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Stammzell-Forschung

Umsichtiger Forscherstar

Mit vier Genen eine Körperzelle in eine Stammzelle zurückverwandeln? Was unglaublich klingt, gelang dem Japaner Shinya Yamanaka vor 15 Jahren. Der Nobelpreisträger sprach an der Universität Zürich über den aktuellen Forschungsstand und die möglichen Anwendungen seiner Entdeckung.
Stéphanie Hegelbach

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Shinya Yamanaka in der Aula der UZH: Der Nobelpreisträger hat die regenerative Medizin revolutioniert. (Bild: zVg)

 

In seinem Land werde er gefeiert wie ein Popstar – so kündigte UZH-Rektor Michael Schaepman den japanischen Nobelpreisträger Shinya Yamanaka an. Die Aula Magna war bis auf den letzten Platz besetzt; das Interesse gross, den Stammzellenforscher über die aktuellen Entwicklungen seiner revolutionären Entdeckung sprechen zu hören. 2006 spürte der Japaner die sogenannten Yamanaka-Faktoren auf, die es möglich machen, die biologische Zeit zurückzudrehen: Mit diesen vier Genen lässt sich die Identität einer ausgewachsenen Zelle ausradieren. Sie verwandelt sich in eine induzierte pluripotente Stammzelle (iPS) zurück.

Das bedeutet, dass sich aus ihr wieder jeder beliebige Zelltyp wie beispielsweise eine Muskelzelle entwickeln lässt. Für seine Leistung erhielt Yamanaka 2012 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin. Die Stammzellenforschung erfuhr einen gewaltigen Aufschwung, denn seither lassen sich Stammzellen aus Körperzellen gewinnen, ohne dass dabei Embryos zu Schaden kommen.

«Vision and Hard Work»

Der gelernte Arzt startete seinen Vortrag, organisiert vom Europa Institut an der UZH, mit einem Rückblick auf seinen Werdegang und teilte sein Motto für eine erfolgreiche Karriere mit den Zuhörenden: VW – Vision and Hard Work. Er gab sich überrascht darüber, wie simpel es gewesen sei, Zellen in iPS-Zellen zu transformieren. Zusammen mit seinem Team junger Forschenden – Yoshimi Tokuzawa, Kazutoshi Takahashi und Tomoko Ichisaka – gelang ihm dieser Coup 2006 mit Zellen einer Maus, ein Jahr später auch mit menschlichen Zellen. Daraufhin gründete er das «Center for iPS Cell Research and Application» (CiRA) an der Kyoto University mit dem Ziel, Therapien mit iPS-Zellen zu entwickeln.

«Ich habe gedacht, es würde bestimmt sehr lange dauern, bis iPS-Zellen bei menschlichen Patienten verwendet werden können», erzählte Yamanaka. Doch bereits sieben Jahre nach seiner Entdeckung konnte die japanische Forscherin Masayo Takahashi mit Hilfe von iPS-Zellen eine Netzhautfolie züchten und transplantieren, um die dauerhafte Erblindung einer Patientin aufzuhalten. Der Einsatz in der Regenerativen Medizin, bei der Zellen, Gewebe oder Organe wiederhergestellt werden, sei eines der zwei wichtigsten Anwendungsfelder von iPS-Zellen, erläuterte Yamanaka.

Kostengünstige Stammzellen

Die Herstellung von patienteneigenen iPS-Zellen hat den Vorteil, dass der Empfänger der Stammzellentherapie zugleich der Spender sein kann, wobei das Risiko einer Transplantatabstossung wegfällt (autologer Ansatz). Allerdings ist die Erzeugung individueller iPS-Zellen extrem zeitaufwendig und teuer: «In einem Labor mit drei Mitarbeitern können wir pro Jahr bloss iPS-Zellen für drei Kunden generieren – Kostenpunkt 400'000 USD pro Patient», erklärte Yamanaka. Mit Hilfe von Automation möchte er die Kosten bis 2025 auf 10'000 USD senken.

Derzeit verfolgt Shinya Yamanaka einen weiteren Ansatz, um rasch und kostengünstig iPS-Zellen der Forschung, der Industrie sowie Patientinnen und Patienten zur Verfügung zu stellen: Mit seiner 2019 gegründeten «CiRA Foundation» – einer Non-Profit-Organisation – baut er eine iPS-Zellen-Bank auf. Dabei werden die iPS-Zellen aus gesunden Spenderzellen entwickelt und massenweise produziert (allogener Ansatz).

Wenn jedoch die Gewebemerkmale von Spender:in und Patient:in nicht bis zu einem gewissen Grad übereinstimmen, kann die Transplantation eine Immunantwort hervorrufen. Mit dem derzeitigen Bestand der Stammzellenbank liessen sich 40 Prozent der japanischen Population behandeln, führte Yamanaka aus. Seine Unternehmung entwickelt daher seit diesem Jahr zusätzlich auch genomeditierte iPS-Zellen, um in Zukunft mehr Menschen behandeln zu können.

 

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Shinya Yamanaka mit UZH-Rektor Michael Schaepman. Die Universität von Kyoto und die UZH pflegen eine strategische Partnerschaft. (Bild: zVg)

 

Effizienter Medikamente testen

«Das zweite bedeutungsvolle Anwendungsfeld der iPS-Zellen ist die Entwicklung von Medikamenten», erklärte Yamanaka. Am Beispiel der Krankheit Amytrophe Lateralsklerose (ALS) führte er das Prinzip aus. ALS ist eine bisher unheilbare Erkrankung des Nervensystems, wobei motorische Nervenzellen (Motoneuronen) geschädigt werden. Medikamente, die sich im Mausmodell als wirksam erwiesen haben, hätten bei Menschen nicht gewirkt. Es sei daher zentral, dass man die Krankheit in einem «menschlichen» Modell studieren kann, sagte Yamanaka.

«Aus iPS-Zellen lassen sich funktionierende Motoneuronen herstellen. Generiert man sie jedoch aus iPS-Zellen eines ALS-Patienten, weisen sie dieselben Schädigungen auf», erklärte er. So sei es möglich, im Reagenzglas Medikamente gegen ALS an Motoneutronen zu testen. Dadurch lassen sich einerseits viele Medikamente gleichzeitig prüfen, andererseits kann die Wirkung bereits existierender Stoffe getestet werden. Der Forscher Haruhisa Inoue hat beispielsweise in einer laufenden Studie entdeckt, dass das Leukämie-Medikament «Bosutinib» den Zerfall der Motoneuronen aufhalten kann. Fünf von neun damit behandelten ALS-Patienten zeigten Anzeichen, dass damit der Krankheitsverlauf gestoppt werden kann.

Ethische Fragen diskutieren

Simon Hoerstrup, Direktor des UZH-Instituts für Regenerative Medizin (IREM), eröffnete den Publikums-Austausch mit der Frage, wie die Akzeptanz der breiten Gesellschaft gegenüber neuen Therapieformen gefördert werden könne. Yamanaka äusserte sich zurückhaltend und nachdenklich: «Auch für mich fühlt sich der Einsatz von iPS-Zellen immer noch befremdlich an. Ich frage mich auch immer wieder, ob es richtig ist, das zu tun. Ich glaube, diese Haltung ist nötig, denn ansonsten kann Wissenschaft gefährlich werden.» Die Wissenschaft gehe schnellen Schrittes voran und die Gesellschaft müsse mithalten, damit die ethischen Fragen diskutiert werden können, forderte der Nobelpreisträger.