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UZH Postdoc Team Award

Fiebermesser der Gesellschaft

Mit dem neuen Postdoc Team Award zeichnet die UZH zwei Teams aus, die interdisziplinär forschen. Beide Gruppen arbeiten an innovativen Ansätzen im Bereich der Gesundheitsforschung, wie etwa dem Zusammenhang von Pupillengrösse und Stress-Resilienz oder inwiefern Social-Media-Tweets Hinweise über die psychische Gesundheit der Bevölkerung geben können.
Marita Fuchs
Um die psychische Gesundheit in der städtischen Bevölkerung zu erfassen, können Social-Media-Posts eine ergänzende Informationsquelle sein.


Bislang stammen Daten über den Gesundheitszustand oder das emotionale Befinden der Bevölkerung vor allem von Hausarztpraxen, Spitälern oder psychologischen Einrichtungen. Diese Daten basieren auf Angaben erkrankter Menschen und sind nur bedingt repräsentativ für die Gesamtbevölkerung.

Social-Media könnten da eine ergänzende Informationsquelle sein, denn in Social-Media-Posts finden sich Hinweise darauf, wie es den Nutzerinnen und Nutzern solcher Dienste geht. In der Cloud verbirgt sich ein grosser Datenschatz – davon sind Oliver Grübner, Markus Wolf, und Marta Fadda überzeugt.

Die drei Forschenden entstammen unterschiedlichen Disziplinen und gehören verschiedenen Fakultäten und Institutionen an. Oliver Grübner ist Gesundheitsgeograph und Markus Wolf Psychologe an der UZH. Marta Fadda ist Expertin für Gesundheitskommunikation an der Università della Svizzera italiana. Mit dem neuen Postdoc Team Award der UZH (siehe Kasten unten) wurden die drei ausgezeichnet, weil sie erfolgreich und auf eigene Initiative ihre Expertise aus verschiedenen Fachbereichen zusammengebracht haben, um Social-Media-Posts im Hinblick auf die seelische Gesundheit der Bevölkerung erforschen.

Grundlage ihrer Arbeit war ein Repository, das Oliver Grübner und Marta Fadda bereits 2018 erstellten. Die Arbeit visualisiert geo-referenzierte Social-Media-Posts aus Twitter in Europa, die Angaben über Stress, Ärger, Furcht oder Glücklichsein auf Grundlage einer Textanalyse von Tweets enthalten. «Wir haben nicht nur die Texte ausgewertet, über eine Schnittstelle können wir die Tweets zeitlich und räumlich zuordnen», erklärt Grübner, der als Gesundheitsgeograph die entsprechende Fachkenntnis hat.

Diesen Ansatz konnten die Forschenden auch in einem weiteren Projekt anwenden: So haben sie emotionalen Stress während der COVID-19-Pandemie aus Tweets der Bevölkerung von New York City herausgelesen und räumlich differenziert dargestellt.

Karte des emotionalen Stresses während der COVID-19-Pandemie in New York City

Auszug aus der Website, Geografische Variation von emotionalem Stress in Twitter-Tweets während COVID-19.


Um emotionale Aussagen korrekt zu interpretieren, müssen bestimmte Worte mit linguistischen Tools und Algorithmen analysiert werden, erklärt Markus Wolf, der 2019 zur Gruppe stiess und seine Fachkenntnisse in klinischer Psychologie mit in das Projekt einbrachte. Marta Fadda hat die ethischen und datenschutzrechtlichen Grundlagen erarbeitet.

In einem anderen Projekt analysierten die Forschenden Lärm und andere Umweltfaktoren in der Schweiz und deren Zusammenhänge mit emotionalem Stress und Suizidgedanken, die auf Twitter geäussert wurden. Die Ergebnisse werden demnächst veröffentlicht. Darüber hinaus arbeiten sie daran, wie Daten aus Social Media mit anderen digitalen Plattformen wie zum Beispiel Smart-City-Anwendungen kombiniert werden können, um die seelische Gesundheit in der städtischen Bevölkerung zu verbessern. Der Sammelbegriff Smart City beschreibt Ideen und Konzepte für urbane Räume, die durch moderne Technologien effizienter und damit klimaschonender sowie lebenswerter werden sollen.

Mut, um über den Tellerrand der Disziplin zu schauen

Die drei Ausgezeichneten betonen, wie wichtig Kollaboration zwischen Disziplinen, Abteilungen und Einrichtungen ist. «Das ist wertvoll, weil man auf Personen trifft, die offen sind für interdisziplinäre Zusammenarbeit. In unserem Fall war es ein perfect match», betonen sie. Um ihr Wissen weiterzugeben, haben sie zudem 2019 im Rahmen der Swiss School of Public Health (SSPH+) einen PhD-Kurs «Big Data in Public Health» ins Leben gerufen. «Wir wollen die interdisziplinären Aspekte unserer Zusammenarbeit anderen jungen Forschenden erklären und sie motivieren, auch über den Tellerrand ihrer Disziplin zu schauen.»

Eyetracking im Labor
Bei einer Probandin wird während einer Belastungssituation die Pupillenreaktion erfasst.

Gefühlslage an den Augen ablesen

Silvia Maier und Marcus Grüschow haben sich am Institut für Volkswirtschaftslehre kennengelernt. «Am Institut achtete man damals darauf, dass die Räume mit Personen besetzt werden, die an unterschiedlichen Forschungsfragen arbeiten», erläutert die an der Translational Neuromodeling Unit der Universität und ETH Zürich forschende Neuroökonomin Silvia Maier. «Über Gespräche ergeben sich dann plötzlich gemeinsame Forschungsideen.» So auch bei ihr und dem Psychologen und Neurowissenschaftler Marcus Grüschow. Sie forschen über Selbstregulation und Stress und befassen sich mit Fragen wie: Wer kann gut mit Stress umgehen und wer nicht? Wie kann man lernen, Stress zu kontrollieren? Für ihre Arbeiten wurden sie ebenfalls mit dem Postdoc Team Award ausgezeichnet.

Silvia Maier hatte in einem Forschungsprojekt über Selbstkontrolle bei einer Diät zeigen können, wie bei den Probanden bereits moderater Stress die Selbstkontrolle sabotierte – nicht nur starke Belastung, wie bereits bekannt. Sie hatte dazu verschiedene Hirnregionen der Testpersonen mit bildgebenden MRT-Scannern untersucht, um die neuronalen Interaktionen zwischen Stress und Selbstkontrolle zu dokumentieren. Auf dieser Datenbasis spannte sie nun mit Marcus Grüschow zusammen. Er ist Experte in Pupillometrie. Darunter versteht man die Messung und Veränderung der Pupillengrösse in Durchmesser oder Fläche.

«Die Grösse der Pupillen spielt eine Schlüsselrolle bei der Messung von Emotionen einer Person während einer Belastungssituation», erklärt Grüschow. «Lichteinfall ist nicht der einzige Faktor, der unsere Pupillengrösse beeinflusst: Eine Veränderung lässt sich auch dann erkennen, wenn die Beleuchtung gleichbleibt.» So lässt sich die Gefühlslage an den Augen ablesen: Die Pupille ist dann vergrössert, wenn wir uns freuen oder Angst haben; das vegetative, also unbewusst gesteuerte Nervensystem, sorgt dafür.

Stress regulieren

Die Forschenden beobachteten Probanden mithilfe der Pupillometrie und achteten darauf, wie die Teilnehmenden auf unerwartet starke Reize reagierten. Angsteinflössende Bilder zum Beispiel lösen nachweisbar eine Pupillenreaktion aus. Das geschieht in Millisekunden. Im Verlauf ihrer Untersuchungen konnten die Forschenden bestimmte Personen identifizieren, die auf solche Reize zwar reagierten, aber auch flexibel eine Neubewertung vornahmen. Sie nutzten erfolgreich Strategien, den emotionalen Stress zu relativieren, die Pupillengrösse verkleinerte sich. «Einige Menschen machen das sogar täglich automatisch. Diese Menschen mildern mit einem emotionalen Puffer oder einer Regulationsstrategie die stressauslösenden Auswirkungen ab», erklärt Grüschow. «Personen, die so flexibel reagieren können, sind resilient gegen Stress, während andere länger unter Stress stehen.» Letztere Personen könnten gefährdet sein, an belastenden Situationen zu erkranken.

Überlastung vorbeugen

«Es ist nicht trivial, zu messen, ob Personen ihre Emotionen zu einem bestimmten Zeitpunkt regulieren, und – was noch wichtiger ist – vorherzusagen, wie erfolgreich sie dabei sein werden. Diese Fragen sind sowohl für die Grundlagenforschung als auch für die angewandte Forschung von grösster Bedeutung, denn Unflexibilität oder die Unfähigkeit, Emotionen durch Strategien zu regulieren, ist ein Kennzeichen von Krankheiten wie Depressionen, Essstörungen, Drogenmissbrauch und posttraumatischen Belastungsstörungen», sagt Silvia Maier.

Die Messung der Pupillenerweiterung könnte in Zukunft dazu verwendet werden, Personen, die zu stark auf Stress und emotionale Reize reagieren, über ein Feedback zur Pupillenerweiterung zu trainieren, und damit ihre Stress-Resilienz zu verbessern. Dies ist eines der laufenden Projekte, die Silvia Maier und Marcus Grüschow weiterverfolgen.