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Der Schwindel des Augenblicks

Das Werk von Robert Walser ist noch lange nicht erschlossen. Anlässlich seines 50. Todestages setzt sich ein internationales Robert-Walser Symposion mit dem eigenwilligen Autor auseinander. Am Mittwoch abend wurde das Symposion mit zwei Poetikvorträgen eröffnet.
Simona Ryser

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Robert Walser ist ein verschwiegen lächelnder Poet, dessen entlarvenden Blick man nicht entkommt – wenn man sich auf ihn einlässt. Im 50. Todesjahr von Robert Walser zeigt sich stärker denn je: der Autor und sein Werk sind noch lange nicht erschlossen. In den 70er Jahren wurde Walser wieder entdeckt, unterdessen ist sein Werk gewachsen, zerstreute Prosatexte wurden gesammelt, Mikrogramme entziffert, eine kritische Ausgabe ist in Planung, zahlreiche seiner Texte sind in verschiedene Sprachen übersetzt worden. Der Name Robert Walser ist aus dem gegenwärtigen literarischen Bewusstsein nicht wegzudenken. Autoren wie Literaturwissenschaftler, Übersetzer und Editoren sind gleichermassen angezogen von Robert Walsers Werk.

Am Eröffnungsabend hatten aber nicht die Wissenschaftler, sondern zwei Autoren das Wort: Brigitte Kronauer und Matthias Zschokke.

Literatur rettet «das Flüchtige im Leben vor seiner Verflüchtigung ins Banale». Rektor Prof. Hans Weder in seiner Eröffnungsansprache.

«Ich halte gegenüber Büchern wie Menschen ein lückenloses Verstehen eher für ein wenig uninteressant als erspriesslich», zitierte Rektor Prof. Hans Weder in seinem Eröffnungsvortrag Robert Walser und sieht darin ein zentrales Problem der Erkenntnis: das Unverstandene provoziere die Wissenschaft beträchtlich. Sie insistiere auf dem Verstehen, doch oft um den Preis der gewaltsamen Assimilation. Bücher und Menschen aber sollten nie diesen Rest an Fremdheit verlieren müssen, der bei aller Zuwendung unverstanden bleiben will. Literatur gebe Aufschluss über das Menschliche, erklärte Hans Weder. «Sie begleitet uns auf dem Weg zu unserem eigenen Menschsein und sie rettet, wenn alles gut geht, das Flüchtige im Leben vor seiner Verflüchtigung ins Banale.»

Nicht zuletzt ist Robert Walsers Literatur Anknüpfungspunkt für das Schaffen vieler zeitgenössischer Autoren. So waren es denn zwei Poetikvorträge, die den Auftakt für das Symposion bildeten: Brigitte Kronauer sprach über das Natürliche, Matthias Zschokke über das Dramatische bei Robert Walser.

Nicht Verschrobenheit, sondern «halsbrecherische Spottlust» sieht Brigitte Kronauer in Walsers Werk aufblitzen.

Allzu oft wurde Robert Walser vorschnell als reizend verschroben verharmlost, gerade aber diese Maske liebenswerter Skurrilität, so Brigitte Kronauer, – seine verblüffenden Drehungen in Syntax und Tonfall, seine spöttischen Nachfragen – entlarve die Zwangsverstellungen der Gesellschaft, in der keine Selbstverständlichkeit mehr existiere. «Das, was wir so gern für natürlich halten, stellt Walser humorvoll und mit geniesserischer Tücke auf einen gläsernen Boden und schon verkrampft es sich, ertappt vom eigenen Spiegelbild.» Der «heimliche Meister der Moderne», so Kronauer, wirft den Zersetzungsblick mit «artistischer, manchmal halsbrecherischer Spottlust» auf sich, auf die Gesellschaft und deren Maskeraden. Dabei sucht er den puren, den durch nichts bevormundeten Blick.

Authentizität, die sich nicht «nachwalsern» lässt: Matthias Zschokke über das Dramatische bei Walser.

Auch Matthias Zschokke insistierte in seinen Ausführungen auf dem Moment des Unverstellten. «Seine Texte entziehen sich selbst fortlaufend den Boden, um diesen Schwindel des wahrhaftigen Augenblicks immer neu zu erzeugen», so Zschokke. Ebenso suche der Schauspieler nach grösster Authentizität im Ausdruck. Er möchte die Liebe, den Tod unverstellt, unmittelbar darstellen. Er möchte überrascht werden vom eigenen Tonfall, von den eigenen Gesten. Er möchte nicht darstellen, dass er liebt, dass er stirbt, sondern er möchte lieben und sterben. Genau diese Unmittelbarkeit aber mache es aus, dass Walser nicht «nachzuwalsern» sei. Seine Sätze liessen sich nicht vereinnahmen, sie liessen sich nicht in einem Metatext auflösen – auch nicht nach Brecht, nach Derrida. «Walser kann man nicht spielen, man muss ihn sein», meinte Zschokke. Deshalb lasse er das Überschreiben und Walsern bleiben. «Etwas, was lebt, kann nicht mit Leben erfüllt werden», schloss der Autor seinen Poetikvortrag und verneigte sich vor dem alten Walser.