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Tierexperimentelle Forschung

Das Dilemma des Tierversuchs

Die Forschung an Tieren wird kontrovers diskutiert. Welchen Nutzen hat sie und wie wird gewährleistet, dass Tierversuche möglichst artgerecht und nur wenn nötig durchgeführt werden? Der Veterinär und Molekularbiologe Michael Hottiger nimmt dazu Stellung.
Adriana Rüegger

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Forschung mit Tieren setzt eine vorbildliche Tierhaltung, sachgerechte Ausbildung, sorgfältige Versuchsplanung sowie die grösstmögliche Leidensverminderung für die Tiere voraus.

 

Wenige Themen in der Wissenschaft stossen auf eine emotionalere Debatte als Tierversuche. Der Mensch pflegt eine enge Beziehung zu Tieren, sieht sie als Freunde. Dies lasse sich jedoch nur teilweise vereinbaren mit unserem persönlichen Wunsch nach Gesundheit, wie auch diese Pandemie aufzeige, erklärte Michael Hottiger, UZH-Professor und Präsident des Vereins «Forschung für Leben», in seinem Vortrag im Rahmen der Reihe Wissen-schaf(f)t Wissen des Zürcher Zentrums für Integrative Humanphysiologie. «Alle Menschen möchten, wenn sie krank sind, die wirksamsten und sichersten Medikamente und Therapien erhalten.»

Es ist unbestreitbar, dass die Tierforschung einen fundamentalen Beitrag in der Medizin geleistet hat. Doch als einzige Spezies erfahren wir nicht nur unser eigenes Leid, sondern erkennen auch das Leid der Tiere und können etwas gegen ihr Leid unternehmen. Wie kann der Mensch diese Verantwortung wahrnehmen? Und was bedeutet dies für die Forschung mit Tieren? Diesen und weiteren Fragen ging Michael Hottiger nach.

Gebot der Unerlässlichkeit

Das Schweizer Recht gibt vor, dass niemand ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schaden zufügt, es in Angst versetzt oder in anderer Weise seine Würde missachtet. Tierversuche müssen daher gerechtfertigt sein und der Wissenschaft oder Lehre nützen. Das Gesetz bezeichnet alle Forschung an Tieren, die der Wissenschaft oder Lehre dienen, als Tierversuche. «Tierversuche sind jedoch nicht ausschliesslich mit Leiden verknüpft, sondern können zum Beispiel auch Analysen und Verhaltensstudien an Wildpopulationen sein», so Hottiger.

«Aus ethischer, aufwandstechnischer und finanzieller Sicht möchten wir Tierversuche, wenn immer möglich, vermeiden», betonte Hottiger. Jeder Tierversuch in der Schweiz muss eine Reihe von Bedingungen erfüllen und von der kantonalen Behörde bewilligt werden. In erster Linie muss er unerlässlich sein. Zudem muss der Versuch ethisch vertretbar sein, was bedeutet, dass der Erkenntnisgewinn im Vergleich zur Belastung des Tieres überwiegt.  

Krankheiten besser verstehen

«Wir führen Versuche an Tieren durch, um Krankheiten besser zu verstehen», erläuterte Hottiger. Es gebe klare Hinweise, dass die Forschung von Diabetes, Krebs, Demenz und Herzkreislauf bei Tierversuchen eine Relevanz für Mensch und Tier hätten. Auch heute geläufige Therapien, wie zum Beispiel der Herzschrittmacher, wurden zuerst an Tieren getestet. Ebenso spielen Tierversuche für die Entwicklung von Medikamenten eine grosse Rolle. Das neuste Beispiel dazu ist die Entwicklung von Sars-Cov-2-Impfstoffen: «Sars-Cov-2-Impfstoffe waren nur möglich, weil die Forschung am Tier durchgeführt werden konnte.»

Tierversuche sind jedoch nicht die Lösung für alles. Tiere in Versuchen, von denen auch der Mensch profitieren soll, werden als Modelle gesehen. «Sehr oft regulieren Tiere gewisse Aspekte in ihrem Körper gleich wie der Mensch. Dies ist jedoch limitiert», sagte Hottiger. Er betonte, dass die Tiere in diesen Modellen keine Kopien des Menschen seien. Einzelne Tiere eigneten sich oft nur für bestimmte Aspekte in Versuchen. Häufig greift man deshalb auf genetisch-veränderte Tiere, meist Mäuse, zurück, weil sie vergleichsweise klein sind, sich schnell vermehren und ihr Genom durch die CRISPER/Cas-Technologie verändert werden kann.

Fehlende Alternativen 

Trotz aller Forschungserfolge darf nicht vergessen werden, dass Tieren im Namen der Wissenschaft Leid zugefügt wird. Wäre es daher nicht erstrebenswert, ganz auf Tierversuche zu verzichten respektive sie durch alternative Methoden zu ersetzen? Diese Frage greift die Initiative «Ja zum Tier- und Menschenversuchsverbot» auf, die voraussichtlich im Herbst zur nationalen Abstimmung kommen wird und Tierversuche ganz verbieten möchte.

 «Ohne Tierversuche fehlt uns das Verständnis für die wissenschaftliche Grundlage gewisser Krankheiten, die zurzeit noch erforscht werden und für die es noch keine Therapien gibt», hielt Hottiger fest. Auch künstliche Methoden seien nicht hinreichend: «Versuche in Reagenzgläser können nicht ein ganzes Tier ersetzen, denn bei vielen Krankheiten ist das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren ausschlaggebend.» Zum Beispiel können bei Entzündungsabläufen, für die mehrere Organe, ihre Verbindung, und ihr Zellaustausch analysiert werden, nur am ganzen Organismus erforscht werden.

Für viele Tierversuche gibt es heute laut Hottiger keine Alternativen. Auch die Entwicklung von Alternativmethoden ist ohne Tierversuch nicht möglich, da Zellen und Gewebe dafür von Tieren gewonnen werden müssen, was wiederum eine Validierung durch den Tierversuch erfordert.

Das Dilemma zwischen den ethischen und wissenschaftlichen Standpunkten bleibt bei Tierversuchen daher bestehen. Es ist eine Tatsache, dass die medizinische Kenntnis, die Entwicklung von Medikamenten und Therapien, sowie die Fachkräfte-Ausbildung ohne Tierversuche auch längerfristig nicht möglich sein wird.  

Was ist nun der beste Weg, den wir als Menschen in diesem Dilemma einschlagen können? Hottiger schlägt Folgendes vor: «Tierversuche sollten so viel wie nötig, aber nur so wenig wie möglich durchgeführt werden. Das sind wir Menschen mit unserer Verantwortung gegenüber den Tieren schuldig.»