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Unsere Reise führte uns von Kabul aus nach Bamiyan, Herat und Jalalabad. In den Städten Kabul, Bamiyan und Jalalabad bot sich das gewohnte Bild institutionalisierter Trostlosigkeit, und es darf die berechtigte Frage gestellt werden, was denn die Weltgemeinschaft im Allgemeinen und die International Security Assistance Force (ISAF), die KabulMultinational Brigade (KMNB) sowie die Koalitionsstreitkräfte im Speziellen in Afghanistan zur Verbesserung derSituation beitragen. Wie bei mehreren Gelegenheiten beobachtet werden konnte, sind die verschiedene Streitkräfte intensiver mit den eigenen Problemen, das heisst vor allem mit dem Schutz ihrer Soldaten beschäftigt als mit solchen, deren Lösung Aufgabe von Besatzungstruppen wäre: Wasserversorgung, Gesundheits- und Verkehrswesen.
Auch am Vorabend der Wahlen zeigen sich Afghanistans Städte gewohnt hektisch und seine Dörfer ruhig. Kaum etwas lässt im Alltag darauf schliessen, dass in wenigen Tagen, am 9. Oktober 2004, die ersten freien Wahlen stattfinden werden, klebten nicht unzählige Wahlplakate an Hauswänden, Litfasssäulen, Autos usw. Afghanistan wählt, entweder Präsident Hamid Karzai oder dann aber einen der 17 Gegenkandidaten, Frau Massouda Jalal mit eingerechnet. Ob die Wahlen zur Farce verkommen, bleibt abzuwarten. Es ist aber anzunehmen, vergegenwärtigt man sich die Berichterstattung über die Verteilung der Wahlzettel.
Weniger als eine Million Wahlzettel wurden in den ersten Monaten verteilt. Kurz darauf wurde im Stile einer Siegesbotschaft verkündet, dass nun bereits gegen 8 Millionen Wahlzettel an den Mann bzw. die Frau gebracht worden seien– innert weniger Wochen. Dabei hatte man doch in Kabul mit der Verteilaktion begonnen und nicht in den mühsam zugänglichen Provinzen. Und nebenbei bemerkt: ein Garnisonskommandant der Afghan National Army (ANA) berichtete uns, Hamid Karzai habe ihm persönlich zu wählen verboten. Ohnehin stellt sich die Frage, wie es nach den Wahlen weitergehen soll, brachte doch die Regierung Karzai offensichtlich nicht das, was sie versprach. Das gilt im Übrigen auch für die internationale Staatengemeinschaft.
Dass diese Eindrücke nicht trügerisch sind, sondern einen realen Hintergrund haben, zeigt sich auch in Gesprächen mit afghanischen Entscheidungsträgern. Die allgemeine Sicherheitslage in Afghanistan, mit Ausnahme der ständigen Unruheprovinzen im Osten und Südosten, wird von den Entscheidungsträgern als relativ ruhig bezeichnet. Dies sei jedoch nicht den Aktivitäten der ISAF und KMNB bzw. der Koalition zu verdanken, sondern der Tatsache, dass ein breit abgestützter, wohlorganisierter Aufstand bisher ausgeblieben sei. Für die Zeit nach den Wahlen wird ein solcher von den Entscheidungsträgern jedoch nicht ausgeschlossen. Im Gegenteil: Sowohl bei regierungsunabhängigen Entscheidungsträgern (Oppositionspolitikern) als auch bei der Bevölkerung machen sich Resignation und Frustration aus verschiedenen Gründen bemerkbar.
Die Situation der einfachen Bevölkerung ist nach wie vor erbärmlich. Für sie erodiert damit nicht nur die Legitimation der Regierung Karzai, die notorisch Versprechungen abgibt und sie nicht hält, sondern auch diejenige für die Präsenz ausländischer Hilfsorganisationen und Streitkräfte. Gerüchte, die Wahlen würden gefälscht, tragen das ihrige dazu bei, das gegenseitige Misstrauen zu verschärfen und die Situation weiter anzuheizen. Dieses Klima der allgemeinen Unsicherheit und Unzufriedenheit könnte laut den meisten Entscheidungsträgern zu einer weiteren Radikalisierung beitragen, die von innen- und aussenpolitischen Akteuren ausgenützt werden und so in einen weiteren Bürgerkrieg münden könnte.
Sowohl die Universität Zürich als auch die ETH Zürich versuchen in dieser schwierigen Situation einen Beitrag zur Verbesserung der Situation beizutragen. Die Universität Zürich engagiert sich gemeinsam mit der «Ostschweizer Hilfe für Afghanistan» zugunsten des Spitals Herat, und die ETH Zürich baut zu ihrem 150-jährigen Jubiläum ein Begegnungszentrum auf dem Campus der Universität Bamiyan. Das Vertrauen und die Hoffnung, die von verschiedenen Stellen beiden Projekten entgegengebracht wurden, streichen ihre besondere Bedeutung in diesem kriegsversehrten Land heraus, das Hilfe von aussen braucht. Dies obwohl in Herat, aber auch in Kabul, die afghanische Eigeninitiative zuweilen bemerkenswerte Resultate zeitigt und hoffen lässt, dass die Lunte des Pulverfasses «Unzufriedenheit» noch einmal rechtzeitig gelöscht werden kann.