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Riese aus der Eiszeit

Spektakulärer Neuzugang am Paläontologischen Museum der Universität Zürich: In Niederweningen wurde das beinahe vollständige Skelett eines Mammuts geborgen. Vom atemberaubenden Fund erhofft man sich nicht zuletzt Aufschluss über mehrere Mammut-Individuen, die bereits 1890 in derselben Torfschicht zum Vorschein kamen.
Sascha Renner

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Die Mammutknochen an der Ausgrabungsstelle in Niederweningen.

Die Wissenschafter hocken, knien oder liegen in schmutzigen Jeans und Gummistiefeln in der feuchten Grube. Es wird mit grosser Sorgfalt geputzt, gekratzt und geschaufelt. Der Schweiss rinnt von der Stirn und lässt die T-Shirts auf der Haut wie nasse Lappen kleben. Die Bergungsarbeiten finden unter Hochdruck statt, um den Bau des geplanten Mehrfamilienhauses nicht zu verzögern. Der dunkle Torfboden hat die Knochen und Zähne konserviert und in ein tiefes Braun getaucht. Die Hals- und Rückenwirbel, die gigantischen Beinknochen, das Becken und einzelne Rippen sind bereits aus der Fundstelle weggeräumt. Besonders fragile Stücke lagern in Gips. Wie alle anderen Fragmente bleiben sie bis zu ihrer Konservierung luftdicht verpackt. Die Plastikbeutel sollen das Austrocknen verhindern und die zersetzende Tätigkeit der Mikroorganismen bremsen.

Früher glaubte man, man habe es mit leibhaftigen Riesen zu tun. Der Basler Arzt Felix Platter bestimmte die furchterregenden Knochen, die 1577 im Kanton Luzern zum Vorschein kamen, als die Überreste eines sechs Meter hohen Riesen, der als «Helvetus gigas» in die Literatur einging. Heute weiss man es besser. Was ein Baggerführer am 2. Juli in Niederweningen zutage förderte, kann sehr wohl als Riese gelten, hat mit einem Menschen aber so wenig zu tun wie mit den Sagengestalten Goliath oder den Zyklopen. Für Heinz Furrer bestehen keine Zweifel: Er identifizierte den Fund umgehend als das Skelett eines «Mammuthus primigenius», eines eiszeitlichen Wollhaarmammuts. Der Konservator am Paläontologischen Museum der Universität Zürich spricht von einem Jahrhundertfund: «Es handelt sich um das relativ vollständige Skelett eines ausgewachsenen Tieres».

Markus Hebeisen, Präparator am Paläontologischen Museum, bei der Fundbergung.

Aber nicht nur seine Vollständigkeit begeistert den Wissenschafter. Einmalig ist auch die Tatsache, dass sich das Mammut noch heute an derselben Stelle befindet, an der es vor 34'000 Jahren verendet war. Weder geologische Umwälzungen noch die Erosion störten seine Grabesruhe. Das erlaubt es der interdisziplinären Gruppe von Fachleuten, anhand von Pollenanalysen und anderen Verfahren den Lebensraum des Tieres zu rekonstruieren. «Der Boden enthält Reste von Moosen, Hölzern und Käfern, die Rückschlüsse erlauben auf mehrere zehntausend Jahre Klimageschichte, ein reichhaltiges Archiv, das zur Umwelt dieses Mammuts gehört», erklärt Grabungsleiter Andy Mäder.

Der Fundzusammenhang gibt nicht nur hoch interessante Informationen über Nahrung und Lebensweise des Mammuts, er verrät auch, wie das Wehntal zu Lebzeiten des diluvialen Rüsseltiers ausgesehen hat. Wo sich heute Einfamiliensiedlungen in die Landschaft fressen, breitete sich ein endloses Grasland aus, die so genannte Mammutsteppe, die grosse Teile der eisfreien Gebiete der nördlichen Halbkugel überzog. Ein weites Flachmoor säumte damals die Ufer des verlandenden Wehntalersees. Dieser tückische Morast wurde für viele Tiere zur tödlichen Falle, so auch für das Niederweninger Mammut. Es blieb im zähen Schlamm stecken und konnte sich nicht mehr aus eigener Kraft befreien.

Dass dies kein Einzelfall war, belegt eine nicht minder bedeutende Entdeckung, die sich nur wenige hundert Meter entfernt ereignete. Im Sommer 1890 stiessen Arbeiter beim Bau der Eisenbahnlinie ins Wehntal auf die Knochen gleich mehrerer Mammut-Individuen. Wertvolle Informationen gingen damals jedoch verloren, weil man es unterliess, den Kontext zu dokumentieren. Licht ins Dunkel erhofft man sich nun vom jüngsten Fund, der vermutlich aus derselben Torfschicht stammt. Archäologen, Geologen und Archäobotaniker arbeiten zurzeit im Verbund, um ein detailliertes Bild der naturräumlichen Gegebenheiten zu erstellen.

Die Mammut-Rekonstruktion vom Ende des 19. Jahrhunderts mit teilweise falschen Proportionen.

Die Knochen von 1890 ereilte derweil ihr eigenes kurioses Schicksal. Aus den Resten von mindestens vier Individuen montierte man damals ein Skelett, das seiner fehlerhaften Proportionen und der verkehrt eingesetzten Stosszähne wegen - mit gegen aussen gedrehten Spitzen - manchen Besucher schmunzeln liess. Ein Jahrhundert später entschloss man sich dazu, das inzwischen historische Dokument dem aktuellen Kenntnisstand zu opfern. Die umgebaute Rekonstruktion besteht seither aus den Originalknochen nur eines der Wehntaler-Individuen, während Abgüsse die fehlenden Teile ersetzen. So ist gewährleistet, dass das Mammut-Skelett auch weiterhin das spektakulärste Schaustück des Zoologischen Museums bleibt.

Was mit dem neuerlichen Fund geschehen soll, und ob er dereinst an der Seite des alten Niederweninger Mammuts ausgestellt wird, ist noch völlig ungewiss. Allein die Konservierung verschlingt einen Betrag, den das Paläontologische Institut nach Meinung seines Direktors, Professor Hugo Bucher, nicht aufbringen kann. So wird wohl die nächste Zeit der Geldsuche gewidmet sein. Aber Eile ist auch dabei geboten: Der Zersetzungsprozess kann nach der Einschätzung von Experten schon nach sechs Monaten irreparable Schäden an der Knochensubstanz hinterlassen.

Die korrigierte, aktuelle Mammut-Rekonstruktion, wie sie im Museum ausgestellt ist.

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