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Bioethik

Der Körper zwischen Macht, Markt und Moral

Im Rahmen des 5. Zürcher Philosophie Festivals vom 12.-14. Januar 2023 diskutiert die Ethikprofessorin Nikola Biller-Andorno über käufliche Körper. Wir haben mit ihr vorab über Eigentumsrechte am eigenen Körper, Leihmutterschaft und Organhandel gesprochen.
Alice Werner
Beim Zürcher Philosophie Festival wird unter anderem über die Käuflichkeit von menschlichen Körpern diskutiert.


Frau Biller-Andorno, ist unser Körper ein käufliches Gut?
Biller-Andorno: Intuitiv würden wohl die meisten von uns sagen, dass der menschliche Körper keine Sache ist, die gekauft oder erworben werden kann, sondern dass er (notwendiger) Teil unserer Person und Identität ist. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen über sich selbst verfügen dürfen und Dritte keine Rechte an unserem Körper haben. Die Leibeigenschaft und die Sklaverei sind – zumindest theoretisch – abgeschafft.

Dann gehört mein Körper also mir?
Wenn wir annehmen, dass der Körper eines lebenden Menschen keine Sache ist, steht er auch in niemandes Eigentum. Anders ist das bei Körperteilen, die vom Körper endgültig getrennt werden. Abgeschnittene Haare, gezogene Zähne und Organe zur Fremdspende sind rechtlich gesehen Sachen und gehören der Person, von der sie stammen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass Dritte an diesen Körperteilen Eigentum erwerben können.

Meinen gezogenen Goldzahn und den abgeschnittenen Zopf darf ich gewinnbringend verkaufen, Stammzellen und Sperma können als soziale, freiwillige und unentgeltliche Leistung gespendet und an beliebige Personen weitergegeben werden, eine Niere dagegen darf in manchen Ländern nur an Familienangehörige und nahestehende Personen gespendet werden während die Eizellenspende hierzulande gar verboten ist. Warum gelten für die aus dem Körper entfernten Teile so unterschiedliche Praktiken, Rechte und Gesetze?
Tatsächlich werden die einzelnen Körperteile und -materialien und auch die Körper von Männern und Frauen von der Rechtsprechung und der Ethik unterschiedlich behandelt und geschützt. Das macht in vielen Fällen durchaus Sinn, denn je nachdem ist das gesundheitliche und/oder psychosoziale Risiko der gebenden Person, der (zeitliche) Aufwand, die Belastung und die altruistische Leistung grösser oder kleiner. Eine Samenspende verlangt dem Mann weniger ab als eine Eizellenspende der Frau. Die Frage ist daher, ob sich bei einer Legalisierung der Eizellenspende in der Schweiz überhaupt freiwillige Spenderinnen finden liessen, die diesen invasiven Eingriff mitsamt der nötigen Hormonbehandlung aus altruistischen Gründen vornehmen würden. Der Verkauf von Kopfhaar dagegen erweist sich eher als pragmatischer Kompromiss hinsichtlich der kulturellen Praktiken unseres Umgangs mit dem menschlichen Körper.

Warum schreibt der Staat uns vor, wie wir mit den verschiedenen Teilen des menschlichen Körpers umzugehen haben, zu Lebzeiten und auch nach dem Tod?
Indem er unser Verfügungsrecht über den eigenen Körper einschränkt, möchte der Staat gewisse Praktiken verhindern, die er für unsittlich hält, die mit der Menschenwürde nicht zu vereinbaren sind oder die – besonders in einem globalen Markt – mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Ausbeutung führen. Verhindert werden soll zudem eine Selbstschädigung des Individuums. Je nach Land variieren die entsprechenden Rechtsnormen deutlich, vornehmlich in der Reproduktionsmedizin.

Die Leihmutterschaft ist in der Schweiz verboten. Frauen dürfen also nicht ihre Gebärmutter verleihen oder verkaufen und für eine andere Frau ein Kind austragen. Ist dieses Gesetz im Sinne der Gleichberechtigung noch zeitgemäss?
Im Einzelfall kann ich mir vorstellen, dass eine Frau freiwillig und unentgeltlich ein Kind für eine andere Frau austrägt – etwa unter Schwestern oder engen Freundinnen. Aber wenn Sie die Leihmutterschaft legalisieren, wird es meiner Ansicht nach sehr wahrscheinlich auch zu Konstellationen kommen, die die Notlage einer Partei – in der Regel wohl der Leihmutter – ausnutzen. Angesichts des hohen Aufwands wird dafür eine Entschädigung fliessen. Dieses Geld brauchen manche von uns dringender als andere, so dass sie sich auf Arrangements einlassen, die sie ansonsten lieber vermieden hätten. Hinzu kommt das medizinische Risiko durch die Schwangerschaft und die psychosozialen Risiken: Wie gut wird das Weggeben des Kindes verkraftet? Entsteht eine neue Familienkonstellation oder war die Leihmutter einfach nur Dienstleisterin? Es ist sorgfältig abzuwägen, unter welchen Umständen es gerechtfertigt ist, diese Risken und Belastungen in Kauf zu nehmen.

Auf dem Gebiet der Organspende bzw. des Organhandels dagegen haben sich in den letzten Jahrzehnten europaweit einheitliche Normen durchgesetzt.
Ja, der Kauf und Verkauf menschlicher Zellen, Gewebe und Organe ist in vielen Rechtsprechungen und auch gemäss den Leitprinzipien der Weltgesundheitsorganisation verboten. Dies soll verhindern, dass sich Wohlhabende prioritären Zugang zu Organen verschaffen können, während Arme zur Abgabe ihrer Organe – sei es nach dem Tod oder in Form einer Lebendspende – genötigt werden. Es geht zum einen um den Schutz der Integrität des Körpers als Grundlage der Person. Immanuel Kant hat dies als individuelle Pflicht zur eigenen Selbsterhaltung bezeichnet. Gleichzeit sollen vulnerable Personen und Gruppen vor Ausbeutung geschützt werden.

Immer wieder gibt es Vorstösse, die Organabgabe zu kommerzialisieren. Die Befürworter fokussieren auf den Organmangel und plädieren für einen staatlich regulierten Organmarkt. Was meinen Sie dazu?
Die Frage ist, ob wir uns eine gleichberechtigte, solidarische und inklusive Gesellschaft vorstellen können, in der mündige Bürgerinnen und Bürger unter regulierten Bedingungen freiwillig ihre Organe verkaufen würden? Ich meine: Nein. Die freiwilligen Anbieter von Organen würden sich vermutlich aus den schwächsten Schichten der Gesellschaft rekrutieren. Es würden sich aller Wahrscheinlichkeit nach vor allem Leute mit wenig Optionen und wenig Handlungsspielraum für eine Organspende entscheiden. Wäre das fair? Wohl kaum. Auch die Empirie spricht gegen ein solches Modell. Eine unserer Studien, die wir vor einigen Jahren mit Studierenden an der Universität Zürich durchgeführt haben, hat gezeigt, dass diese sich zwar prinzipiell eine Organspende vorstellen können – aber erst als allerletzte Option. Es gibt zudem zahlreiche empirische Studien, die belegen, dass der Organverkauf keineswegs zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebensumstände der Verkaufenden führt.

Hat der Fortschritt der modernen Biomedizin und -technologie nicht längst zu einem Markt für menschliche Körpermaterialien geführt?
Ja, es gibt eine Vielzahl von Produkten, die ihren Ausgang von menschlichen Körpermaterialien nehmen, von pasteurisierter Muttermilch bis hin zu Stammzelllinien. Während die Bezahlung für die Spende jenseits von Aufwandsentschädigungen in der Regel verboten ist, kann natürlich für die Aufbereitung, das Lagern und den Vertrieb etwas verlangt werden. Wenn kommerzialisierte Produkte signifikanten Gewinn einbringen, stellt sich für die Spender*innen natürlich die Frage nach der Fairness – und damit sind wir wieder bei der ethischen Debatte, wer womit Geld verdienen darf, wenn es um Teile des menschlichen Körpers geht.

Welche ethischen und rechtlichen Fragen wirft die Digitalisierung unseres Körpers auf?
Tatsächlich wird die Verbreitung von Virtual und Augmented Reality Anwendungen in den kommenden Jahren deutlich steigen. Digitale Doppelgänger werden unsere Identität im Metaverse abbilden. Wir haben dann neben unserem physischen noch einen digitalen Körper, nämlich den des eigenen Avatars. Welche Rechte und Regeln, moralische Richtlinien und Anwendungsszenarien für unsere virtuellen Zwillinge gelten – das sind spannende Fragen, die uns in der Zukunft zunehmend beschäftigen werden.

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