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Neuer Rektor im Gespräch

«Kreative Freiräume schaffen»

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit fördern, Reglemente vereinfachen und Freiräume für die Forschung schaffen: Dies sind Ziele, die Michael Schaepman als Rektor der UZH erreichen will. Der jetzige Prorektor Forschung tritt sein neues Amt am 1. August an.
Interview: Roger Nickl, Stefan Stöcklin

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«Wenn wir die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen anschauen, dann wird Kooperation ein grosses Thema sein. Es geht um die Frage, was machen wir gemeinschaftlich mit anderen Hochschulen und wo stehen wir im freundschaftlichen Wettbewerb», sagt Michael Schaepman. (Bild: Frank Brüderli)

 

Michael Schaepman, wofür steht die Universität Zürich?

Die UZH ist national und international im wissenschaftlichen Wettbewerb hervorragend positioniert. Der Forschungsplatz Zürich profitiert sehr stark von ihren beiden Hochschulen, der UZH und ETH, die je für sich auch starke Einzelplayer sind. Beide tragen zum Reputationsgewinn der jeweils anderen Institution bei.

Am 1. August treten Sie das Amt als neuer Rektor der UZH an. Worauf freuen Sie sich am meisten?

Ich freue mich sehr darauf, die Zukunft der Universität mitgestalten zu können. Ich werde mich für Rahmenbedingungen einsetzen, die kreative Forschung und die gemeinsame Entwicklung neuer Ideen erlauben.

Wie sehen Sie Ihre Rolle: Eher als Moderator oder als Gestalter?

Ich habe sowohl Gestaltungs- als auch Moderationswille. Der anspruchsvollste Teil meiner ersten hundert Tage im Amt wird sein, die richtige Balance zwischen den beiden zu finden.  

Sie selbst forschen erfolgreich im Bereich der Fernerkundung – was hat Sie dazu bewogen, die Forschung an den Nagel zu hängen und Rektor zu werden?

Die Forschung, die ich gemacht habe, ist sehr interdisziplinär. Sie reicht vom Engineering bis hin zur methodischen Grundlagenforschung. Diese Interdisziplinarität habe ich immer als grossen Vorteil erlebt, sie kann auch der Volluniversität UZH viele Vorteile bringen. An der UZH gibt es unterschiedliche Wissenschaftskulturen und verschiedenste Forschungsthemen – diese Diversität ist ein grosses Kapital. Durch die bessere Vernetzung verschiedener Wissenschaftsgebiete kann sich die UZH künftig noch stärker positionieren. In diesem Bereich kann ich einen Impuls für die Zukunft setzen.

Dass Sie Ihre Forschung nun aufgeben müssen schmerzt Sie nicht?

Doch natürlich, das geht nicht ganz schmerzfrei. Aber ich glaube schon, dass ich als Rektor der UZH die Hochschule durch Integration von verschiedenen Gebieten noch einen Schritt weiterbringen kann. Einen sehr kleinen Anteil meiner Forschung möchte ich, soweit möglich, beibehalten.

Welche Vorteile bringt die interdisziplinäre Vernetzung?

Das hat viel mit der Komplexität der Welt zu tun, in der wir leben. Wir müssen immer detaillierter Wissenschaftsgebiete ergründen und Antworten geben auf Fragen, die für die Gesellschaft und Wissenschaft wichtig sind. Dazu braucht es Spezialistinnen und Spezialisten. Diese sollten aber nicht isoliert arbeiten. Es braucht im gleichen Mass Forscherinnen und Forscher, die das Spezialistenwissen in grössere Zusammenhänge integrieren. Stimmt die Balance, kann die interdisziplinäre Zusammenarbeit sehr fruchtbar sein.

Können Sie ein Beispiel geben, wie und wo wir die wissenschaftliche Vielfalt der UZH integrieren und nutzen können?

Ein Beispiel ist der neue Forschungsschwerpunkt «Digital Religions». Er verbindet Soziologie, Ethik, Theologie mit Informatik und der Erforschung von Netzwerken sowie weiteren Themenbereichen. Das ist ein Gebiet, das stark an Bedeutung gewinnt. Gesellschaftliche Auswirkungen – etwa die Radikalisierung via Internet – kann man nur interdisziplinär erforschen. Da sind vielfältige Kompetenzen gefragt, die an der UZH hochkarätig vorhanden sind.

Diversität ist eine Stärke der UZH, sagen Sie. Wo liegen die Schwächen?

Eine Schwäche ist, dass wir bedingt durch das starke Wachstum punkto Infrastruktur limitiert sein werden – insbesondere, was Gebäude anbelangt. Und die Frage ist, wie wir die wachsende Anzahl der Studierenden auch künftig so gut ausbilden können. Wir müssen die besten Betreuungsverhältnisse sicherstellen. Wir rechnen auch damit, dass sich in Folge der Corona-Pandemie mehr Maturandinnen und Maturanden für ein Studium entscheiden werden und nicht direkt den Weg auf den Arbeitsmarkt nehmen.

Wie wollen Sie dieser Entwicklung begegnen?

Hinsichtlich Infrastruktur sind diverse Projekte in Bau oder Planung, so das neue Chemiegebäude auf dem Irchel oder das Forum UZH im Zentrum. Damit können wir aber nur begrenzt neue Flächen schaffen, denn wir werden auch Gebäude an den Kanton zurückgeben müssen, wenn das Forum UZH bezugsbereit ist.

Sie haben drei programmatische Begriffe für Ihre Amtszeit gewählt: Kreativität, Kooperation und Komplexität. Lassen Sie uns diese Begriffe etwas beleuchten: Inwiefern ist Kreativität in Forschung und Lehre an der UZH wichtig?

Ich beziehe diese drei programmatischen Begriffe immer sowohl auf Forschung und Lehre als auch auf Dienstleistungen, welche die Zentralen Dienste für die Forschung und Lehre erbringen. Seitens der Forschung bedeutet Kreativität, Freiräume zu schaffen für Ideen, Theorien und Experimente. Wir müssen den Forschenden den Rücken freihalten, damit sie möglichst gut forschen können.

Zum Beispiel?

Bei den Doktorierenden ist es wichtig, dass wir ihre Freiräume für Forschungsarbeiten – die protected time – respektieren. Sie sollten nicht zu stark mit Lehr- oder anderen Aufgaben für die Universität belastet werden. Da braucht es klare Regelungen. Die Administration wiederum sollte effizient arbeiten und das kreative Arbeiten in der Forschung unterstützen.

Was sollte man da verändern?

Wir können beispielsweise Forschende beim Schreiben von Anträgen für EU- oder SNF-Projekte unterstützen. Den wissenschaftlichen Teil dieser Anträge müssen sie selber schreiben. Wir können sie aber dabei unterstützen, Finanzpläne aufzustellen. Da werden teilweise für jede Art von Projekten verschiedenste Dokumente verlangt. Eines der Ziele ist es, die ganze Drittmittelverwaltung effizient zu gestalten. Die Forschenden sollten letztendlich eine einzige Anlaufstelle für diesen Support haben – das ist im Augenblick noch nicht so.

Mit Kreativität verbunden ist auch das Thema Innovation, dass Ihnen am Herzen liegt. Weshalb?

Es geht bei der Innovation um verschiedene Bereiche, die man unterscheiden sollte. Einerseits ist Grundlagenforschung an sich innovativ, es geht um neue Ideen, Konzepte, Theorien und Experimente. Forschung muss innovativ sein, sonst kann sie nicht überleben. Andererseits wird unter dem Begriff Innovation oft Vermarktbarkeit und Industrienähe oder Translation sowie Diffusion verstanden. Das umfasst technische Entwicklungen und neue Produkte. Um das geht es mir nicht primär, aber wir müssen der Gesellschaft zeigen, dass die UZH innovativ ist und viele Ideen generiert, die zur Innovationsfähigkeit des Landes beitragen.

Es geht also vor allem darum, das innovative Potential zu kommunizieren?

Ja, weil die Innovation einen wichtigen Beitrag zur Reputation der UZH leistet. Mit einer kleinen Investition erhöhen wir die Reputation, damit die Gesellschaft einen Einblick erhält, wieviel die UZH tatsächlich zu Innovationen beiträgt.

Aber die Grundlagenforschung bleibt das Tagesgeschäft?

Absolut, die Grundlagenforschung ist zu 100, sagen wir 98 Prozent das wichtigste Geschäft. Es wird auch künftig nicht das vornehmliche Ziel sein, dass die UZH zielorientierte Forschung macht.

Sie haben in den 1990er-Jahren selber ein Start-up mitgegründet. Haben Sie Erfahrungen gemacht, die Sie ins Rektorenamt einbringen möchten?

Ja, eine Erfahrung betrifft die Möglichkeit der Wahl zwischen akademischer und unternehmerischer Karriere. Wir sollten unseren Studierenden eine gute Grundlage für eine Entscheidung in Richtung Akademie oder Wirtschaft ermöglichen. Dazu wird die MNF beispielsweise das Minor-Studienprogramm BioMed Entrepreneurship anbieten, das den Studierenden Einblicke ins unternehmerische Denken geben soll. Solche Initiativen möchte ich an der ganzen UZH unterstützen

Kommen wir zum Begriff Kooperation, über den wir zu Beginn schon gesprochen haben. Was ist Ihnen hier wichtig?

Kooperationen gehen von Personen an der Universität aus, sie betreffen interdisziplinäre Fragestellungen, aber auch die Zusammenarbeit mit anderen Institutionen. Eine vielfältige Zusammenarbeit mit der ETH Zürich ist mir ein grosses Anliegen. Wenn wir die Zukunftsfähigkeit der Hochschulen anschauen, dann wird Kooperation ein grosses Thema sein. Es geht um die Frage, was machen wir gemeinschaftlich mit anderen Hochschulen und wo stehen wir im freundschaftlichen Wettbewerb. Ein weiterer Punkt betrifft die Nutzung von Infrastrukturen. Experimente werden immer teurer, deshalb sollten wir teure Technologien gemeinsam nutzen und weiterentwickeln.  

Ist das ein Bekenntnis zu verstärkter Kooperation mit Universitäten in der Schweiz und auch weltweit?

Ja.

Stichwort Globalisierung. Die Covid-Pandemie zeigt die grosse Bedeutung internationaler Zusammenarbeit in der Wissenschaft und gleichzeitig erschwert sie diese auch. Wie positioniert sich die UZH in dieser Lage?

Die Internationalisierung ist sehr wichtig, wir stehen mit den besten Universitäten weltweit im Wettbewerb. Die Covid-Pandemie hat den globalen Austausch – denkt man etwa an wissenschaftliche Konferenzen, die nicht stattgefunden haben – tatsächlich erschwert. Wir müssen Methoden finden, damit wir uns nachhaltiger, also mit weniger Flugreisen, aber auch auf höchstem Niveau weiterhin austauschen können.

Heisst das auch, dass man die Infrastruktur für Videokonferenzen und neue Formen des Austauschs an der UZH ausbauen müsste?

Auf jeden Fall. Der persönliche Kontakt ist grundsätzlich durch digitale Medien nicht ersetzbar. Aber es gibt ein Optimierungspotential bei den technischen Hilfsmitteln.

Wäre eine digitale Universität die Zukunft, an der sich die Studierenden nur noch punktuell mit ihren Professorinnen und Professoren treffen?

Die Universität Zürich wird keine Fernuniversität werden. Ich denke aber, dass hybride Modelle in der nahen Zukunft die Arbeitsweise der Universitäten mitbestimmen werden.

Welchen Impact der Corona-Pandemie erwarten Sie auf die Lehre, Stichwort Digitalisierungsschub?

Ich habe mit grossem Interesse feststellen können, dass die Selbstverantwortung und Selbstständigkeit bei den Studierenden massiv zugenommen haben. Auf der Angebotsseite stellt sich die Frage, wie wir den Stoff richtig vermitteln, damit er auf digitalen Plattformen den Anforderungen entsprechend dargestellt wird. Tendenziell besteht momentan eher die Gefahr, dass zu viel Stoff in digitale Formate reingepackt wird. Der Stoff muss ja nicht nur auf den digitalen Plattformen Platz haben, sondern auch in den Köpfen.

Für Sie als Geografen und Biodiversitätsforscher ist der Klimawandel ein wichtiges Thema. Gibt es in diesem Bereich auch Lehren aus der Covid-Pandemie, Stichwort Ressourcen schonen, die für die UZH wichtig sein werden?

Auf jeden Fall! Die Frage ist, wieviel Potenzial neue Methoden mit sich bringen. Denn der Strom für digitale Konferenzen muss auch zuerst nachhaltig produziert werden, soll er wirklich klimaneutral sein. Das heisst man muss die Emissionen von Flugreisen, digitalen Konferenzen und Internetanwendungen sorgfältig miteinander vergleichen und hinsichtlich ihrer Nachhaltigkeit prüfen. Ich bin sicher, dass es da noch Potential gibt, Ressourcen zu schonen.

Welche Ideen verbergen sich hinter dem Begriff Komplexität?

Einerseits ist mir die Komplexitätsreduktion wichtig. Das gilt zum Beispiel auch für die Wahl eines Mitglieds der Universitätsleitung inklusive des Rektors. Im weiteren müssen wir administrative Rahmenbedingungen und Reglemente so einfach wie möglich gestalten, um die für Forschung und Lehre verfügbare Zeit so effizient wie möglich zu nutzen. Andererseits ist Komplexität in der Forschung der wichtigste Treiber für neue Erfindungen und Methoden. Die Frage ist hier, wie wir komplexe Theorien und Experimente in der Forschung unterstützen können. Das müssen wir diskutieren.

Das Rektorenamt ist ein anspruchsvoller, stressiger Job. Was tun Sie dafür, um die Work-Life-Balance im Lot zu halten?

Den Stress verursacht man sich selber, wir sind selbst verantwortlich für die eigene Agenda. Die Vorstellung, dass man im Amt einer Rektorin oder Rektors oder der Unileitung zum Übermenschen heranwächst und 20 Stunden pro Tag arbeitet, halte ich für eine altertümliche Vorstellung. Für mich ist wichtig, dass man signalisiert, wenn es Freiräume braucht.  

Und wie nutzen Sie diese Freiräume?

Reisen sind wichtig, für mich und meine Frau, wir sind ja beide Geographen. In den Ferien besuchen wir mit unseren Teenagern gerne sehr entlegene Gebiete. Ein Antrieb für mich ist der Entdeckergeist und die Suche nach Ruhe. Die Digitalisierung hat den Nachteil der permanenten Ablenkung, ich bin mehr dem Humboldtschen Prinzip verpflichtet und möchte alle die phantastischen Orte kennenlernen, die es auf der Welt gibt.