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UZH News

Sexual Harassment Awareness Day

Breites Bündnis gegen Sexismus

Heute findet der Sexual Harassment Awareness Day statt. Im Interview mit UZH-News erläutern die Rechtswissenschaftlerinnen Brigitte Tag und Sina Staudinger, was die UZH zum Schutz vor sexueller Belästigung unternimmt.
Marita Fuchs

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Schutz vor sexueller Belästigung
Die UZH will dafür sorgen, dass alle ihre Angehörigen in einem sicheren und respektvollen Umfeld studieren und arbeiten können.


Frau Tag, Frau Staudinger, Sie sind Ansprechpersonen im Fall von sexueller Belästigung an der UZH.  Am 23. März findet der Nationale Tag gegen sexuelle Belästigung an Hochschulen statt. Die UZH macht mit, warum?

Brigitte Tag: Der Nationale Tag gegen sexuelle Belästigung ist wichtig, weil er zeigt, dass alle Schweizer Hochschulen zusammenstehen. Wir sprechen mit einer Stimme: Null-Toleranz gegenüber sexueller Belästigung und sexistischem Verhalten an den Hochschulen.

Sina Staudinger: Die Universität Zürich hat bereits 2007 ein «Reglement zum Schutz vor sexueller Belästigung an der Universität Zürich» (RSB) in Kraft gesetzt. Damit haben wir eine Vorreiterrolle eingenommen. Trotzdem ist es wichtig, weiterhin auf sexuelle Belästigung hinzuweisen und Betroffene darüber zu informieren, dass Beratungsangebote und Hilfe für sie bereitstehen. Dass der Nationale Tag jetzt zum ersten Mal gesamtschweizerisch durchgeführt wird, zeigt das Engagement der Hochschulen, gegen sexuelle Belästigung vorzugehen. Am 23. März haben wir ein vielseitiges Programm auf die Beine gestellt. Es geht zum einen darum, für das Thema zu sensibilisieren, zum anderen aber auch betroffenen Personen zu zeigen, wo sie sich Hilfe holen können.

Wie viele Fälle von sexueller Belästigung gibt es denn an der UZH?

Brigitte Tag: Aus datenschutzrechtlichen Gründen können wir keine genauen Zahlen nennen. Ich kann aber sagen, dass die Zahl der Fälle im Laufe der Jahre deutlich zugenommen hat und einige Fälle sehr langwierig und ressourcenintensiv sind. Wir führen die Zunahme der Fälle auch darauf zurück, dass sich die Wahrnehmung verändert hat. Vielleicht sind viele Personen, insbesondere aber die jungen Leute aufmerksamer als früher und auch mehr bereit, Vorfälle zu melden und zu besprechen. Die #MeToo-Debatte könnte ebenfalls einen Schub in diese Richtung gebracht haben.

Sina Staudinger: Ich arbeite 60 Prozent als Geschäftsführerin in der Kommission RSB und führe zum Beispiel zusammen Brigitte Tag in ihrer Rolle als untersuchende Person, Beratungsgespräche durch.

Brigitte Tag: In meinem Hauptberuf bin ich Professorin für Strafrecht und Medizinrecht an der Universität Zürich. Dieser fachliche Hintergrund ist sehr hilfreich, wenn es darum geht, bei allfälligen Übergriffen rasch und zutreffend die angemessenen Massnahmen zu treffen. 

Sexuelle Belästigung ist ein weites Feld. Was ist noch in Ordnung, was nicht?

Brigitte Tag: Die Spannbreite ist tatsächlich gross: Unter den Fachbegriff «sexuelle Belästigung» fallen zum Beispiel anzügliche oder taxierende Blicke oder zufällige Körperberührungen, die gar keine sind, ebenso schwere Belästigungen bis hin zur sexuellen Nötigung oder Vergewaltigung. Bei Stalking zum Beispiel wird der andere zum Objekt herabgewürdigt. Geschieht dies mit einem sexuell oder sexistisch motivierten Hintergrund erfüllt dies im Regelfall genauso den Tatbestand der sexuellen Belästigung, wie unerlaubte Berührungen an den primären oder sekundären Geschlechtsorganen. Auch durch derbe Worte kann die sexuelle Integrität verletzt werden, damit findet ebenfalls eine Grenzüberschreitung statt. Sexualisierte Mikroaggressionen, also subtile verbale oder nonverbale Beleidigungen mit sexistischem oder sexuellem Hintergrund, sind genauso unzulässig.

Sina Staudinger: Wir treten dafür ein, dass das gesamte Spektrum der sexuellen Übergriffe an unserer Hochschule nicht stattfinden darf. Falls es doch dazu kommt, dann sorgen wir für lupenreine Abklärung. Allen, die sich bei uns melden, gewähren wir Hilfe und Unterstützung. Das gilt natürlich nicht nur für Frauen, auch für Männer oder Menschen mit wechselnder Geschlechtsidentität. Und wir setzen uns für alle Angehörigen der UZH, insbesondere Studierende, Dozierende und die Mitarbeitenden der UZH ein.

Kommt sexuelle Belästigung an Hochschulen häufiger vor als in der Zivilgesellschaft?

Brigitte Tag: Die Hochschulen sind Teil der Gesellschaft und sind damit auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wir sind keine bessere, schlechtere oder heilere Welt. Das bedeutet, dass wir mit den Phänomenen genauso konfrontiert sind, wie andere Bereiche der Gesellschaft.
Wir haben aber auch Besonderheiten. Studierende sind eine kürzere Zeit an der Hochschule, anders als Angestellte in Firmen. Das hat Auswirkungen: Erstsemestrige müssen sich schnell im akademischen Umfeld orientieren, Peer-Gruppen finden, Prüfungsstress bewältigen. Das bedingt auch eine gewisse Vulnerabilität. Studierende sind abhängig von Dozierenden, die Prüfungen durchführen und bewerten. Diese Abhängigkeit verursacht ein Machtgefälle, so etwa auch bei einer 1:1-Betreuuung, wie es bei Bachelor- und Masterarbeiten, aber auch Dissertationen und Habilitationen der Fall ist. In diesem Setting muss der Schutz vor sexueller Belästigung ganz besonders grossgeschrieben werden.

Sina Staudinger: Auf der anderen Seite soll und ist die Hochschule auch ein lebendiger Lebensraum, hier kann und darf man sich verlieben und Freundschaften fürs Leben schliessen. Das soll alles so bleiben, aber immer im gegenseitigen Einverständnis und mit Respekt.

Die studentische Organisation CLASH hat 2022 eine Umfrage zur sexuellen Belästigung unter Medizinstudierenden der UZH und ETHZ durchgeführt. Von rund 2 700 angeschriebenen Studierenden haben 613 Studierende den Online-Fragebogen ausgefüllt. Ein Drittel der Personen, welche die Umfrage komplett ausgefüllt haben, berichten über Sexismus-Erfahrungen als Betroffene oder Zeug:in. Hat Sie das überrascht?

Brigitte Tag: Nein, das überrascht nicht und es gibt Gründe für dieses Ergebnis. Grundsätzlich finden wir es wichtig, dass solche Umfragen stattfinden. Sie unterstützen uns in unserer Arbeit. Je sichtbarer das Problem wird, und zwar mit verlässlichen Zahlen, desto mehr können wir mit den Verantwortlichen in einen klaren Dialog treten und sagen, jetzt muss das aufhören.

Viele der in der Umfrage angegebenen Übergriffe fanden im sogenannten Klinischen Jahr statt. Das ist eine ganz besonders herausfordernde Zeit, denn die Studierenden sind hier oftmals erstmalig mit den Hierarchien im Spitalalltag, den Patientinnen und Patienten und den Pflegenden konfrontiert, was für alle Beteiligten nicht nur fachlich bereichernde Momente, sondern vor allem auch viel Stress und auch Verletzlichkeit bedeutet. Eine solche Situation ist besonders anfällig für unangebrachtes Verhalten.

Wird die medizinische Fakultät spezielle Massnahmen ergreifen?

Brigitte Tag: Die Medizinische Fakultät und die Kommission RSB sind in einem engen Kontakt mit Clash und unterstützten auch die Arbeit und das Engagement des Vereins. Es ist uns wichtig, die Umfrageergebnisse dafür zu nutzen, eine nachhaltige, dauerhafte Änderung herbeizuführen. Die Kommission RSB unterstützt CLASH u.a. beratend dabei, ein niederschwelliges Angebot zur Orientierung über die verschiedenen Ansprechpersonen und Anlaufstellen zu schaffen. Gemeinsam wurden Prozesse definiert, um ein standardisiertes, regelkonformes Arbeiten der Clash-Mitglieder, insbesondere im Rahmen von Kontaktaufnahmen, zu gewährleisten. Hierzu wurden u.a. Workshops durchgeführt, Workflows gemeinsam erarbeitet, Strukturen geklärt. Zudem fanden Meetings mit Clash, Vertretungen der medizinischen Fakultät, der Chancengleichheitskommission der Medizinischen Fakultät, der Kommission RSB, dem USZ, der ETH etc. statt, um anstehende Fragen zu klären. Hieraus folgen konkrete Handlungen. Die Chancengleichheitskommission der Medizinischen Fakultät und die Fakultätsleitung setzen sich engagiert in diesem Bereich ein und werden konkrete Massnahmen vorstellen.

Was kann man tun, wenn man aktuell von sexueller Belästigung an der UZH betroffen ist?

Brigitte Tag: Sich an uns wenden, d.h. an die Ansprechpersonen der UZH, oder an mich als Untersuchende Person respektive meinen Stellvertreter, Markus Golder. Wir haben langjährige Erfahrung und können rasch reagieren. Wie im Einzelnen vorgegangen wird, kommt dann immer sehr auf die Situation an. Es gibt keine «One-fits-all-Lösung» und es wäre auch nicht gut, wenn wir so etwas empfehlen würden. Grundsätzlich klären wir im Einverständnis mit der betroffenen Person den Sachverhalt und ergreifen je nach Ergebnis die passenden Massnahmen. Flankierend bieten wir die Möglichkeit psychologischer Beratung durch die jeweiligen Fachpersonen der UZH an, und wir arbeiten mit der Abteilung Sicherheit und Umwelt zusammen. Im Bereich strafrechtlich relevanter sexueller Übergriffe stellen wir im Einvernehmen mit der betroffenen Person den Kontakt zu der Opferberatungsstelle und der Polizei her.

Insgesamt ist festzuhalten, dass die Reaktionen von Betroffenen auf sexuelle Belästigungen sehr unterschiedlich sind. Es kommt darauf an, in welchem Umfeld sexuelle Belästigung geschieht, wie überrascht jemand ist oder wie resilient. Viele Betroffene erzählen, dass sie während der Situation gar nicht reagiert haben und auch nicht reagieren konnten, weil sie in dem Moment nicht wahrhaben konnten, dass es ihnen selbst passiert. Bei heftigen Übergriffen gibt es auch das Phänomen des Erstarrens. Bei allen Vorfällen ist es dennoch wichtig, darüber zu sprechen und sich schnell Hilfe zu holen. Wir alle sollten auch aufmerksam sein und anderen unsere Unterstützung anbieten, wenn sie von sexueller Belästigung betroffen sind. Wir sollten alle Sorge dafür tragen, dass wir uns an der Hochschule wohl fühlen und ohne Einschränkungen arbeiten können.