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Right-Livelihood-Award

«Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg»

Fartuun Adan und Ilwad Elman erhalten den diesjährigen Right-Livelihood-Award, der auch als alternativer Nobelpreis bekannt ist. Im Vorfeld der Preisverleihung sprachen sie an der UZH über ihr humanitäres Engagement in Somalia.
Patrizia Widmer

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Fartuun Adan und Ilwad Elman an der UZH
Bewegender Auftritt an der UZH im Rahmen der «Right Livelihood Lecture»: Fartuun Adan und ihre Tochter Ilwad Elman.

 

«Somalia leidet in diesem Moment», sagte Fartuun Adan an der UZH. In aufrüttelnden Worten berichtete sie zusammen mit ihrer Tochter Ilwad Elman von dem nun mehr als 30 Jahre andauernden Krieg und der aktuellen Dürre in Somalia. Vier Regenzeiten sind ausgeblieben, und seit Monaten warnen Hilfsorganisationen vor einer Hungerkatastrophe. Wegen des Krieges in der Ukraine sind auch die Getreidelieferungen stark eingeschränkt. Zusätzlich erschwert die Terrormiliz Al-Shabaab internationale Hilfe.

Die Scherben aufsammeln

Fartuun Adan ist gebürtige Somalierin. Sie wurde 1969 in der Hauptstadt Mogadischu geboren. Im Jahr 1990 gründeten sie und ihr Mann Ali Ahmed Elman die Organisation «Elman Peace» – mit dem Ziel, zu Stabilität und Frieden in Somalia beizutragen.

Doch der Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre eskalierte weiter. Inmitten der Tumulte flüchtete Fartuun Adan mit ihren drei Töchtern nach Kenia. Ihr Ehemann blieb zurück in Somalia. Sein Engagement missfiel den Warlords. «Mehrmals forderten sie ihn auf, mit seiner Arbeit aufzuhören», sagte Fartuun Adan. Im Jahr 1996 wurde er schliesslich ermordet.

Daraufhin flüchtete die junge Witwe mit ihren drei Töchtern ins Exil nach Kanada. Doch die Verbundenheit mit ihrer Heimat blieb: «Ich habe meinen Mädchen immer gesagt: Wenn ihr älter seid, kehre ich zurück und sammle die Scherben auf.»

2006 war es soweit: Entschlossen nahm sie die Arbeit von Elman Peace wieder auf. Ihren Fokus legte sie auf die somalischen Frauen und Kinder, die bis heute unter den Grausamkeiten des Krieges leiden.

Inspiriert von ihrer Mutter

Alle drei Töchter der Friedensaktivistin Fartuun Adan folgten dem Beispiel ihrer Mutter und setzten sich für die Friedensarbeit ein. Iman Elman, die jüngste Tochter, setzt sich seit 2011 für die Rechte der Frauen in der somalischen Armee ein. Die Älteste, Almaas Elman war Diplomatin. Sie wurde 2019 in Mogadischu getötet.

Ilwad, die Mittlere, folgte ihrer Mutter im Jahr 2010 nach Somalia und engagiert sich seither mit ihr für Elman Peace. Trotz der Trauer über den Verlust ihrer Familienmitglieder sagt sie stolz: «Wir haben alle auf verschiedenen Wegen auf dasselbe Ziel hingearbeitet - sei es über Diplomatie, Militär oder Aktivismus.»

Reintegration von Kindersoldatinnen und Kindersoldaten

Die Resozialisierung ehemaliger Kindersoldatinnen und Kindersoldaten ist einer der heutigen humanitären Schwerpunkte von Elman Peace. Mädchen und Jungen werden in Somalia ihren Familien entrissen, oft unter der Androhung oder Anwendung von Gewalt. Aus Angst vor der radikalislamischen Terrormiliz können sich die betroffenen Familien kaum wehren, erklärt Fartuun Adan.

Um den Kindern möglichst schnell zu helfen, hat Elman Peace mit der Regierung eine Abmachung getroffen: Jedes Kind, das an der Front gefangen genommen wird, muss innerhalb von 72 Stunden an die Non-Profit-Organisation übergeben werden. Dort werden die Kinder betreut und erhalten eine sichere Bleibe. Später werden sie individuell geschult und erhalten wichtige Fertigkeiten für den Arbeitsmarkt. Besonders wichtig sei auch die Reintegration der einst gefürchteten Kinder in die Gesellschaft. 

Nebst der Hilfe für ehemalige Kindersoldatinnen und Kindersoldaten betreiben die Aktivistinnen auch ein Heim für Kinder, die ausgesetzt wurden. Viele Babys werden auf der Strasse zurückgelassen, wenn Frauen ungewollt schwanger werden – eine der Folgen der vielen Vergewaltigungen, denen die Frauen aufgrund der schwierigen humanitären Lage ausgeliefert sind.

Unterstützung für Opfer von sexueller Gewalt

Frauen in Somalia sind durch die Fluchtbewegungen im Land besonders vulnerabel und häufig sexuellen Übergriffen ausgesetzt. Das nur schlecht funktionierende Rechtssystems im ostafrikanischen Staat lässt viele Verbrechen unbestraft.

Fartuun Adan und Ilwad Elman gründeten darum das erste Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer im Land, das Überlebende geschlechtsspezifischer Gewalt unterstützt. Heute gibt es insgesamt acht Zentren in verschiedenen Regionen Somalias, die psychosoziale Beratung und medizinische Notfallversorgung anbieten. Zu ihren Dienstleistungen gehören auch Rechtshilfe, sichere Unterkünfte und die Ausbildung der Betroffenen.

Somalia wartet nicht auf Almosen

Ilwad Elman fasst die umfangreichen Hilfeleistungen von Elman Peace so zusammen: «Wir wollen das Unterstützungssystem bieten, das der Staat nicht zur Verfügung stellt. Viele der Dinge, die wir tun, sollten staatliche Aufgaben sein: Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und Sicherheit.»

Als Frauen würde ihnen dabei ein Teil ihrer Arbeit erschwert, sagt Ilwad Elman. Beispielsweise hätten sie bei der Terrorismusbekämpfung nicht viel mitzureden: Militär und Sicherheit werde primär als Männersache angesehen. Ilwad Elman blickt ihre Mutter nachdenklich an und sagt: «Was ich von meiner Mutter gelernt habe, ist, dass man aus dem Hintergrund führen muss.»

Auf die Frage, ob sich Mutter und Tochter um ihre Sicherheit sorgen, antwortet Ilwad Elman nüchtern: «Die Frage ist nicht, ob etwas passieren wird, sondern wann». 

Beide Frauen brennen trotz aller Widrigkeiten für ihr Schaffen und betonen immer wieder, dass sie sich freiwillig für ihre Arbeit in Somalia entschieden haben. Sie könnten den zerrissenen Staat verlassen, wollen dies aber nicht. Wenn Ilwad Elman auch nur kurze Zeit zurück in Kanada ist, spüre sie jeweils den grossen Drang, nach Somalia zurückzukehren. Vor Ort könne sie viel mehr bewirken. Trotz der grossen Probleme sieht die Aktivistin viel Potential: «Es gibt so viel Hoffnung und Elan in Somalia.» Es gäbe viele Graswurzel-Bewegungen. Die meisten Ideen kämen bisher aber nicht über die Pilotphase hinaus. Darum betont sie: «Die Menschen in Somalia warten nicht auf Almosen, sondern auf Investitionen.»

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