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Lehrerinnen- und Lehrerbildung für Maturitätsschulen

«Guter Unterricht braucht Freiräume»

An den Zürcher Mittelschulen startet kommende Woche der Unterricht. Didaktikprofessor Dominik Petko spricht im Interview über einen stillen Wandel der Unterrichtskultur an den Gymnasien und die Herausforderungen der neuen Maturitätsreform.
Melanie Keim

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Dominik Petko: «Unsere Studierenden interessieren sich sehr für neue, innovative Unterrichtsformen.»

Die Volksschule kämpft mit einem akuten Lehrpersonenmangel. Wie ist die Situation an den Gymnasien?

Wir können an den Gymnasien gegenwärtig keinen Lehrpersonenmangel feststellen. Nur in einigen Fächern wie Mathematik, Physik, Informatik und Französisch, in denen die Abgängerinnen und Abgänger teilweise besonders attraktive Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt haben, ist es schwierig, Leute zu finden. Doch die Nachfrage nach Lehrpersonen wird steigen: Wir rechnen aufgrund der demografischen Entwicklung im Kanton Zürich bis 2034 mit 20´4000 Gymnasiasten bei gleichbleibender Gymnasialquote, das sind 4´500 Schülerinnen und Schüler mehr als 2018. Das würde bedeuten, dass bis dann ungefähr 550 Lehrpersonen mehr gebraucht würden als heute. Wir werben deshalb aktuell stark für das Lehrdiplomstudium.

Auf der Volksschule gab es in den letzten 20 Jahren zahlreiche Reformen, die den Unterricht und die Arbeit der Lehrpersonen verändert haben. Wie hat sich der Unterricht in dieser Zeit an den Gymnasien entwickelt?

Grosse Reformen wie den Lehrplan 21 in der Volksschule gab es in den letzten 25 Jahren an den Gymnasien nicht, viele Schulen haben sich aber auf den Weg gemacht, ihre Lehr- und Lernkultur weiterzuentwickeln. Da sind im Stillen grosse Entwicklungen im Gange. Es gibt sehr innovative Schulen, die zum Beispiel selbstorganisiertes, projektartiges Lernen, kompetenzorientiertes Arbeiten oder situativen Unterricht in realen Umgebungen ausserhalb des Klassenzimmers fördern.

Mit der Weiterentwicklung der gymnasialen Maturität steht nun auch an den Gymnasien eine Reform an. Inwiefern wird die geplante Maturitätsreform den Unterricht an den Gymnasien verändern?

Die neue Maturitätsreform, die aktuell in der Vernehmlassung ist, ist aus meiner Sicht keine radikale Reform. Man fügt vor allem neue Elemente zum Bestehenden hinzu. Geplant ist die Aufwertung von Wirtschaft und Recht sowie Informatik zu Grundlagenfächern, ausserdem können Kantone auch Religion als Grundlagenfächer einführen. Zweitens werden überfachliche Kompetenzen gefördert: Die Schülerinnen und Schüler sollen zum Beispiel Lernstrategien entwickeln, wissenschaftlich schreiben oder im Team arbeiten können. Drittens orientiert sich der neue Lehrplan stark an unseren epochalen Schlüsselproblemen: Am digitalen Wandel, Fragen der Nachhaltigkeit und des sozialen Wandels. Das heisst, es gibt mehr Fächer, mehr Kompetenzen, mehr Ziele. Auch der Entwurf des revidierten Rahmenlehrplans ist sehr umfangreich geworden. Das kann man auch kritisch sehen. Wenn man die Lehrpläne mit Stoff überfrachtet, leidet die Unterrichtskultur, und der Frontalunterricht nimmt Überhand.

Das widerspricht neuen Formen des kompetenzorientierten Lernens.

Genau. Der neue Entwurf spricht auch von Kompetenzorientierung: Die Schülerinnen sollen lernen, das Gelernte kreativ auf neue Problemstellungen anzuwenden, auch im Sinne einer Vorbereitung auf das Studium. Doch dafür müssen die Voraussetzungen stimmen. Guter Unterricht braucht Freiräume. Wenn man Lehrpersonen allzu stark vorgibt, was sie behandeln müssen, und gleichzeitig die Stunden in den Fächern reduziert, schrumpfen diese Freiräume.

Wie sehen dies die Studierenden?

Unsere Studierenden interessieren sich sehr für neue, innovative Unterrichtsformen. Denn sie kommen alle aus Fachwissenschaften, wo genau so gearbeitet wird. Zudem macht es mehr Spass, im Unterricht sehr aktuelle wissenschaftliche Themen zu behandeln, statt nur den alten Kanon zu unterrichten. Im Biologieunterricht lassen sich zum Beispiel viele Grundlagenthemen in ein Nachhaltigkeitsprojekt einbinden zur Frage, wie man die Biodiversität auf dem Schulareal fördern kann.

Ist die Arbeit von Gymnasiallehrpersonen und ihre Ausbildung an der UZH anspruchsvoller geworden?

Ja, neue Unterrichtsformen brauchen eine vertiefte Expertise. Um Schülerinnen und Schüler beim projektartigen Lernen zu unterstützen, muss man alle Holzwege kennen, auf die sie geraten können, und die richtigen Hinweise geben, wie sie wieder auf einen produktiven Pfad kommen. Zudem brauchen solche Formen viel mehr Vorbereitung als die herkömmlichen instruktionalen Unterrichtsformen. Gerade in der anspruchsvollen Phase des Berufseinstiegs fällt man deshalb gerne auf eher traditionelle Unterrichtsmuster zurück. Ich werbe deshalb immer dafür, dass sich Lehrpersonen weniger als Einzelkämpfer verstehen und Unterrichtsmaterialien und -einheiten miteinander teilen und sich stärker austauschen.

Sie sind seit zwei Jahren Direktor der Abteilung Lehrerinnen- und Lehrerbildung Maturitätsschulen. Welche neuen Schwerpunkte haben Sie gesetzt?

Wir haben einen Akzent auf das Thema Digitalisierung gesetzt und das entsprechende Lehrangebot stark ausgebaut, denn Schülerinnen und Schüler müssen heute lernen, in einer digital geprägten Kultur verantwortlich zu handeln und fachlich zurecht zu kommen. So haben wir neben meinem Lehrstuhl auch noch einen spezialisierten Lehrstuhl Educational Technology geschaffen, der sich dem Lernen mit digitalen Medien widmet. Nun kommt noch der Lehrstuhl Digitale Hochschuldidaktik dazu, eine Brückenprofessur zwischen PH Zürich und UZH, die im Rahmen der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) geschaffen wird. Wir bilden nicht nur aus, sondern forschen auch in all diesen Bereichen. Aktuell gestalten wir etwa ein virtuelles Klassenzimmer, in dem unsere Studierenden an der Uni auch einmal kürzere Unterrichtssequenzen proben können, was in den Praktika nicht möglich ist. Ganz viele Berufsgruppen werden an Simulatoren ausgebildet, das ist auch bei Lehrpersonen möglich, zumindest teilweise.