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«Kommunikativer Kolonialismus»?

Der digitale Graben, der die globale Informationsgesellschaft durchzieht, steht im Mittelpunkt des morgen, 10.12., beginnenden UNO-Weltgipfels in Genf. Über Hintergründe und Erwartungen an den Anlass hat unipublic mit dem Zürcher Publizistikwissenschaftler Heinz Bonfadelli gesprochen.
Roger Nickl

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Herr Professor Bonfadelli, der Genfer UNO-Weltgipfel über die Informationsgesellschaft ist ein Grossanlass, an dem Delegierte aus über 150 Ländern teilnehmen. Wie wichtig ist eine solche Veranstaltung?

Heinz Bonfadelli: Sie ist schon sehr wichtig. Erstmals seit den 1980-er Jahren werden wieder Fragen zu Information und Kommunikation beziehungsweise zu den entsprechenden neuen Technologien und deren Verfügung breit diskutiert. Im Zentrum steht der Dialog zwischen den hochentwickelten Ländern des Westens und den Ländern der Dritten Welt, aber auch zwischen Politik und Wirtschaft auf der einen und der Zivilgesellschaft auf der anderen Seite. Gerade die Vertreter der Dritten Welt setzen sehr grosse, vielleicht zu grosse Hoffnungen in den Weltgipfel.

Prof. Heinz Bonfadelli.

Der UNO-Weltgipfel will den digitalen Graben, der Menschen mit Zugang zu elektronischen Medien von den so genannten Off-Linern trennt, verringern. Wo sehen Sie die Hauptprobleme?

Bonfadelli: Dieser Graben existiert, ganz klar. Er besteht zunächst einmal zwischen Ländern der Ersten und der Dritten Welt. Während in der Dritten Welt kaum 10 Prozent der Bevölkerung Zugang zum Internet hat, sind es in den Ländern des Westens durchschnittlich 45 und in der Schweiz sogar 65 Prozent. Die verbleibenden 35 Prozent verweisen aber darauf, dass es auch bei uns eine Zweiklassengesellschaft gibt, die Informationsreichen und die Informationsarmen.

Bei der Diskussion des digitalen Grabens geht es aber letztlich nie nur um Fragen des technischen Zugangs, sondern immer auch um dessen Funktion und Konsequenzen. Hier besteht ein Interessenskonflikt: Für die westlichen Industrieländer sind die Länder der Dritten Welt vor allem neue Absatz- und Konsummärkte, die es zu erschliessen gilt. Die Dritte Welt erhofft sich mit dem Zugang zu den neuen Info-Technologien dagegen mehr Wohlstand, neue Arbeitsplätze, mehr Bildung und auch grössere politische Partizipationschancen.

Bezüglich der Interessen der Industrie hat Werner A. Meier, wissenschaftlicher Mitarbeiter an Ihrem Institut, in einem Beitrag in der NZZ von«kommunikativem Kolonialismus» gesprochen. Teilen Sie diese Perspektive?

Bonfadelli: Ich würde vielleicht nicht denselben Begriff wählen. Wenn damit aber Unterschiede in der Verfügungsmacht über Technologien und Ressourcen gemeint sind, muss ich inhaltlich schon beipflichten. Die Dritte Welt ist strukturell stark vom Westen abhängig. Letzterer tritt als Exporteur von Fernsehbildern, Nachrichten und Filmen auf; umgekehrt gibt es kaum einen Rückfluss an Information von der Dritten in die Erste Welt. Dass diese Abhängigkeit aber nicht naturgegeben, sondern auch zu durchbrechen ist, zeigen etwa die Entwicklungen in Indien.

Mehr Demokratie, bessere Lebensqualität - Hilfe im Kampf gegen Armut, Analphabetismus und Seuchen: die Erwartungen an die Informations- und Kommunikationstechnologien sind gross. Führt die Überbrückung des digitalen Grabens automatisch zu einer besseren Welt?

Bonfadelli: Der alleinige Besitz und der Zugang zu diesen Technologien führt sicher nicht automatisch dazu. Entscheidend ist wie diese Technologien in den verschiedenen Ländern sozial eingebettet werden und wer die Verfügungsmacht über sie hat. Einerseits braucht es öffentlich zugängliche Inhalte und Anwendungen, die auf die verschiedenen Bedürfnisse der Dritten Welt zugeschnitten sind, andererseits müssen aber auch die Mediennutzer betrachtet werden. Wenn sie die Technologien nur als Konsumenten etwa von US-Filmen oder westlicher Musik benutzen können, führt das zu einem Abfluss von Geldern wieder zurück in die Erste Welt. Die Bevölkerung muss also auch befähigt werden, mit den neuen Technologien selbstbestimmt und kreativ umzugehen. Zuerst muss deshalb in die Bildung - Stichwort: Analphabetismus - investiert werden.

Denktman an die Urheberrechte, zeichnet sich hier eine weitere Konfliktlinie ab: Der Westen ist bestrebt, den Zugang zu Information und Kommunikation zu beschränken, während Dritt-Welt-Länder natürlich auf frei zugängliche Software, auf frei verfügbare Information und Kommunikation angewiesen sind, um ihre Bevölkerung weiterzubilden. Diese Diskrepanz muss am Genfer Weltgipfel diskutiert werden. Letztlich sollten westliche Konzerne und die Regierungen dazu verpflichten werden, ihren entwicklungspolitischen Beitrag zu leisten.

Kann man vom UNO-Weltgipfel neben allgemein formulierten Grundsatzbeschlüssen, auch konkretere Resultate erwarten?

Bonfadelli: Ich denke, der Weltgipfel ist der Beginn einer breiten Diskussion. Wieviel über die Grundsatzpapiere hinaus in Bewegung geraten wird, wird die Zukunft zeigen. In mir weckt der Weltgipfel Erinnerungen an die Kyoto-Konferenz 1997: Damals wurden im Gegensatz zum aktuellen Anlass sogar Zielsetzungen formuliert - es zeigte sich jedoch bald, wie schwierig es ist, diese zu konkretisieren.

Wo muss man denn konkret ansetzen, um den digitalen Graben zu verringern?

Bonfadelli: Es braucht in der Dritten Welt öffentliche Zugangsmöglichkeiten zu Informations- und Kommunikationstechnologien. Es muss auch klar gestellt werden, dass Information und Kommunikation nicht nur Waren, sondern öffentliche Güter sind. Die Vertreter der Ersten Welt sollten sich wiederum dazu verpflichten, sich beispielsweise im Bildungsbereich zu engagieren und Infrastruktur gratis oder zu ermässigten Preisen zur Verfügung zu stellen. Und letztlich braucht es eine Bildungsoffensive. Das gilt im Übrigen auch für die Schweiz: Es hat sich gezeigt, dass weniger gebildete Menschen die neuen Technologien vor allem passiv und unterhaltungsorientiert nutzen. Diese werden aber erst dann zu Mitteln der Selbstbestimmung, wenn sie bildungs- und informationsorientiert genutzt werden können.

Im Vorfeld haben Nichtregierungsorganisationen den Gipfel bereits für gescheitert erklärt. Ihre Kritik: Hinweise auf die Presse- und Informationsfreiheit sollen in den Gipfeldokumenten ausgeblendet werden. Wie stellen Sie sich dazu?

Bonfadelli: Autokratische Regimes wie China und andere Staaten beispielsweisein Afrika sind natürlich auf die Segnungen der Technik angewiesen, gleichzeitig setzen sie alles daran, die Presse- und Informationsfreiheit zu verhindern. Diese Grundrechte gehören aber zum Fundament der Vereinten Nationen. Deshalb glaube ich nicht, dass man eine Konferenz durchführen kann, ohne diesen Grundsätzen in den Abschlusspapieren auch Rechnung zu tragen. Ich hoffe, dass die Schweiz als Gastland und als Nation, die diese Werte hochhält, darauf drängt, sie als Rahmenbedingungen schriftlich festzuhalten.

Ein Kurzprogonose zum Schluss: Was sind künftige Entwicklungstendenzen der Informationsgesellschaft?

Bonfadelli: Positiv ist sicher, dass die Kommunikations- und Informationsinfrastrukturen in der Dritten Welt in den nächsten Jahren ausgebaut werden. Die Anschlussdichte wird steigen und die Technologien billiger werden. Dennoch werden die digitalen Gräben wohl eher noch grösser werden. Analysen, die wir in der Schweiz gemacht haben, zeigen, dass sich in den letzten acht Jahren die sozialen Segmente eher voneinander entfernt haben. Das heisst, gebildete und einkommensstarke Menschen haben schneller von den neuen Technologien profitieren können als weniger privilegierte. Zu befürchten ist auch, dass das Verständnis von Information als öffentlichem Gut und damitkultur- und bildungspolitische Bemühungen zugunsten von kommerziellen Erwägungen an den Rand gedrängt werden. Die Zahl der Analphabeten ist weltweit ja immer noch sehr hoch, letztlich ist die Alphabetisierung die Grundlage für eine inhaltliche Nutzung der Informationsangebote.

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