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Nachwuchsforschende

Steile Stiege zu den Sternen

Eine wissenschaftliche Karriere ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Leidenschaft und Begeisterung gehören für Nachwuchsforschende genauso zu den Ingredienzien des Erfolgs wie Durchhaltevermögen, Resilienz und Glück.
Roger Nickl, Thomas Gull
Computerlinguistin Sarah Ebling: «Glück ist sicher auch ein Baustein für eine gelingende wissenschaftliche Karriere.»


Er sei auf einer Entdeckungsreise, sagt Tommaso Patriarchi. Der 33-jährige Neurowissenschaftler will verstehen, wie das menschliche Hirn funktioniert. Er hat dazu eine Methode entwickelt, die biologische Vorgänge in unserem Denkorgan sichtbar macht.

Partriarchis Biosensoren helfen Forscherinnen und Forschern weltweit, besser zu verstehen, wie unser Hirn arbeitet. Eine solche Forschungsreise in noch unbekannte Gefilde des Wissens ist nur beschränkt planbar und wird begleitet von erfreulichen Entdeckungen, manchmal aber auch von enttäuschenden Überraschungen und vielen Unwägbarkeiten.

Das gilt nicht nur für die Forschungsarbeit, sondern genauso für die wissenschaftliche Karriere.

Eine eigene Forschungsgruppe aufgebaut

Auf der Karriereleiter ist der junge Italiener, der aus der Nähe von Florenz stammt, schon ein gutes Stück emporgeklettert. Patriarchi forscht und arbeitet heute als ­Assistenzprofessor am Institut für Pharmakologie und Toxikologie der UZH. Im letzten Jahr erhielt er für sein Forschungsprojekt einen der begehrten ERC Starting Grants der EU, mit dem exzellente Nachwuchsforschende unterstützt werden.

Mit dem Fördergeld kann er nun seine eigene Forschungsgruppe auf- und ausbauen, sein Vorhaben weiter vorantreiben und so eine solide Grundlage für den späteren Sprung auf eine feste Professur schaffen. Ob dieser dann gelingt, steht allerdings noch in den Sternen.

Viele Unsicherheiten

Eine Karriere in der Wissenschaft ist mit vielen Unsicherheiten verbunden. Ob sich das Ziel, eine permanente Professur an einer Hochschule, erreichen lässt, bleibt oft lange offen.

Was treibt junge Nachwuchsforschende an, diesen steinigen Weg in Angriff zu nehmen? Welche Erfahrungen machen sie dabei? Welches sind die Hürden, die es zu überwinden gilt? Und welches sind die Ingre­dienzien ihres bisherigen Erfolgs? Dies wollten wir von vier jüngeren Forscherinnen und Forschern wissen, die sich an ganz unterschiedlichen Wegmarken ihrer Laufbahn befinden.

Einige sind, wie Tommaso Patriarchi, auf dem besten Weg zu einem Lehrstuhl, andere liebäugeln mit der Idee, auf der Basis einer wissenschaftlichen Innovation ein Startup zu gründen. Für sie sind die Weichen, die sie in Richtung Wissenschaft oder in die Wirtschaft führen, noch nicht definitiv gestellt.

Faszination und Leidenschaft

Was sie alle verbindet, sind die Passion und der Enthusias­mus für die Wissenschaft und für ihr Forschungsgebiet. Wer eine wissenschaftliche Karriere in Angriff nimmt, ist meist stark intrinsisch motiviert. Es ist nicht das grosse Geld, das lockt, sondern vielmehr die Chance, sich ein Stück weit selbst zu verwirklichen und seine eigenen Projekte zu realisieren. «Man braucht Leidenschaft für die eigene Forschung und sollte von seinen Ideen überzeugt sein», sagt Kunsthistorikerin Raphaèle Preisinger, «ich bin immer dem nachgegangen, was mich fasziniert hat.»

Bisher hat sich diese Strategie für sie gelohnt. In ihrer aktuellen Forschung untersucht die UZH-Förderungsprofessorin die Bedeutung von Kunstwerken für die Aushandlung von Heiligkeit in der Frühen Neuzeit aus einer globalgeschichtlichen Perspektive. Für ihr Projekt hat auch sie einen ERC Starting Grant und gleichzeitig einen PRIMA-Beitrag des Schweizerischen Nationalfonds erhalten, der aussichtsreiche Forscherinnen auf dem Weg zur festen Professur unterstützt.

Lautsprache in Gebärdensprache übersetzen

Neben der Aussicht, selbstbestimmt forschen und eigene Ideen realisieren zu können, treibt der Gedanke, mit ihrer Arbeit in der Gesellschaft etwas zu bewegen einen Teil der Nachwuchsforschenden an. «Auf mich wirkt der gesellschaftliche Impact motivierend», sagt Sarah Ebling.

Die Computerlinguistin entwickelt digitale Werkzeuge, die Lautsprache in Gebärdensprache übersetzen und vice versa oder komplexe deutsche Texte sprachlich vereinfachen. Ebling ermöglicht damit Gehörlosen und Menschen mit einer kognitiven Beeinträchtigung einen besseren Zugang zur digitalen Welt. Sie arbeitet dabei eng mit den jeweiligen Zielgruppen zusammen.

Möglichst früh beginnen

Sarah Ebling leitet als Senior Researcher am Institut für Computerlinguistik ihre eigene Forschungsgruppe und befindet sich auf dem Weg zur Professur. «Glück ist sicher auch ein Baustein für eine gelingende wissenschaftliche Karriere», sagt sie.

Für ihre bisherige Laufbahn war entscheidend, dass sie schon früh ihre eigenen Projekte beantragen konnte und dafür Unterstützung erhalten hat.  Leidenschaft für die Forschung ist ein wichtiger Treibstoff für eine wissenschaftliche Karriere, doch genauso wichtig sind Freiräume, um diese Passion möglichst früh auszuleben zu können.

Unterstützung dank Eigeninitiative

Solche Freiräume für die eigene Forschung erhalten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler etwa durch Drittmittel von Forschungförderern wie dem Schweizerischen Nationalfonds, der EU oder durch andere Förderungs- und Assistenzprofessuren.

Letztere sind an der UZH in grösserer Zahl geschaffen worden – so lancierte allein die Digital Society Initiative 2018 neun solcher Professuren für Nachwuchsforschende, zehn weitere sollen folgen. Neu organisiert wurde auch die Forschungsförderung der UZH. Sie soll es Doktorierenden und Postdocs erlauben, unabhängig ihren wissenschaftlichen Ideen nachzugehen und Forschungsprojekte umzusetzen (Siehe Kasten weiter unten).

Um an diese Fördermittel zu gelangen, ist Eigeninitiative gefragt. «Man muss seine Chance erkennen und investieren», sagt Sarah Ebling. «Wenn es klappt, bekommt man viel Freiheit für die eigene Forschung.»

Die Kunst des Antragsschreibens

Der Wettbewerb um diese Gelder ist allerdings hart. Um zu reüssieren, ist es deshalb nicht nur wichtig, eine gute Forscherin, ein guter Forscher mit frischen, innovativen Ideen zu sein, sondern man muss auch gut kommunizieren und sein Projekt verkaufen können.

«Das Klischee vom introvertierten Wissenschaftler, den niemand versteht, wenn er spricht, stimmt schon lange nicht mehr», sagt Stefan Dudli, «Ideen und Projekte müssen heute gut präsentiert werden, sonst bekommt man keine Unterstützung.»

Der Biochemiker untersucht und entwickelt eine neue Therapie gegen Rückenschmerzen. Für seine Forschung konnte er bisher aus verschiedenen Quellen 1,6 Millionen Franken einwerben. Mit der Zeit lerne man die Kunst des Antragsschreibens, sagt der Nachwuchswissenschaftler, der sich vorstellen kann, eine Spinoff-Firma zu gründen und seine neue Behandlungsmethode auf den Markt zu bringen.

Damit er seine Geschäftsidee weiterzuentwickeln kann, wird er während der nächsten eineinhalb Jahren mit einem  MedTech Entrepreneur Fellowship des UZH Innovation Hub gefördert.

Ob er mit einem Bein in der Wissenschaft bleibt oder später ganz in die Wirtschaft wechselt, ist für Stefan Dudli eine offene Frage. Die Antwort darauf hängt auch von ­seiner akademischen Perspektive ab. «Als junger Wissenschaftler sollte man immer über einen Plan B verfügen, denn die akademische Karriere kann schnell zu Ende sein, wenn man für die eigene Forschung kein Geld mehr findet», sagt er.

Rückschläge verkraften

Das akademisch-wissenschaftliche System fordert von den Nachwuchsforschenden viel Flexibilität. So gehört ein längerer Aufenthalt an einer möglichst renommierten Forschungsinstitution im Ausland ganz selbstverständlich zu einer wissenschaftlichen Laufbahn.

Ebenso klar ist, dass man nicht unbedingt auf einen Lehrstuhl im Heimatland oder gar in der Heimatstadt hoffen darf, sondern offen sein sollte für Chancen, die sich irgendwo auf dem Globus auftun.

Und man muss die unvermeidlichen Rückschläge verkraften und immer wieder neu Anlauf nehmen – etwa wenn ein Finanzierungsantrag abgelehnt, ein Paper nicht angenommen wurde oder es mit einer Stellenbewerbung nicht geklappt hat. «Man muss eine positive Haltung dem Scheitern gegenüber entwickeln», sagt Tommaso Patriarchi, «es gehört zum Job des Wissenschaftlers und ist Teil des Weges zum Erfolg.» Es braucht also Durchhaltevermögen und einen guten Schuss Resilienz, um die Karriere am Laufen zu halten und sich nicht entmutigen zu lassen.

Wie ein Marathonlauf

Insbesondere Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler brauchen oft die Ausdauer von Marathonläuferinnen und -läufern, denn in diesem Wissenschaftsbereich fallen die Würfel für den Karriereerfolg besonders spät.

Ein Grund dafür ist, dass im Gegensatz etwa zu den Naturwissenschaften hierzulande für eine Professur in vielen Fächern immer noch eine Habilitation vorausgesetzt wird. Konkret bedeutet das, ein grosses Buch zu schreiben. Das nimmt viel Zeit in Anspruch und ver­zögert den nächsten Karriereschritt.

«In den USA werden Laufbahnentscheide viel früher gefällt als bei uns, das finde ich positiv», sagt Raphaèle Preisinger, die selber längere Zeit dort gelebt und auch geforscht hat. In den Vereinigten Staaten sind beispielsweise Assistenzprofessuren mit einem Tenure Track, der Nachwuchsforschenden bei guten Leistungen eine feste Professur garantiert, auch in den Geistes­wissenschaften viel verbreiteter als hierzulande. Man müsse sich auch hier überlegen, ob man die Karriereweichen nicht früher stellen wolle, findet Kunsthistorikerin Preisinger.

Familie oder nicht?

Die Dekade zwischen 30 und 40 ist für Nachwuchsforschende nicht nur in beruflicher Hinsicht eine entscheidende Lebensphase. In dieser Zeit stellt sich für viele auch die Frage: Familie oder nicht?

Stefan Dudli, Sarah Ebling und Raphaèle Preisinger haben sich für Familie entschieden. Ihre Erfahrung: Es ist schwierig, Kinder und Karriere unter einen Hut zu bringen. «Das ist ein ständiger Spagat», sagt Dudli. Und Raphaèle Preisinger hat erfahren, dass man mit Vorurteilen kämpfen muss, wenn man als Mutter den eingeschlagenen Weg weitergeht. «Das ist in der Schweiz weniger selbstverständlich als anderswo», sagt sie.

Im Ausnahmezustand

Sarah Ebling spricht von einem Ausnahmezustand, in dem man sich befinde, besonders wenn die Kinder noch klein sind. Gerade in dieser Phase bekam die Computerlinguistin jedoch wichtige Unterstützung. «Als ich Mutter wurde, ermunterte mich mein Vorgesetzter am Institut dazu, Professorin zu werden», erzählt sie, «das in einem Moment, in dem man null Energie hat für solche Gedanken – das war unglaublich wertvoll und hat mir sehr geholfen.»

Sarah Ebling hat sich vorgenommen, dereinst als Professorin Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auch gezielt zu motivieren und zu unterstützen. Ob sie ihr Ziel, den eigenen Lehrstuhl, erreichen wird, muss sich noch zeigen. Auch bei Tommaso Patriarchi, Raphaèle Preisinger und Stefan Dudli ist noch vieles offen – sie forschen weiter: mit Leidenschaft, Begeisterung und Enthusiasmus.