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Psychologie

Schöner streiten

Glückliche Paare geraten über dieselben Themen aneinander, wie unglückliche Paare und sie haben auch nicht weniger Konflikte – aber sie streiten anders. Dies macht eine gross angelegte psychologische Langzeitstudie an der UZH deutlich.
Ümit Yoker
Richard Burton und Liz Taylor haben leidenschaftlich gestritten – auf der Leinwand und im richtigen Leben. Hier in «Who's Afraid of Virginia Woolf?»


Es ist so eine Sache mit der Zufriedenheit: In Umfragen finden die meisten Schweizerinnen und Schweizer ihre Beziehung eigentlich ganz in Ordnung – aber zwei von fünf Paaren lassen sich dann doch scheiden. «Niemand blickt morgens gerne in den Spiegel und gesteht sich ein, dass er oder sie ein unerfülltes Leben führt», sagen der Paar-Psychologe Guy Bodenmann und die Motivationspsychologin Veronika Brandstätter. Und weil das so ist, kreuzt die Frau im Fragebogen zur Paarzufriedenheit dann halt auf einer Skala von eins bis zehn die Sieben an. «Verglichen mit unseren Nachbarn, hab ich es mit meinem Arthur ja doch ganz gut getroffen», mag sie sich zureden.

Guy Bodenmann und Veronika Brandstätter gehören mit zum Forschungsteam der Langzeitstudie «PASEZ – Partnerschaft und Stress: Entwicklung im Zeitverlauf» (siehe Kasten). Ein Jahrzehnt lang haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Psychologischen Instituts der UZH untersucht, wie Paare mit Stress umgehen, was ihre Beziehung stärkt und was sie schwächt.

Konflikte vor der Kamera

Spannender als die Zufriedenheit zu erheben, die man sich immer auch selbst suggerieren kann, sei es, der Blick auf die Qualität einer Partnerschaft, sagt Guy Bodenmann. Deshalb beobachten die Psychologinnen und Psychologen genau, wie sich Partner konkret verhalten und wie sie miteinander reden. «Die Kommunikation ist die Visitenkarte eines Paares», so Bodenmann. Erzähle ich meinem Partner, wenn es mir nicht gut geht? Wie häufig finden meine Freundin und ich Zeit für intime Gespräche? Die Entwicklung einer Beziehung lässt sich daran prognostizieren, wie zwei Menschen miteinander sprechen, wie sie sich gegenseitig unterstützen und vor allem: wie sie zusammen streiten.

Zentral für die alljährliche Datenerhebung der PASEZ-Studie waren deshalb auch die Streitgespräche der teilnehmenden Paare vor der Kamera. Gut ein Dutzend Konfliktthemen standen den Probandinnen und Probanden zur Auswahl.  Am häufigsten wählten sie das Thema «Kommunikation», diskutiert wurde aber auch über störende Angewohnheiten, über Geld, Kinder, Haushalt. Doch: Geht das überhaupt, vor der Kamera authentisch streiten? «Natürlich sitzen die meisten Menschen in der ersten Minute erst einmal ein wenig steif da», sagt Veronika Brandstätter. «Es ist jedoch erstaunlich, wie rasch sich diese anfängliche Spannung löst und die Paare in ihre eingeschliffenen Argumentationsmuster fallen.»

Nonverbale Signale

Die Forschenden analysieren in diesen Gesprächen nicht nur, was die Paare sagen. Ebenso wichtig, sind nonverbale Signale, da diese kaum bewusst kontrolliert werden können: Senkt er den Kopf, wenn sie redet? Berührt er sie sanft am Arm? Spricht Angst aus ihrem Gesicht, Ekel gar? Gewalttätige Paare zum Beispiel lassen sich alleine an ihrem non- und paraverbalen Verhalten erkennen, an Tonfall und Mimik, an Gesten und Blicken, auch wenn sie vor der Kamera natürlich nicht zuschlagen.

Nähe schaffen, Streit vermeiden

Was aber bestimmt, wie wir streiten? Ob wir mauern oder aufeinander zugehen? Ob wir hinhören oder abwehren? Lange trieb die Forschung vor allem die Frage um, ob unser Konfliktverhalten mit Charakter und Temperament des Individuums zusammenhängt oder aus der Dynamik des Paares heraus entsteht. «Negative Kommunikation ist immer paarspezifisch», sagt Bodenmann. Selbst die hitzigsten Paare seien problemlos in der Lage, mit anderen Menschen besonnen zu reden und sich zusammenzureissen. «Es geht hier also nicht um Kompetenz, sondern um Motivation.» Wie wir in Konflikten miteinander umgehen, hat ganz viel mit den Zielen zu tun, die wir in einer Partnerschaft verfolgen, wenn auch meist unbewusst.

Solche Beziehungsziele lassen sich laut Brandstätter zwei Grundrichtungen zuordnen: Geht es mir in einer Partnerschaft vor allem darum, Gelegenheiten der Nähe und Intimität zu schaffen? Oder möchte ich primär Streitigkeiten und Verletzungen verhindern? Auf den ersten Blick scheint das, was die Psychologie als Annäherungs- oder Vermeidungsmotivation bezeichnet, dabei gar nicht so weit auseinander zu liegen: Sicher will doch auch, wer Konflikten aus dem Weg geht, schöne Erinnerungen zu zweit schaffen. Und wer sich bestens auf die Planung romantischer Wochenenden versteht, dürfte sich dazu kaum miese Stimmung wünschen.

Vermeidungsorientierte Menschen sind angespannter

Doch die Folgen dieser beiden Grundhaltungen dafür, wie Paare miteinander umgehen, könnten nicht unterschiedlicher sein. «Wer Schwieriges und Unangenehmes unbedingt vermeiden möchte, ist konstant in einer inneren Habachtstellung», sagt Brandstätter. Das führt dazu, dass vermeidungsorientierte Menschen angespannter und mit pessimistischerer Haltung in einen Streit gehen. Sie erwarten eher Kritik und Unverständnis, reagieren heftiger auf negative Reaktionen des Gegenübers und weisen noch lange nach dem Streit erhöhte Adrenalin- und Cortisonwerte auf. Konflikte eskalieren oder enden in eisigem Schweigen. Glückliche Paare treten dagegen in der Regel offener und mit weniger negativen Erwartungen in einen Konflikt; sie sind sich eher bewusst, dass Auseinandersetzungen zu einer Beziehung gehören und wichtig sind, und sie streiten konstruktiver.

Neue Beziehungsziele setzen

Es ist also paradox: Gerade weil ich Streit um jeden Preis vermeiden will, halte ich konstant nach negativen Signalen Ausschau – und nehme deshalb viel mehr unangenehme oder schwierige Momente wahr als andere, gebe ihnen grösseres Gewicht, sehe jeden Konflikt als ein Versagen an und werde schliesslich noch wachsamer. Selbst ambivalente oder neutrale Situationen werden irgendwann negativ interpretiert, Versuche der Annäherung und Versöhnung des Gegenübers gehen unter oder werden gar nicht erst als solche erkannt. Ein Teufelskreis, sagt Brandstätter. Die gute Nachricht: Es handelt sich hier nicht um unabänderliche Charaktereigenschaften. Man kann sich auch neue Beziehungsziele setzen. «Der grundlegende Schritt ist, sich der bisherigen Ziele bewusst zu werden und sie allenfalls neu zu formulieren.»

Abfedernd reagieren

Das alles bedeutet nicht, dass in einem Streit einzig sanfte Verständnisbekundung zulässig ist. Es sei ganz normal, auch mal sauer zu sein und das Gegenüber eben gerade nicht zu verstehen, sagt Bodenmann – und fügt an, dass auch bei erfahrenen Paartherapeuten in der eigenen Beziehung manchmal die Fetzen flögen. Der Unterschied zwischen zufriedenen und unzufriedenen Paaren liegt beim Verlauf des Konflikts: «Wir konnten in unseren Studien immer wieder feststellten, dass eine negative Interaktion bei glücklichen Paaren stets von mindestens zwei positiven Bemerkungen oder Reaktionen aufgefangen wird.» Wer also Kritik am andern übt, federt die Härte seiner Worte vielleicht mit einer Geste der Zuneigung ab, mit Anerkennung für dessen Bemühungen, mit einer kleinen Anspielung, über die man zusammen schon so oft gelacht hat und die sonst keiner versteht. Einfach so, wie man es auch mit anderen Menschen machen würde, die man gerne hat.

 

Dieser Artikel stammt aus dem UZH Magazin, Ausgabe Nr. 2, 2022.