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Verschwörungstheorien

Nichts ist, wie es scheint

Verschwörungstheorien zeichnen oft abstruse Weltbilder. Religionswissenschaftler untersuchen, weshalb Menschen trotzdem an sie glauben. Sie sind Ausdruck einer Krise des intellektuellen Vertrauens, sagt Philosoph Sebastian Schmidt.
Roger Nickl
Illustration tanzende Menschen
Zwischen spirituellem und religiösem Glauben und dem Glauben an Verschwörungstheorien besteht eine enge Beziehung. (Illustration: Gefe)

Menschen glauben die unglaublichsten Dinge. Zum Beispiel, dass die amerikanische Regierung hinter den Anschlägen auf das New Yorker World Trade Center am 9. September 2001 steht und nicht Terroristen. Oder dass das Coronavirus gezielt in die Welt gesetzt wurde, um mit Impfungen Menschen zu manipulieren und damit viel Geld zu verdienen. Verschwörungstheorien wie diese unterstellen einer angeblich böswilligen Elite, zu ihrem eigenen Nutzen und zum Schaden aller anderen zu handeln. Und sie verstehen sich als alternative Deutungen zu den gängigen Erklärungen von Grossereignissen wie eben 9/11 oder der Covid-Pandemie.

Historisch gesehen sind Verschwörungstheorien kein neues Phänomen. Bereits im 18. Jahrhundert wurden beispielsweise Freimaurerlogen oder die Illuminaten, ein damals in Bayern für kurze Zeit bestehender Geheimorden von Adligen und Gelehrten, bezichtigt, im gesellschaftlichen Hinter- und Untergrund die Fäden zu spinnen und mit unlauteren Mitteln die Weltherrschaft anzustreben. Die sozialen Medien haben die Verbreitung von Verschwörungstheorien beschleunigt und gerade die Covid-Pandemie hat das Thema von den gesellschaftlichen Rändern ins öffentliche Bewusstsein gespült.

Politikerinnen und Ausserirdische

Die beiden Religionswissenschaftler Loïc Bawidamann und Rafael Walthert beschäftigen sich mit dem Phänomen. Im letzten Herbst hat Bawidamann seine Masterarbeit «Von Reptiloiden, Verschwörungen und dem Kampf gegen den Mainstream» am Lehrstuhl von Rafael Walthert abgeschlossen. In seiner Studie hat er sich insbesondere mit alternativen Medien in der Schweiz auseinandergesetzt, die Verschwörungstheorien aller Art verbreiten. «Gemeinsam ist allen diesen Theorien, dass sie sich gegen bestehende gesellschaftliche Autoritäten wenden», sagt der Religionsforscher – gegen Vertreterinnen und Vertreter von Staat, Politik, Wissenschaft, Medien und Wirtschaft.

Meist gehen sie auch von den gleichen Grundannahmen aus: nämlich dass nichts aus Zufall geschieht, sondern immer einem Plan folgt, hinter dem mutwillige Drahtzieher stecken; dass nichts so ist, wie es scheint; und dass alles irgendwie miteinander verbunden ist. Oft folgen Verschwörungstheorien damit religiösen Denkmustern, sagt Rafael Walthert. Sie machen transzendente, oft böse Mächte, die im Verborgenen wirken (eben etwa bestimmte Politikerinnen, Wirtschaftsvertreter oder Ausserirdische und manchmal alle zusammen), für Ereignisse in der realen Welt verantwortlich, sie teilen die Welt in Gut und Böse auf und schaffen ein umfassendes Weltbild. Das simple Schema von Gut und Böse macht es einfach, Feindbilder aufzubauen und, wie das bekannte Beispiel von QAnon in den USA zeigt, politisch zu instrumentalisieren.

Abstruse Weltbilder

Oft zeichnen Verschwörungstheorien völlig abstruse, irrationale Weltbilder – weshalb ziehen sie Menschen dennoch an? Diese Frage interessiert Loïc Bawidamann und Rafael Walthert. «Als Religionswissenschaftler gehen wir davon aus, dass Menschen ganz unterschiedliche Dinge glauben», sagen sie, «wir wollen wissen, wie es dazu kommt, ohne zu bewerten, ob dies rational ist oder nicht.» Bawidamanns Studie macht unter anderem deutlich, dass zwischen spirituellem und religiösem Glauben und dem Glauben an Verschwörungstheorien eine enge Beziehung besteht. So scheinen Menschen mit einem evangelikalen oder esoterischen Hintergrund besonders empfänglich für solche Theorien zu sein. In der Forschung wird deshalb auch von einer Conspirituality gesprochen, dem Verschmelzen von spirituellen und esoterischen Themen und Verschwörungstheorien (Conspiracy Theories) – geprägt wurde der Begriff 2011 von der britischen Soziologin Charlotte Ward und ihrem Kollegen David Voas.

«Oft durchlaufen Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien ganze Karrieren», sagt Loïc Bawidamann, «das ist ein Prozess, der bei einem Thema, etwa Covid, beginnen kann und mit der Zeit mit immer mehr Versatzstücken von anderen Verschwörungstheorien verlinkt wird.» Eine Plattform dafür bieten alternative Onlinemedien wie in der Schweiz etwa kla.tv oder legitim.ch, die der Religionswissenschaftler in seiner Masterarbeit untersucht hat. Dort ist ein ganzes Sammelsurium von Beiträgen zu ganz verschiedenen Themen zu finden, die aus verschwörungstheoretischer Perspektive behandelt werden – von der Gentechnik über Impffragen bis zum Überwachungsstaat.

«Ein ungeschriebenes Gesetz besagt, dass man sich in den Artikeln nicht aktiv widerspricht und verschiedene Weltbilder parallel stehen lässt», sagt Loïc Bawidamann. Zwar stellen Verschwörungstheoretikerinnen und -theoretiker vieles in Frage, aber nicht sich selbst. Lange nicht alle, die diese Plattformen nutzen, sind aber Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien. «Man sollte den Unterhaltungsaspekt dieser Geschichten nicht unterschätzen», räumt Rafael Walthert ein, «sie können einen auch neugierig machen, ohne dass man alles glaubt.»

Glauben, was zu den eigenen Ansichten passt

Wie es zum Glauben an Verschwörungstheorien kommt, interessiert nicht nur die beiden Religionswissenschaftler Bawidamann und Walthert, sondern auch den Philosophen Sebastian Schmidt. «Ein Grund, weshalb man an solchen Theorien festhält, könnte der aus der Psychologie bekannte Bestätigungsfehler sein», sagt der junge Forscher, der sich an der UZH mit Fragen der Erkenntnistheorie beschäftigt. Dieser besagt, dass Menschen dazu neigen, eher das zu glauben, was zu ihren bisherigen Ansichten passt.

Wir achten besonders auf Informationen, die unsere Meinungen weiter bestätigen, und wir erinnern uns auch besonders gut an diese. Online wird diese Neigung zusätzlich von Algorithmen unterstützt, die auf Suchmaschinen und in sozialen Medien unserem Profil entsprechend Informationen filtern. «Wir alle tendieren dazu, Bestätigungsfehler zu machen, und können dabei oft irrational sein», sagt Sebastian Schmidt, «diese Neigung scheint bei Anhängerinnen und Anhängern von Verschwörungstheorien jedoch besonders ausgeprägt zu sein.»

Sebastian Schmidt

Meinungen, die völlig abwegig sind und nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, können vernünftig sein.

Sebastian Schmidt
Philosoph

Vernünftiger, als man denkt

In einem Essay für den Reclam-Band «Nachdenken über Corona» hat sich Sebastian Schmidt mit der Frage beschäftigt, wie vernünftig die Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungstheorien denn eigentlich sind. Sein Fazit: Sie sind viel vernünftiger als angenommen. «Denn auch Meinungen, die völlig abwegig sind und nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, können vernünftig und in sich schlüssig sein», betont der Philosoph, «das heisst, man kann auf vernünftige Weise zu einer falschen Meinung kommen.»

Zudem kann es aus lebenspraktischen Gründen sinnvoll sein, einer falschen Meinung anzuhängen. «Ich kann zum Beispiel an einen Schutzengel glauben, der über mich wacht, weil ich mich damit sicherer fühle und es mir besser geht», sagt Sebastian Schmidt, «aus epistemischer Sicht ist das ein völlig irrationaler Gedanke, weil es keine Belege für die Existenz von Schutzengeln gibt, praktisch kann dieser Gedanke mir aber eben doch helfen, mein Leben besser zu meistern.» Der Glaube an Verschwörungstheorien könnte einen ähnlichen Effekt haben – zumal er Menschen auch das Gefühl geben kann, etwas Besonderes zu sein und zu den Eingeweihten zu gehören, die durchblicken, wie es wirklich zu und her geht auf der Welt, während sich der Rest der Gesellschaft Illusionen hingibt.

Bröckelnde Wissensgemeinschaft

In der Diskussion um Verschwörungstheorien spiegelt sich für Sebastian Schmidt auch eine Krise des intellektuellen Vertrauens, wie er es nennt. «Unsere Wissensgemeinschaft bröckelt», stellt der Philosoph fest. Gezeigt hat sich das für ihn exemplarisch während der Corona-Pandemie. Corona sei ein Phänomen, das zu alternativen Erklärungen einlud, ist Schmidt überzeugt. Anfänglich sei die Wissenschaft in vielen Dingen unsicher gewesen und habe teils widersprüchlich kommuniziert – das habe Spekulationen genährt und auch Misstrauen provoziert. Das stellt auch Rafael Walthert fest. «Ich habe in letzter Zeit immer wieder mit Leuten gesprochen, die meinten, es gehe ziemlich wild zu und her auf der Welt, sie würden nicht alles verstehen und wüssten auch nicht, ob immer die Wahrheit gesagt werde», sagt der Religionswissenschaftler, «die Religion gibt ihnen keinen Orientierungspunkt mehr, die Wissenschaft aber auch nicht.» Dieses Vakuum an umfassender Erklärung können Verschwörungstheorien möglicherweise füllen.

«Viele haben einfach auch keinen Kontakt mit der Wissenschaft», stellt Philosoph Sebastian Schmidt fest. Er selbst stammt aus einer bildungsfernen Familie und hat während der Pandemie mit seinen Eltern viele kontroverse Gespräche zum Thema geführt. Genau diese Diskussionen seien auch bitter nötig, ist er überzeugt. «Denn in der Gesellschaft findet eine zunehmende Polarisierung statt, in der wir uns gegenseitig für nicht mehr vernünftig halten», sagt er, «das ist eine Gefahr für die Demokratie, weil wir weniger miteinander diskutieren und Argumente austauschen.» Deshalb sollten wir unbedingt mit Andersdenkenden im Gespräch bleiben, auch wenn sie ein ganz anderes Weltbild vertreten als das unsere. Die Annahme, dass wir alle vernünftiger sind, als es zuweilen scheint, sollte uns mit Hoffnung erfüllen, dass dies auch gelingt, sagt der Philosoph.

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