfahrung gemacht, dass das fremde sprachliche Einsprengsel die Kommunikationssituation entschärft: der Lehrer stutzt, lacht vielleicht sogar. Dieses Phänomen beschrieb der Sprachwissenschaftler Ben Rampton schon 1995 und nannte den Wechsel zwischen vertrautem und fremdem Sprachcode in der Kommunikation «Crossing».

Im Rahmen seiner Habilitation untersucht der Soziolinguist Jürgen Spitzmüller vom Deutschen Seminar der Universität Zürich weitere Formen des Crossings. Ihm geht es um so genannte graphematische und typografische Crossing-Phänomene. «Darunter versteht man die Verwendung von Zeichen oder Zeichenformen, die nicht zum üblichen Inventar der Schriftgemeinschaft gehören, die aber von dieser mit einer fremden Kultur oder sozialen Gruppe in Verbindung gebracht werden», erklärt Spitzmüller.

Umlaute als Genre-Indikatoren.

Teutonen-Schwund

Ein bekanntes Beispiel dafür sind die so genannten Heavy-Metal-Umlaute, auch unter dem Namen «Röck Döts» bekannt. Dabei werden vorgeblich ‹falsche› Umlaute im Kontext der Heavy-Metal-Musikszene, etwa bei Plattentiteln, eingesetzt. Obwohl im Amerikanischen Englisch der Umlaut völlig ungebräuchlich ist, verwendete schon 1972 die amerikanische Rockband «Blue Öyster Cult» den Umlaut in ihren Namen. «Warum es dazu kam, ist nicht ganz klar», sagt Spitzmüller. Ein Musikkritiker erklärte es so: «Metal had a Wagnerian aspect anyway.» Im Kontext dieser Musikszene sei die Erklärung plausibel, meint Spitzmüller, da die Heavy-Metal-Kultur bewusst mit Assoziationen zur gotischen Mythologie, zum Germanentum und mitunter auch zum deutschen Nationalismus spiele.

Sehr bald wurde der Umlaut von anderen Musikgruppen aufgegriffen. Eine finnische Band, die allerdings aus der Punkszene stammt, trieb dieses Spiel auf die Spitze und nannte sich «Ümlaut». «Mit der Namenwahl sollen szeneeigene Werte und eine Gruppenidentität vermittelt werden», erläutert Spitzmüller. Mit der Zeit habe die regelmässige Verwendung des Umlautzeichens innerhalb des Genres dazu geführt, dass die Umlaute nicht mehr als Index teutonischer Stereotype, sondern als Erkennungszeichen des Genres selbst fungierten. Nicht zufällig heisse eine Figur des Computerspiels «Guitar Hero», die auch optisch alle mit Heavy Metal verbundenen Stereotype aufweise, Lars Umlaut. Damit zeige sich, dass sich Assoziationen veränderten und schliesslich ein Eigenleben führten.

«Jetzt ein bisschen Deutsch». Die Fraktur-Schrift wird bis ins 20. Jahrhundert hinein mit ‹dem Deutschen› assoziiert. Hier im Kontext der Werbung für ein Textverarbeitungsprogramm.

Und jetzt ein bisschen Deutsch

Spitzmüller untersucht ebenfalls, welche Bedeutung Schriftwahl und Schriftauszeichnung in der Kommunikation zukommt. Dabei interessiert ihn auch die Verwendung von Schriften, die mit bestimmten Kulturen assoziiert werden.

Beispiele für ‹sozialsymbolische› Typografie lieferte schon die Lutherbibel, erläutert Spitzmüller. Luther habe die Bibel unter anderem auch deswegen ins Deutsche übersetzt, um sich vom lateinisch-sprechenden Papsttum abzugrenzen. Die Wahl der Frakturschrift, die später als ‹deutsche Schrift› bezeichnet wurde, zeige eine ähnliche Motivation: Die seinerseits als ‹moderne› Schrift im Gegensatz zur ‹Littera Antiqua› geltende Fraktur war, wie es der englische Buchhistoriker John Lewis Flood ausgedrückt hat, «ein typographisches Manifest des Protestantismus», das der römischen Antiqua entgegengestellt wurde. Entsprechend wurde die Schrift eingesetzt. In einer Bibelausgabe aus dem Jahr 1541 sind alle «bösen» Wörter, wie etwa ‚Tod’ und ‚Hölle’ oder ‚Hure Babylon’ in Antiqua gesetzt und die «guten» Stellen erscheinen dagegen in Frakturschrift.

Schon bei Luther stand die Frakturschrift für ‹das Deutsche›, Antiqua für
‹das Böse›. Hier ein antipapistisches Flugblatt aus dem Jahr 1545 mit Antiqua-
Initialbuchstaben bei ‹Rom› und ‹Teuffel›

Fraktur ist hip

Die Verwendungsgeschichte der Frakturschrift, die bis ins 20. Jahrhundert hinein mit dem Deutschen assoziiert wird, ist ein gutes Beispiel für die kulturelle Kodierung typografischer Elemente. «Diese Schrift ist stark assoziativ besetzt und wurde seit der Lutherzeit für konfessionelle, nationale oder sonstige politische Zwecke benutzt, die im Kontext von Tradition, Gutbürgerlichkeit oder für ‹Deutsches› im Allgemeinen stehen», erklärt Spitzmüller. Wenn diese Schriftart nun also in anderen Kulturen verwendet werde, um Assoziationen zum Deutschen zu wecken, könne man ebenfalls von Crossing sprechen. Die Geschichte der Fraktur zeige auch, welche Rolle Zuschreibungen spielen. Die ehemals als ‹modern› geltende Schrift werde heute weithin mit Konservativismus, teilweise auch mit nationalistischer Rückwärtsgewandtheit in Verbindung gebracht. Die tatsächliche Verwendungsgeschichte spiele hier häufig keine Rolle, wie die Zuordnung dieser Schrift zum rechtsextremen Umfeld zeige, bei der häufig vergessen werde, dass ausgerechnet die Nationalsozialisten den Gebrauch der Fraktur 1941 verboten hatten.

In der Jugendszene und Werbung bekommt die Frakturschrift im Laufe der Zeit eine andere Bedeutung und wird nicht mehr mit dem Deutschen im engeren Sinne assoziiert.

Heute jedoch bekommt die Frakturschrift wieder eine neue Bedeutung. Die Vorliebe von Hip-Hop und Heavy-Metal-Musikgruppen für Frakturschriften wurde von der Werbung aufgegriffen und erscheint als Stilmittel auf T-Shirts und Werbeplakaten, die speziell junge Leute ansprechen. Fraktur ist hip. So werden die Assoziationen, die durch gebrochene Schriften hervorgerufen werden, nun durch die Verwendung in der Popkultur und Werbung neu umgedeutet.

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