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Reichtum neu denken

«Gier ist gefährlich»

Immer mehr ist nicht immer besser, sagt Marc Chesney. Der Ökonom kritisiert das Wachstumdenken der Wirtschaft und fordert von den Banken, nicht mehr in fossile Brennstoffe zu investieren.
Interview: Roger Nickl
Marc Chesney
Marc Chesney: «Unser heutiges Wachstumsdenken geht auf Kosten künftiger Generationen, das ist schlicht egoistisch.» (Bild: Frank Brüderli)

Marc Chesney, was verstehen Sie unter Reichtum?

MARC CHESNEY: Es gibt zwei Arten von Reichtum: den Besitz von materiellen Gütern – Geld, Immobilien, Autos – und die geistigen, moralischen und intellektuellen Werte, die wir uns aneignen. Letztere sind meiner Meinung nach viel wichtiger. Oft wird das Haben aber mit dem Sein verwechselt.

Wie meinen Sie das?

CHESNEY: Wir brauchen materielle Güter, das ist klar. Jeder benötigt etwa eine Wohnung, aber eben nicht Dutzende. In der Wirtschaftswissenschaft wird aber gelehrt, dass «immer mehr» ein Synonym für «immer besser» ist. Das mag für die Ärmsten in gewissem Masse stimmen. Wenn jemand aber schon gut lebt und immer mehr will, ist das fragwürdig – Gier ist gefährlich, denn sie setzt das Haben über das Sein.

Sie kritisieren das Wachstumsdenken der Wirtschaft – weshalb?

CHESNEY: Weil das Ziel, immer zu wachsen, nicht realistisch ist. Wir müssen uns als Gesellschaft fragen, ob permanentes Wachstum möglich und wünschenswert ist. Ein Naturgesetz ist es jedenfalls nicht, obwohl es in den Wirtschaftswissenschaften oft so gehandelt wird. Das ökonomische Wachstumsdenken beruht lediglich auf fragwürdigen Annahmen, die zu oft nicht wirklich kritisch diskutiert werden. «Business as usual» ist auch in den Wirtschaftswissenschaften unangebracht. Heute sollten wir dagegen «out of the box» denken und wahrscheinlich sogar eine neue Denkschule schaffen. Die Finanzinstabilität und die menschengemachte Klimaerwärmung sind aktuelle Herausforderungen, die auch neue Lösungen erfordern.

Wie soll dieses neue Denken aussehen?

CHESNEY: Schauen wir uns die letzte Finanzkrise an: Auslöser waren dubiose, komplexe Finanzprodukte und ein riesiger Schuldenberg. Die aktuelle Ökonomie basiert auf einem Dualismus: Schulden – Wachstum. Schulden wären in dieser Logik nützlich, um das Wachstum zu fördern, und das Wachstum wäre nötig, um einen Teil der Schulden zurückzuzahlen. Das ist ein Teufelskreis, der nicht wirklich funktioniert. Denn Wachstum ist nicht immer möglich und auch nicht immer wünschenswert. Deshalb brauchen wir neue Paradigmen – neue Mindsets jenseits dieses Paradigmas. Da stehen wir als Wissenschaftler und akademische Lehrer auch in der Pflicht.

Inwiefern?

CHESNEY: Vergleicht man international die universitären Vorlesungsverzeichnisse im Finanzwesen und in der Ökomomie von vor der Krise mit den heutigen, stellt man fest, dass die Themen nicht genug angepasst sind. Die Krise von 2008 spiegelt sich zu wenig darin, ich frage mich manchmal, ob sie überhaupt stattgefunden hat – das ist peinlich. Wir sollten Vorlesungen und Studienprogramme so gestalten, dass die aktuellen Herausforderungen analysiert und ernst genommen werden.

Was können Sie als Forscher und Ökonomieprofessor konkret tun?

CHESNEY: In erster Linie kann ich die wesentlichen Konzepte der Wirtschaftswissenschaften kritisch hinterfragen. Dies, um zu überprüfen, welche heute noch Sinn ergeben und welche obsolet sind – beispielsweise eben die Tatsache, dass «immer mehr» oft als Synonym für «immer besser» dargestellt wird. Das sollte hinterfragt werden. Und wir müssen uns fragen, ob Geld ein Mittel oder ein Zweck ist. Im Gegensatz beispielsweise zur Physik gibt es in der Ökonomie letztlich keine fundamentalen Gesetze, die zu allen Zeiten und an allen Orten gelten.

Sie haben die Klimaerwärmung erwähnt – inwiefern ist permanentes Wachstum ökologisch problematisch?

CHESNEY: Wachstum erfordert nicht nur wie erwähnt ein unhaltbares Anhäufen von Schulden, es stützt sich auch auf geplante Obsoleszenz. Das heisst, Waren werden so konzipiert, dass sie nur eine gewisse Zeit halten. Das belebt zwar den Handel, ist aber umweltschädlich. Deshalb müssen wir umdenken. Wir müssen Produkte entwickeln und kaufen, die nachhaltig sind. Banken sollten auch nachhaltig investieren. Viele setzen noch viel zu stark auf Investitionen in fossile Brennstoffe.

Findet da ein Umdenken statt?

CHESNEY: Nicht genug. Ich sage auch nicht, dass alles falsch läuft. Aber die Grossbanken sind weit weg von dem, was sie tun sollten – nämlich sich an die Klimaziele zu halten, zu denen sich die Schweiz mit dem Pariser Abkommen von 2015 verpflichtet hat, mit einer Klimaerwärmung von höchstens zwei Grad am Ende des Jahrhunderts.

Wie könnte sich das ändern?

CHESNEY: Es braucht Kunden, Aktionäre, Studierende, Professoren, Journalisten, letztlich verantwortungsvolle Bürgerinnen und Bürger, die ihnen auf die Finger schauen und nachfragen. Wenn sich die schweizerischen Finanzinstitute, darunter auch die Nationalbank, darauf verpflichten würden, nicht mehr in Öl zu investieren, wäre das ein starkes Signal. Das wäre auch gut für ihren Ruf. Politisch gesehen sind solche Forderungen übrigens weder links noch rechts anzusiedeln, denn wir sind alle von der Klimaerwärmung betroffen. Unser heutiges Wachstumsdenken geht auf Kosten künftiger Generationen, das ist schlicht egoistisch. Das «Immer mehr» sollten wir deshalb durch das «Genügende» und «Notwendige» ersetzen, das es braucht, um ein vernünftiges und menschenwürdiges Leben zu führen.

Dieser Artikel ist im UZH Magazin 3/19 erschienen.

 

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