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100 Jahre Betriebswirtschaft an der Universität Zürich

Vom Mauerblümchendasein zur Kaderschmiede

Ein wenig stolz darf die Universität Zürich heute sein. Mit der Schaffung des ersten Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre an einer Universität im deutschen Sprachraum nahm sie vor 100 Jahren eine Vorreiterrolle ein. Die junge Disziplin im akademischen Lehr- und Forschungsgefüge hat jedoch einen steinigen Weg hinter sich: Erst im Zuge des Neoliberalismus verstummte die Kritik an der stark praxisorientiert-empirischen Ausrichtung des Faches.
Marie-Theres Schaller

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Diagramm Studierende der Betriebswirtschaft 1978, 1985, 1992 und 2002 (hellblau: Frauen, dunkelblau: Männer). Die Betriebswirtschaftslehre erfuhr ab 1985 einen starken Zulauf. Anfang der 90er Jahre löste der Neoliberalismus eine einzigartige Sogwirkung auf das Fach aus.

Die enge Verknüpfung zwischen Wirtschaft und Bildung lässt sich plastisch ander historischen Entwicklung der Betriebswirtschaftslehre (BWL) aufzeigen: Die industrielle Revolution im 19. Jahrhundert förderte die universitäre Verankerung der Nationalökonomie. Parallel dazu wird in der Schweiz auch über eine eidgenössische Handelshochschule diskutiert, denn der wirtschaftliche Aufschwung zog die Gründung vieler neuer Firmen nach sich. Der Bau der Eisenbahn machte zur Abwicklung der gewaltigen Geldströme die Schaffung neuer Bankinstitute notwendig, die ihren Sitz vorwiegend in Zürich wählten. In der Region Zürich prosperierte um die Jahrtausendwende die Metall- und Maschinenindustrie. Im Kontext der sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen erwiesen sich die herkömmlichen Handelsausbildungen für die neuen Führungsaufgaben als ungenügend.

Ein Lehrstuhl für Handelswissenschaften an der Universität stand allerdings nicht von Anfang an im Zentrum der Überlegungen. Eine Eingabe der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich Mitte 1870 strebte die Gründung einer Handelshochschule unter Führung des Bundes an oder aber die Schaffung einer Abteilung an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ). Doch nicht nur die schlechte Finanzlage brachte das Projekt zum Scheitern, sondern auch die vorherrschende Skepsis über den Nutzen einer akademischen BWL für die Praxis. An der Grundsatzfrage, ob sich diese Disziplin mit ihrer praktischen Orientierung an betrieblichen Problemstellungen mit dem Humboldtschen Ideal der zweckfreien Wissenschaft vereinbaren lasse, schieden sich die Geister.

Margrit Osterloh besetzte 1991 als erste Frau einen Lehrstuhl an der BWL. Mittlerweile sind es vier Professorinnen neben 17 Professoren. Gender-Themen sind in Forschung und Lehre immer noch marginal vertreten. «Ob Gender-Themen Berücksichtigung finden, hängt sehr stark davon ab, inwieweit sich die jeweiligen Lehrstuhlinhaber für dieses Thema engagieren», sagt Osterloh. An ihrem Lehrstuhl gibt esdrei Dissertationsvorhaben zu diesem Themenbereich, andere sind der Professorin nicht bekannt.

Der Durchbruch

Der Schweizerische Handels- und Industrieverein kam in einer Stellungnahme zum Schluss, dass alles Wesentliche an der juristischen, staatwissenschaftlichen und philosophischen Fakultät der Universität Zürich gelernt werden könne. Erst nachdem 1898 in Leipzig und Wien, 1901 in Köln und Frankfurt a.M. und 1903 in Aachen Handelshochschulen gegründet worden waren, gab der Zürcher Kantonsrat im Januar 1903 einem erneuten Gesuch der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich zur Erweiterung der staatswissenschaftlichen Fakultät für Kaufleute grünes Licht. Die Errichtung eines Ordinariats für Handelswissenschaften (der Begriff Betriebswirtschaftslehre setzte sich erst später durch) erfolgte innerhalb der rechts- und staatswissenschaftlichen Fakultät. Im Gegensatz zu den Handelshochschulen in Deutschland und Österreich wurden die Fächer Betriebslehre, Buchhaltung und kaufmännische Arithmetik vollwertig in den universitären Lehrplan aufgenommen. Durch die Angliederung der jungen Disziplin an die Fakultät der Staatswissenschaften konnte auf die bestehenden Räumlichkeiten und das vorhandene Lehrpersonal zurückgegriffen werden, womit das Budget nicht arg belastet wurde. Die Opposition verstummte weitgehend.

Auf den neuen Lehrstuhl wurde der Schweizer Johann Friedrich Schär (1846-1924) berufen, damals Lehrer der Handelswissenschaften an der Oberen Realschule in Basel. Schär war ein Mann der Praxis mit schriftstellerischem Flair. Der Gymnasiallehrer sammelte seine praktischen Erfahrungen in der Wirtschaft als Direktor einer Handelsgesellschaft sowie als Mitglied des Bankrates der Basler Kantonalbank und als Präsident des Verbandes Schweizer Konsumvereine. Sein Lebenswerk besteht aus rund 50 Büchern, worunter vor allem die «Allgemeine Handelsbetriebslehre» über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Doch bereitsnach drei Jahren verliess Schär Zürich und folgte einem Ruf nach Berlin. Sein Nachfolger, Dr. Gottlieb Bachmann, konzentrierte sich auf die Rechtswissenschaft, was allgemein als wissenschaftlicher empfunden wurde als das pragmatische Lehrkonzept Schärs. Diese Stossrichtung wirkte sich über vierzig Jahre aus: Das neue Fach war geprägt von der volkswirtschaftlich-historischen und juristischen Methodik. In der Nachkriegszeit rückten Fragen des Rechnungswesens in den Vordergrund, wodurch der institutionelle Ausbau der Betriebswirtschaftslehre kaum vorangetrieben wurde.

Bruno Staffelbach, Professor für BWL, unterstreicht die Bedeutung des Studiums mit der prägnanten Formel «Betriebe bewegen die Welt». Im Blick hat er dabei nicht nur die Privatwirtschaft, sondern auch den öffentlichen Sektor. Im Unterschied zu den Fachhochschulen, deren Aufgabe darin bestehe, gute Handwerker auszubilden, vermittle die akademische Ausbildung auch die Fähigkeit zu konzeptionellem, forschendem und analytischem Denken. Für die berufliche Laufbahn ist nach Ansicht Staffelbachs nicht allein der schulische Rucksack ausschlaggebend, vielmehr zählen im harten Wettbewerb auch die Persönlichkeit und die individuelle Leistung, eben das, «was einer aus sich macht».

Durchsetzung des Management-Modells

Ausseruniversitäre einerseits und methodologische Faktoren andererseits führten ab 1960 zu einer Kehrtwendung: Der Vorschlag aus St.Gallen, die betriebswirtschaftliche Ausbildung in Zürich abzuschaffen, förderte im Gegenteil dasBestreben nach deren Ausbau. Im Wirtschaftsleben hatten ausserdem die Probleme der Betriebsführung einen Komplexitätsgrad erreicht, der nach einer wissenschaftlichen Vertiefung der Ausbildung von Führungskräften verlangte. In der Betriebswirtschaftslehre machte sich die in den USA bereits länger praktizierte Übernahme von psychologischen und soziologischen Modellen bemerkbar. Und in St. Gallen setzte sich die systemorientierte Managementlehre unter Hans Ulrich durch. In Zürich wurde 1958 mit dem Lehrstuhl für betriebswirtschaftliche Verfahrensforschung (Operations Research) der Grundstein für eine weitere Aufbauphase gelegt: 1968 folgte die Gründung des Instituts für Schweizerisches Bankwesen, 1970 das Institut für betriebswirtschaftliche Forschung. Die junge Disziplin trat allmählich aus dem Schatten ihrer älteren Schwestern heraus und etablierte sich als eigenständige akademische Ausbildung.

Begehrte Kaderschmiede

In den 80er Jahren setzte sich der neoliberale Glaube an die regulativen Kräfte des Marktes zunehmend durch. Mit dieser Entwicklung einher ging die «technokratische Professionalisierung» der Ausbildung. Die Allianz zwischen Forschung und Wirtschaft verstärkte sich: Während die Volkswirtschaft massiv an Bedeutung verlor, expandierte die Betriebswirtschaftslehre. Der neue Zeitgeist löste auch auf die Studierenden eine einzigartige Sogwirkung aus: Über tausend Studentinnen und Studenten zog es in den Jahren 1991 und 1992 zur Betriebswirtschaftslehre; eine Zahl, die später nie mehr erreicht wurde. Ende der 70er Jahre waren gerade mal gegen 200 BWL-Studierende immatrikuliert, in den letzten Jahren hat sich die Zahl bei rund 700 eingependelt. Eine markante Zunahme verzeichnet in den jüngsten Jahren der Frauenanteil, der zurzeit über 30 Prozent beträgt.