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Psychologie

Die Macht des Kuschelhormons

Liebesglück ein Leben lang? Die Natur hilft uns dabei: Oxytocin macht uns sanftmütig und unterstützt die Beziehungsfähigkeit. Psychologen der Universität Zürich sind dem Wirken des Hormons auf der Spur. Dafür, dass die Zweierkiste hält, müssen wir aber schon selber sorgen.
Roger Nickl

Sie sieht ihn, er sieht sie – Liebe auf den ersten Blick. Es funkt heftig gleich zu Beginn der Liaison und die Folgen sind ganz unmittelbar. Das Paar verbringt eine wilde Liebesnacht und – bleibt danach ein Leben lang zusammen. Was wie die Kurzzusammenfassung eines Groschenromans klingt, ist die entscheidende Episode im Liebesleben der Präriewühlmäuse. Denn die graubraunen Nager aus der amerikanischen Steppe sind Meister der Monogamie. Nach der ersten Liebesnacht baut sich das Paar ein Nest und zieht gemeinsam den Nachwuchs auf. Sogar über den Tod hinaus bleiben sich die kleinen Pelztiere verbunden: Wenn einer der Partner stirbt, bleibt der andere für den Rest seines Lebens allein. Treue pur.

Davon können viele von uns nur träumen. Die Sehnsucht nach dem beständigen Liebesglück widerspiegelt sich in einer Umfrage, die die Zürcher Soziologin Evelina Bühler bei Benutzerinnen und Benutzern der Online-Kontaktbörse PartnerWinner.ch gemacht hat: Über die Hälfte der rund 4000 Befragten mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren suchten per Internet eine «dauerhafte Liebesbeziehung». Entsprechend stellten sich die Partnersuchenden das Liebesglück vor. Auf die Frage «Was ist Liebe?» antworteten sie am häufigsten: Vertrauen, Treue und Geborgenheit. Zärtlichkeit und Sex belegten erst die Plätze fünf und sechs. Und die Leidenschaft landete etwas abgeschlagen auf Platz zwölf.

Bei Zärtlichkeiten und Sex scheidet der Körper Oxytocin in grösseren Mengen aus. Das Hormon wirkt, einer Droge nicht unähnlich, euphorisierend oder beruhigend.

Auf Treue programmiert

Was aber macht das so ersehnte Liebesglück auf Dauer aus? Im Fall der Präriewühlmäuse fanden die Forscher eine Antwort im Hormonhaushalt der Tiere. Oxytocin heisst des Rätsels Lösung. Tom Insel von der Emory University und Sue Carter von der University of Illinois konnten mit Experimenten zeigen, dass das Hormon hilft, soziale Nähe herzustellen und Partner aneinander zu binden. Dem Neuropeptid wurde deshalb auch schon das Etikett «Kuschelhormon» aufgeklebt. Bei den intensiven Liebesspielen der Präriewühlmäuse werden grosse Mengen Oxytocin freigesetzt und das Gehirn so quasi auf die Nähe des Partners programmiert. Indem sie das Hormon spritzten, konnten die amerikanischen Forscher zeigen, dass sich Mäusepaare auch ohne erste Liebesnacht lebenslänglich aneinander binden. Aber auch das Gegenteil gelang den Wissenschaftlern im Labor: Wurde die Ausschüttung des Hormons unterdrückt, fanden die Partner auch nach der im Mäuseleben so entscheidenden ersten Liebesnacht kein längerfristiges Interesse aneinander.

Nicht nur im Liebesleben der Prärienager spielt Oxytocin eine Rolle. Auch für den Menschen hat das Hormoneine wichtige Funktion. Oxytocin wird vom Hinterlappen der Hypophyse, der Hirnanhangdrüse, die etwa auf Nasenhöhe mitten im Kopf sitzt, abgesondert. Es gilt als typisches «Frauenhormon», da es die geburtserleichternde Kontraktion der Gebärmutter, aber auch die Laktation, das Einschiessen der Milch in der Mutterbrust bewirkt. Neben diesen physiologischen Effekten beeinflusst das Hormon aber auch das Verhalten. Es nährt den Mutterinstinkt und soll ganz allgemein stabilisierend auf Beziehungen wirken. Auch bei Zärtlichkeiten und beim Sex wird Oxytocin bei Frauen und Männern erhöht ausgeschieden. Das Hormon wirkt in grösserer Konzentration, einer Droge nicht unähnlich, euphorisierend oder beruhigend.

Mehr als schöne Worte

Der Psychologe und Hormonforscher Markus Heinrichs von der Universität Zürich und sein Team gehörten weltweit zu den Ersten, die die Wirkung von Oxytocin beim Menschen untersucht haben. Heinrichs interesseriert sich etwa dafür, wie das Treuehormon das Verhalten von streitenden Partnern oder von Scheidungspaaren beeinflusst, entsprechende Experimente sind momentan in Planung. Bereits experimentell nachgewiesen haben die Forscher der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie den Einfluss zärtlicher Berührungen auf den Oxycotin-Haushalt des Körpers.

In einem Experiment hat die Doktorandin Beate Ditzen 75 Probandinnen untersucht. Die Psychologin wollte wissen, wie sich die Unterstützung von Partnern auf das Stressverhalten der Frauen auswirkt. Sie wurden deshalb dem «Trier Social Stress Test» unterzogen: Die Versuchspersonen mussten vor Publikumunvorbereitet sprechen und Kopfrechenaufgaben lösen. Zur Vorbereitung und Einstimmung auf den Test wurde ein Drittel der Frauen von ihren Partnern verbal unterstützt, ein weiterer Drittel wurde – wortlos – vom Partner an Schulter und Rücken massiert. Der letzte Drittel kam allein und ohne Vorbereitung zum Test. Im Verlauf des Experiments wurden den Probandinnen drei Mal Blutproben entnommen, um die Oxytocin-Werte, aber auch die Menge des Stresshormons Cortisol zu ermitteln.

Die Resultate zeigten, dass sich die zärtliche Berührung durch den Partner positiv auf den Umgang mit sozialem Stress auswirkte. Auf die Testsituation reagierten zwar alle Versuchspersonen mit Stress. Im Gegensatz zu den beiden anderen Testgruppen waren die Frauen, die zuvor einen intensiven Körperkontakt mit ihren Partnern hatten, aber deutlich ruhiger und setzten weniger Stresshormone frei. Das durch den Körperkontakt in erhöhter Dosis ausgeschüttete Oxytocin reduzierte also die Angst und den Stress in der Prüfungssituation. Was bei den Präriewühlmäusen aus der amerikanischen Steppe beobachtet wurde, scheint sich auch im Humanexperiment zu bestätigen: Zärtlichkeit und Sex stimulieren die Hormone aus der Hirnanhangdrüse. Diese wiederum machen uns sanftmütig und offen, sie fördern unsere Fähigkeit, Beziehungen aufzubauen, soziale Nähe zuzulassen und Vertrauen zu anderen zu fassen. Denselben positiven Effekt des Hormons hat Markus Heinrichs bereits zuvor in einem ähnlichen Experiment bei Männern festgestellt.

Die positive Wirkung von Oxytocin auf das Sozialverhalten will Markus Heinrichs nun auch für die Praxis nutzbar machen. Denn neben der Hormonforschung ist der klinische Psychologe auch als Psychotherapeut tätig. «Bei der Behandlung von sozialen Angststörungen – der dritthäufigsten psychischen Störung überhaupt – haben wir heute eine Erfolgsquote von 60 bis 65 Prozent», sagt Heinrichs, «das ist zu wenig.» Deshalb will der Wissenschaftler und sein Teamnun mit Unterstützung des Schweizer Nationalfonds untersuchen, ob die positive Wirkung von Oxytocin auch zur Unterstützung von Patientinnen und Patienten in der Psychotherapie eingesetzt werden könnte. Beispielsweise bei der Behandlung von Sozialphobikern, Menschen also, die an einer ständigen Furcht vor sozialen Kontakten leiden. Oder bei der Therapie von Autisten.

«Es wäre schön, wenn Patienten durch den Einsatz von Oxytocin nicht mehr 50, sondern nur noch 10 Stunden in die Psychotherapie kommen müssten», sagt Markus Heinrichs. Doch das ist Zukunftsmusik. Im Moment betreiben die Zürcher Forscherinnen und Forscher harte Grundlagenforschung. «Wir stehen total am Anfang», betont der Psychologe. Die Hoffnung aber bleibt bestehen, dass das Hormon, das in unserem Liebesleben eine so wichtige Rolle spielt, auch jenen helfen könnte, für die jede Beziehung fast ein Ding der Unmöglichkeit ist.

«Es gibt kein Generalabo»

Hirn und Hormone: Die Biochemie unserer Gefühlswelt zu ergründen, liegt heute im Trend der Forschung. Unsere Beziehungsfähigkeit und unser Liebesleben aber auf das Spiel körpereigener Botenstoffe zu reduzieren, greift natürlich zu kurz. Hormone sind zwar ein Zeichen dafür, dass unser Körper und unsere genetische Ausstattung unser Verhalten mit beeinflussen. Viele der Fragen unseres komplexen Soziallebens lassen sich mit dem Blick auf körperliche Prozesse aber nicht beantworten. Wie finde ich das Liebesglück auf Dauer? Wie schaffen wir es, dass die Liebe nicht in der Zweierkiste begraben wird? Was tun, damit die Beziehung im Hafen der Ehe nicht auf Grund läuft? Im Zeitalter stetig steigender Scheidungsraten, sind diese Fragen aktuell wie nie zuvor.

Der Psychiater, Psychotherapeut und ehemalige Chefarzt der Psychiatrischen Poliklinik des Zürcher Universitätsspitals Jürg Willi hat sich wohl so intensiv wie wenige andere mit den Geheimnissen dauerhafter Liebesbeziehung beschäftigt. Willi gilt als Vorreiter der Paartherapie im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher, «Was hält Paare zusammen?» beispielsweise oder die «Psychologie der Liebe», sind zu Bestsellern geworden. Neben seinen therapeutischen Erfahrungen hat der Wissenschaftler Paaren in langjährigen Liebesbeziehungen auch in diversen Umfragen auf den Zahn gefühlt. Was sind ihre Geheimnisse?

«Für eine lang dauernde Partnerschaft ist das Schaffen einer gemeinsamen Welt mit geteilten Werten und einem gemeinsamen Gedächtnis wichtig», sagt Jürg Willi, «Paare sehen die Welt stereoskopisch.» Dadurch, dass die Partner lernen, die Umwelt auch durch die Augen des andern zu sehen, wird sie vielschichtiger. Sie erhält, um im Bild des Stereoskops zu bleiben, mehr Tiefenwirkung. Die gemeinsame Sicht der Dinge gibt dem Liebesglück wiederum Halt. Dies zeigten auch Untersuchungen, die der Paarforscher durchgeführt hat: «Die Identifikation mit der Partnerbeziehung nimmt im Lauf der Zeit zu», erklärt Willi. Dies, obwohl bei «alten» Paaren, wie man weiss, der für den Bestand der Liebe so wichtig eingeschätzte Sex immer weniger im Zentrum der Beziehung steht und das Oxytocin wohl auch etwas weniger fliesst.

Doch was passiert, wenn diese gemeinsame Welt in Brüche geht? «Die Liebe geht kaputt, wenn die Vision zerbricht, dass ich den anderen im innersten Kern erreichen kann und umgekehrt, dass ich selbst als Ich verstanden und beantwortet werde», sagt Jürg Willi. Deshalb ist die Fähigkeit zur Auseinandersetzung zentral für ein dauerhaftes Liebesglück. «Ein übertriebenes Harmoniebedürfnis ist fatal, die brisanten Themen dürfen in einer Beziehung nicht ausgeklammert werden», erklärt der Psychiater und Paartherapeut. Und: «Nichts im Erwachsenenleben fordert die persönliche Entwicklung so heraus wie eine Liebesbeziehung. Dazu gehört insbesondere die wechselseitige Kritik.» Das tönt selbstverständlich und banal, ist es aber nicht. Dies zeigen die Paare, die sich in der Beziehungskrise an den Therapeuten wenden. Allgemeingültige Rezepte, wie die Klippen einer Krise zu umschiffen sind, mag der Paarforscher letztlich aber keine geben. «Es gibt kein Generalabo», sagt Willi. Wen wunderts: Im Vergleich zu den auf Treue programmierten Präriewühlmäusen ist unser Liebesleben unendlich facettenreich. Zum Glück.

Roger Nickl ist Redaktor des unimagazins.