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Stadtentwicklung

Von guten und schlechten Adressen

Noch zu Beginn der 90er Jahre war es unvorstellbar, dass der Kreis 5 wie heute zu den begehrtesten Wohnadressen Zürichs gehören könnte. – Diese und andere soziale Entwicklungen der Wohngegenden in Stadt und Agglomeration zwischen 1990 und 2000 hat eine neue Studie des Geographischen Instituts der Universität Zürich untersucht.
Simona Ryser

Wer wohnt in der Agglomeration? Eine Studie des Geographischen Instituts zeichnet die soziale Entwicklung des Wohn- und Lebensraums in und um Zürich nach.

Kaum zu glauben, einst fürchtete man um Zürichs Zukunft, einige Politiker sprachen gar von Verödung. Es gab die offene Drogenszene. Am Escher-Wyss-Platz wurde Eisen gegossen und in Oerlikon wurden Waggons gebaut. Im Arbeiterquartierwohnte, wer es sich nicht leisten konnte wegzuziehen. Wer hätte sich 1990 schon vorstellen können, dass die besten Adressen Zürichs eines Tages nicht nur am Zürichberg, sondern auch im Kreis 5 zu finden sind? Und wer hätte gedacht, dass man freiwillig und auch noch gerne in diesen Stadtquartieren leben möchte?

Aufwertung der Innenstadt

Dass die Stadt Zürich attraktiver geworden ist, belegt eine Studie von Corinna Heye und Heiri Leuthold vom Geographischen Institut der Universität Zürich. Die Autoren haben die Umzugsdynamik und die sozialräumlichen Veränderungen in der Stadt Zürich zwischen 1990 und 2000 untersucht. Sie verzeichnen eine starke Aufwertung der Innenstadt als Wohn- und Lebensraum. Grundlage für die Untersuchung waren die Zahlen des Bundesamts für Statistik von 1990 und 2000 und Umzugsdaten der Einwohnerkontrolle der Stadt Zürich.

Die Studie der beiden Geographen bestätigen die Entwicklungen der letzten Jahren. Die Stadt ist stark aufgewertet worden, während die soziale Marginalisierung, die Anfang der 90er Jahre noch für die Innenstadt reklamiert wurde, sich an den Stadtrand und die inneren Agglomerationsgürtel verlagert hat. Gründe für die Umwälzungen sind etwa die modernen Lebensformen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, so Heye und Leuthold.

Individualisierte Lebensstile

Lange Zeit war die Stadt Ort zum Arbeiten, nicht aber zum Leben. Ganz gemäss dem Ideal der 50er Jahre spielte sich das Leben im Privaten ab, im Kreis der Familie, möglichst getrennt vom Arbeitsort. Man arbeitete in der Stadt und lebte auf dem Land, wenn man es sich leisten konnte. Dies führte zu einer Abnahme der Einwohnerzahlen der Kernstadt. Noch 1990 sprach man von der zunehmenden Vernachlässigung der Städte. Mitte der 90er Jahre kehrte der Trend um und ein Reurbanisierungsprozess setzte ein.

Die Studie zeigt auf, dass sich zwischen1990 und 2000 neben dem traditionell-bürgerlichen Lebensstil modernere individualisierte Lebensstile entwickelt haben. Die Stadt wird von der modernen Mittelschicht als Wohnort wieder entdeckt. Kinderlos geniesst man erst einmal das Stadtleben. Viele leben allein. In der Innenstadt wohnen rund ein Drittel aller 30- bis 49-Jährigen in einem Einpersonenhaushalt, während es an den Agglomerationsrändern nur rund 15 Prozent sind. Oder man teilt sich die Wohnung mit Bekannten: Die Wohngemeinschaft hat sich inzwischen als moderner Haushaltstyp etabliert, der nicht nur den Jugendlichen vorbehalten ist. Allerdings findet sich diese Form beinahe ausschliesslich in der Innenstadt. Dort leben mehr als 10 Prozent aller 30 – bis 49-Jährigen in WGs.

Soziale Herkunft entscheidend

Eine wichtiger Faktor für die Umzugsbewegungen in Stadt und Agglomeration Zürich ist der soziale Status. Die Innenstadt wird vor allem von so genannt statushohen, also gut situierten Personen bewohnt: Die feinen Adressen des oberen Kaders, der Manager und Akademikerinnen finden sich vornehmlich am Zürichberg oder aber in den Trendquartieren im Kreis 5 und in Wipkingen. Die schlechteren Adressen Zürichs liegen in der Flughafenregion und im linksufrigen Limmattal. In diesen Regionen wohnen viele Personen mit so genannt statusniedrigen, das heisst ungelernten Berufen.

Interessant ist auch die sozialgeographische Verteilung der ausländischen Bevölkerung. Die Studie zeigt nicht etwa eine Segregation nach ethnischer Herkunft auf - wie dies beispielsweise in US-amerikanischen Grossstädten typisch ist -, sondern eine Segregation nach sozialer Herkunft. Ausländerinnen und Ausländer aus Südeuropa siedeln sich tendenziell in Regionen an, in denen auch sozial schwächere Schweizerinnen und Schweizer wohnen. Ausländerinnen und Ausländer mit west- und nordeuropäischer Herkunft residieren vorwiegend an den guten Adressen, etwa am Zürichberg oder in den Seegemeinden. Entsprechend statushoch sind die Berufe, die sie ausüben. Punkto sozialem Status übertreffen sie gar die schweizerische Durchschnittsmarke.

Fazit: Was wir seit längerem geahnt haben, belegt nun diese spannende Studie detailgetreu und differenziert. Zürich ist schön und teuer. Aber es gibt durchaus auch die halb guten Adressen, an denen es sich ganz gut leben lässt.

Simona Ryser ist freie Journalistin.