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Finanzkrise

Die Grenzen der Modelle

Trägt die Wirtschaftswissenschaft eine Mitverantwortung an der Finanz- und Wirtschaftskrise? Die Modellwelt hat nicht versagt, aber es braucht mehr Erfahrungswissen in der ökonomischen Ausbildung, so das Fazit einer Veranstaltung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften.
Adrian Ritter
Empirische Forschung hatte immer wieder gezeigt, dass
risikoärmere Anlagestrategien langfristig eine höhere Performance aufweisen.

Zu komplex und noch unverstanden sei die derzeitige Finanzkrise, um einseitige Schuldzuweisungen etwa an kreditgierige Konsumenten oder bonusversessene Manager vornehmen zu können. Von einem Versagen der ökonomischen Modelle könne allerdings nicht die Rede sein.

Darin waren sich die Ökonomieprofessoren Felix Kübler (Financial Economics, UZH), Hato Schmeiser (Risikomanagement, Universität St. Gallen) und Christoph Lechner (Strategisches Management, Universität St. Gallen) an der Veranstaltung «Hat die Modellwelt versagt? Fragen an die Finanz- und Wirtschaftswissenschaften» vom vergangenen Freitag einig.

Christoph Lechner hatte die führenden ökonomischen Fachzeitschriften unter die Lupe genommen und festgestellt: «Was derzeit in der Weltwirtschaft passiert, steht nicht im Widerspruch zu der in den letzten Jahren publizierten Forschung.» Empirische Arbeiten hätten beispielsweise immer wieder gezeigt, dass risikoärmere Anlagestrategien langfristig eine höhere Performance aufweisen.

Ökonomische Modelle erst seit 30 Jahren

Einige Modelle hätten allerdings durchaus versagt, indem sie zu grobe Annäherungen an die Wirklichkeit enthalten haben, räumte Felix Kübler ein. So gingen einzelne Modelle etwa von vollkommenem Wettbewerb aus, was auf den Schweizerischen Bankensektor mit seinen marktbeherrschenden Grossbanken UBS und CS kaum zutreffe. Der Bankrott ganzer Banken sei in vielen Modellen auch nicht als Risiko enthalten. Vielmehr werde davon ausgegangen, dass in einem solchen Fall einfach eine andere Bank das Geschäft übernimmt.

Die Wirtschaftswissenschaften sind eine junge Wissenschaft und entsprechend viele Fragen seien noch unbeantwortet, waren sich Kübler, Lechner und Schmeiser einig. «Ökonomische Modelle gibt es erst seit rund 30 Jahren, insofern sind die Wirtschaftswissenschaften vergleichbar mit dem Stand der Physik um 1920», so Kübler.

Zu den ungeklärten Fragen gehören der Zusammenhang zwischen den Finanzmärkten und der Realwirtschaft, die Wirkung von Anreizsystemen für Manager oder die Auswirkungen komplexer Finanzprodukte. Auch die systematische Vernetzung von Risiken über einzelne Firmen hinweg sei zuwenig beachtet worden, so Lechner: «Solche Fragen haben wir uns nicht gestellt, diesen Vorwurf müssen wir uns gefallen lassen.»

Podiumsgespräch (von links): Chritsoph Lechner, Moderator Reto Lipp (SF DRS), Felix Kübler und Hato Schmeiser.

Vorsicht vor «Uriellas»

Kein Wunder also, dass auch die Wirtschaftswissenschaft von der Wucht der Krise überrascht worden ist? Modelle basieren auf einer Analyse der Vergangenheit und können die Zukunft nicht hervorsagen, betonten die Referenten. Wenn «Uriellas unter den Wissenschaftlern» etwas anderes behaupten, sollte man sich davor in Acht nehmen, so Lechner.

Modelle haben ihre Grenzen, die es zu kennen gilt, aber ohne sie geht in der heutigen Welt nichts mehr, gab sich Hato Schmeiser überzeugt. Modelle seien Hilfsmittel, um Situationen einzuschätzen. Dabei sei die Wissenschaft gefordert, möglichst präzise Instrumente zu entwickeln. Sabotiert würden diese Bemühungen, wenn Rating-Agenturen nicht offen legen, welche Modelle sie für ihre Risikoberechnungen benutzen, so Schmeiser.

Ebenfalls bedenklich sei es, wenn das Management nichts von differenzierten Modellberechnungen hören, sondern von ihren Analysten nur eine einzige Zahl auf den Tisch geliefert bekommen wolle, so Schmeiser. Kein noch so gutes Modell könne den Managerinnen und Managern die Entscheidung abnehmen, welche Risiken ihr Unternehmen eingehen soll, so Lechner.

Mehr Erfahrungswissen in der Lehre

Auch wenn die Modellwelt der Wirtschaftswissenschaft nicht versagt habe, orteten die Referenten doch Handlungsbedarf für die zukünftige Ausbildung von Ökonominnen und Ökonomen: «Wir haben nichts Falsches gelehrt, aber zuwenig vom Richtigen», so Lechner.

Der Stand der Forschung und die Grenzen der Modelle müssten klarer aufgezeigt werden. Die Ausbildung müsse «evidenzbasierter» werden, indem neben den Modellen das Erfahrungswissen einen angemessen Platz erhalte, ist Lechner überzeugt. So gebe es etwa unabhängig aller Modellrechnungen den Erfahrungswert, dass eine Versicherung nicht mehr als 15 bis 20 Prozent ihres Vermögens in Aktien anlegen sollte.

Hinter manch einem Wirtschaftsskandal stehe vor allem ein Mangel an gesundem Menschenverstand, so Hato Schmeiser. Ein anschauliches Beispiel dafür sei die Landesbank Sachsen, die 2007 zahlungsunfähig wurde. Das Bundesland Sachsen-Anhalt hatte zuvor eine Kreditgarantie geleistet, die den gesamten Landeshalt überstieg: «Da braucht es keine komplexen ökonomischen Modelle, um zu sehen, dass etwas nicht stimmen kann».