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Frei ist, wer wählen kann

Im Rahmen der Brainfair widmete sich ein Podiumsgespräch der Frage, ob Menschen einen freien Willen haben und was darunter zu verstehen ist. Da «Wille» neurobiologisch kaum zu definieren sei, müsse sich die Forschung am gezeigten Verhalten orientieren, so das Fazit der vier Forscherinnen und Forscher.
Adrian Ritter

Der Andrang war gross vor dem Auditorium Maximum der ETH Zürich am 21. Mai. Hören und sehen wollten die Besucherinnen und Besucher Fachpersonen, die sich mit Fragen des Gehirns und dem sogenannten «freien Willen» aus philosophischer, neurobiologischer und gerichtspsychiatrischer Sicht beschäftigen.

Grossandrang im Auditorium Maxium der ETHZ

Gemäss Prof. Mario Wiesendanger, Neurophysiologe an der Universität Fribourg, kann der Begriff des Willens neurobiologisch nicht definiert werden. Trotz Sprache, Ethik und juristischem Überbau unserer Gesellschaft spiele in unserem Handeln immer auch das biologische Erbe in Form etwa von Trieben und Motivationen mit.

Mario Wiesendanger betont, dass das biologische Erbe des Menschen das Handeln immer mitbestimme.

Meinungsunterschiede im Gehirn

Noch komplexer wird es, wenn linke und rechte Gehirnhälfte ein Phänomen unterschiedlich bewerten. Prof. Marianne Regard, Neuropsychologin am Universitätsspital Zürich, untersucht solche Phänomene sowohl bei gesunden Menschen wie auch bei solchen, deren Hirnhälften zum Beispiel wegen ausgeprägter Epilepsie getrennt werden mussten («split brain»).

Marianne Regard untersucht die Reaktionen der linken und rechten Gehirnhälften.

In beiden Fällen kann es vorkommen, dass die beiden Hirnhälften beispielsweise Fotos von Personen betreffend derenSympathie unterschiedlich einstufen, also eigentlich «zwei Willenssysteme vorhanden sind», so Regard. Wenn Reize der linken Gesichtshälfte und damit der rechten Hirnhälfte präsentiert werden, scheinen die Urteile dabei oft negativer auszufallen.

Sklave der Unsportlichkeit?

Für Dr. Frank Urbaniok, Chefarzt des Psychiatrisch-psychologischen Dienstes im Justizvollzug des Kantons Zürich, stellen sich Fragen nach dem freien Willen von Menschen im Zusammenhang mit Straftaten. Wenn Kritiker des Strafrechts behaupten, der Mensch habe keinen freien Willen, sondern sei Sklave der Mechanik seines Gehirns und darum gar nicht schuldfähig, sei diese Argumentation nicht haltbar.

Frank Urbaniok betont, dass man im Strafvollzug abwägen müsse, wie stark jemand eingeschränkt ist, sich einen eigenen Willen zu bilden und Entscheidungen zu treffen.

Es müsse unterschieden werden zwischen «Bedingtheit» und «Determination». Dass menschliches Verhalten auf biologischen Grundlagen beruht, sei eine banale Aussage. Keineswegs könne daraus auf eine hundertprozentige Determiniertheit des Menschen geschlossen werden. «Wenn ich von mir selber weiss, dass ich in meinem Leben auch in Zukunft keine Medaille bei Olympischen Spielen gewinnen werde, so ist dies kein Grund, zu behaupten, ich sei ein Sklave meiner Unsportlichkeit.»

Die Frage laute vielmehr: Ist ein Mensch in seiner Psyche so eingeschränkt, dass er nichts mehr entscheiden kann? Nicht im Gehirn, sondern im Verhalten sei deshalb auch bei Straftätern danach zu suchen, wie stark jemand eingeschränkt ist, sich einen eigenen Willen zu bilden und Entscheidungen zu treffen. Zusammen mit Tatmusteranalysen wird so versucht, eine Risikoeinschätzung vorzunehmen.

Laut Peter Bieri eignet sich der Begriff «Wille» nicht für einen Diskurs in der Gehirnforschung.

Grobkörniger Begriff

Prof. Peter Bieri, Philosoph an der Freien Universität Berlin, zeigte sich erstaunt, dass die Diskussion um den freien Willen in den letzten Jahren wieder heftiger wurde. «Es ist dieselbe Diskussion wie schon im 19. Jahrhundert und neue wissenschaftliche Erkenntnisse dazu liegen gar nicht vor.» Er führt die Heftigkeit eher auf «journalistische Aufgeregtheit» zurück. Auch für Bieri ist der«Wille» neurobiologisch nicht zu fassen. Das liege auch daran, dass der Begriff selber zu global und «grobkörnig» sei. Er eigne sich damit zwar für alltagspsychologische Beschreibungen, aber auch in Zukunft nicht für den Diskurs in der Gehirnforschung.

Zubeissen oder auswählen

Die Podiumsteilnehmenden betonten mehrmals, dass das beobachtete Verhaltensspektrum ausschlaggebend sei bei der Frage nach der Entscheidungsfähigkeit von Menschen. Dabei seien deutliche Unterschiede festzustellen, etwa zum Tierreich, so Marianne Regard. «Stellen Sie sich vor, Ihnen tritt im Tram jemand auf den Fuss. Einem Affen bleibt nichts anderes übrig, als zuzubeissen. Ihnen als Mensch aber stehen unzählige Möglichkeiten des Handelns offen.»

Mit dem Wetter zum Entscheid

Wenig Sorgen machen muss sich demnach auch eine Besucherin im Publikum, die sich darüber wunderte, dass die Entscheidungsfindung oft so «fragil» sei und man sich daher doch gar nicht richtig darüber freuen könne: «Ich habe mir überlegt, ob ich an dieses Podiumsgespräch kommen soll. Ausschlaggebend war schlussendlich meine Einschätzung, wie das Wetter sich heute wohl entwickeln wird.»

Darüber könne sie sich durchaus freuen, meinte Frank Urbaniok. Sie habe flexibel entscheiden können - «in Richtung Unfreiheit würde es nur gehen, wenn Sie jedes Mal bei Regen zwanghaft in einen Vortrag gehen müssten und dies bei Sonnenschein unmöglich schaffen würden.»