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Tag- und Nachtseiten der Wissenschaft

Gestern wurde an der Universität Zürich der «cogito»-Preis verliehen. Den mit 50'000 Franken dotierten Preis erhielt Professor Hans-Jörg Rheinberger, Direktor am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Der Wissenschaftshistoriker hat vor allem Forschungsprozesse, die auf Experimenten beruhen, in ihrem historischen Kontext untersucht. Sein Disziplinen übergreifender Blickwinkel dabei hat die «cogito foundation» überzeugt. 
Marita Fuchs

«Hans-Jörg Rheinberger ist nicht den Panoramaweg gegangen, sondern den Weg durchs Unterholz, und dieser Weg hat ihn ins Paradies geführt», sagte Stiftungsrat Professor Rüdiger Wehner in seiner Laudatio über die beachtliche wissenschaftliche Laufbahn des «cogito»-Preisträgers 2006. Hans-Jörg Rheinberger hatte ursprünglich Philosophie studiert, später Biologie und Chemie. Er arbeitete bis zu seiner Habilitation als Molekulargenetiker. Danach wandte er sich der Wissenschaftsgeschichte zu. Seit 1996 ist er Direktor des Max-Planck-Institutes für Wissenschaftsgeschichte in Berlin. Durch sein breites Disziplinen übergreifendes Wirken habe Hans-Jörg Rheinberger, so Wehner, eine Wende in der Wissenschaftsgeschichte herbeigeführt.

Rheinbergers wissenschaftshistorische Analysen belegten, dass sich Forschungsprozesse, die auf experimentellen Modellsystemen beruhen, schrittweise und unvorhersehbar entwickeln, führte Wehner aus. Dabei habe Rheinberger sich zuweilen auch als Detektiv betätigen müssen. So habe er Carl Correns' «Wiederentdeckung» der Mendelschen Gesetze vor 100 Jahren anhand von nachgelassenen Arbeitsnotizen rekonstruiert. «Wenn es den «cogito»-Preis nicht schon gäbe, so hätte er für Hans-Jörg Rheinberger erfunden werden müssen», sagte Wehner.

Die Stiftungsräte überreichen Urkunde und Check: Rüdiger Wehner, Hans-Jörg Rheinberger, Irene Aegerter und Simon Aegerter (v.l.).

Tappen im Dunkeln

Die Verleihung des «cogito»-Preises 2006 fand gestern in der Aula statt. Der geehrte Hans-Jörg Rheinberger sprach aus diesem Anlass «Über die Kunst, das Unbekannte zu erforschen». Im Zentrum seines Vortrags stand die Frage «Wie kommt es zu Neuem in der Wissenschaft?»

Wissenschaft stellt sich in der Öffentlichkeit vor allem dann dar, wenn Neuerungen und Erfolge gemeldet werden. Von der eigentlichen Routinearbeit und manchmal langjährigem Suchen dagegen wissen Laien wenig. Bei seiner Arbeit bewege sich die Wissenschaftlerin oder der Wissenschaftler im Dunkeln. Sie oder er hoffe, auf eine Goldgrube zu stossen, sei aber auch immer von der Angst begleitet, niemals auf eine zu treffen, sagte Rheinberger.

Blick aufs Detail als Motor der Forschung

Er habe bei der Suche nach dem Kern wissenschaftlicher Arbeit experimentelle Umgebungen im historischen Kontext untersucht. Die Beschränkung des Wissenschaftlers auf seine Experimente, die immer nur einen Ausschnitt des Geschehens betreffen, habe sich letztendlich als Motor der modernen Forschung herausgestellt. Die Eingrenzung auf einzelne Experimente sei demnach keine verhängnisvolle Spezialisierung, sondern Voraussetzung für die Beweglichkeit moderner Forschung.

Alphornklänge von der Empore: Künstler der Gruppe «stimmhorn» sorgten für die musikalische Begleitung.

«Das Neue ereignet sich weniger in den Köpfen der Wissenschaftler – wo es letztlich allerdings ankommen muss – als vielmehr im Experimentalsystem selbst», führte Rheinberger aus. Da Systeme nicht völlig isoliert voneinander existierten, ergäben sich mit der Zeit Verknüpfungen, die sich wie ein Flickenteppich ergänzen würden.

Schreiben als Experimentalsystem

Wie verhält es sich jedoch mit den Geisteswissenschaftlern, die ja nicht im Labor arbeiten? Für den Wissenschaftshistoriker sei zum Beispiel das Archiv und dessen Durchforstung eine Quelle der Erkenntnis. So manches Unbekannte könne ans Licht gebracht werden, so Rheinberger. Vor allem lehre die Arbeit im Archiv eines: Entdeckungen seien eigentlich nie auf die Weise gemacht worden, wie sie im öffentlichen Raum – sei es in Publikationen oder in Erinnerungen – dargestellt werden. Die Ordnung der Entdeckung und die Ordnung der Darstellung in der Wissenschaft seien zwei verschiedene Dinge.

Die wichtigste Quelle des Neuen sei für den Geisteswissenschaftler aber das Schreiben selbst. «Das Schreiben, so behaupte ich, ist selbst ein Experimentalsystem. Es ist eine Versuchsanordnung», sagte Rheinberger. Ebenso wie die Experimente in den Naturwissenschaften forme die Schrift Bahnen des Denkens vor. Auf diese Spuren könne man zurückkommen und wieder darüber hinausgehen. Jedoch seien die Wissenschaftler auch bei diesem Prozess der Dunkelheit ausgesetzt und müssten hoffen, auf die ersehnte Goldgrube zu stossen.

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