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Arbeitswissenschaft

«Immer wieder Vollgas»

Mehr Selbstbestimmung oder totale Verausgabung: Flexibles Arbeiten kann Vor und Nachteile haben, sagt Georg Bauer. Der Arbeitswissenschaftler über die Digitalisierung und darüber, wie uns Arbeit gesund und zufrieden macht.
Interview: Thomas Gull und Roger Nickl
Portrait Georg Bauer
Arbeitswissenschaftler Georg Bauer im Impact Hub in Zürich-Selnau: «Mit der Digitalisierung ist die Arbeitsbelastung gestiegen und die Arbeitnehmenden fühlen sich stärker kontrolliert.» (Bild: Stefan Walter)

 

Georg Bauer, Sie erforschen, wie wir gesund arbeiten können. Arbeiten Sie selber gesund?

Georg Bauer: Mein Job als Forscher und Dozent ist sicher mit hohen Belastungen und Beanspruchungen verbunden. Ich habe aber ein sehr motiviertes Team, mit dem ich sehr gerne zusammenarbeite. Wenn man sich mit spannenden Fragestellungen beschäftigt und das Umfeld stimmt, kann man ganz gut mit Belastungen umgehen.

Was tun Sie konkret, um gesund zu arbeiten?

Als Team haben wir Abmachungen getroffen: Wir machen bewusst gemeinsam Kaffeepause und essen meist zusammen zu Mittag. Das hilft, sich zu erholen, aber auch, sich gegenseitig wertzuschätzen, zu unterstützen und Stress abzubauen. Wir sprechen uns auch über die Ziele ab, die wir uns realistischerweise setzen können. Und bei uns ist klar geregelt, wie und wann man per SMS, EMail oder Telefon erreichbar sein sollte und wann nicht. So kann man unnötige Stressoren vermeiden. Persönlich schaue ich auf meine eigene Gesundheit, indem ich täglich gut 8000 Schritte laufe.

Arbeit kann uns belasten und krank, aber auch glücklich und zufrieden machen. Sie erforschen diesen zweiten Aspekt. Wie kann Arbeit eine Quelle des Glücks sein?

Das Wichtigste ist der Arbeitsinhalt. Arbeit soll einen Sinn haben, mit dem man sich identifizieren kann. Es ist wichtig, zu wissen, welchen Wert die Arbeit für den Betrieb oder – noch besser – für die Gesellschaft hat. Wichtig ist auch die Qualität der Arbeit, die Frage, wie sie organisiert ist und ob man in einem positiven sozialen Umfeld arbeitet. Letztlich ist es ganz einfach: Arbeit ist gut, wenn unnötige Belastungen abgebaut und Ressourcen gestärkt werden.

Es ist ein Privileg, seine Arbeit als sinnvoll zu betrachten. Doch wer weniger gut ausgebildet ist, muss vielleicht auch Jobs annehmen, die man als nicht so sinnvoll erlebt. Ist man dann zum Krankwerden verdammt?

Laut Umfragen erleben zirka 80 Prozent der Erwerbstätigen ihre Arbeit als sinnhaft. Als Akademiker müssen wir vielleicht etwas aufpassen, nicht nur unsere Tätigkeit als sinnvoll zu betrachten. Man kann auch einfacheren Arbeiten sehr viel abgewinnen. Menschen, die in einem Krankenhaus beispielsweise für die Reinigung zuständig sind, können ihre Tätigkeit als sehr wichtig empfinden. Und das ist sie ja auch: Sie legt die Basis für das Wohlbefinden der Patienten.

Momentan wird die Arbeitswelt umgekrempelt. Wie nehmen Sie diesen Wandel wahr? 

Die Digitalisierung führt unter anderem dazu, dass die Arbeit viel dezentraler organisiert wird. Mitarbeitende können somit zeitlich und örtlich flexibler arbeiten. Es werden kleinere, agilere Teams geschaffen, die sich teilweise komplett selbst organisieren können. Das hat zur Folge, dass die Einzelnen immer mehr Eigenverantwortung bekommen. 

Das tönt doch eigentlich verlockend, kann das Leute auch belasten?

Positiv ist, dass mehr Eigengestaltung möglich ist. Aber das Unternehmen darf den Arbeitnehmern mit unrealistischen Zielen nicht zu viel abverlangen. Mehr Selbstbestimmung ist bis zu einem gewissen Grad gut, wenn sie aber zu einer viel zu hohen Arbeitsbelastung führt, ist sie kontraproduktiv. 

Der Soziologe Richard Sennet schrieb Anfang 2000 sein berühmtes Buch «Der flexible Mensch». Flexibilisierung wird dort negativ dargestellt, als Mittel, die Leute auszubeuten. Hatte Sennet recht? 

Eine Befragung aus Deutschland zeigt, dass heute schon rund 60 Prozent der Menschen digitalisiert und damit in der Regel auch flexibler arbeiten. 50 Prozent der Befragten sagen, dass sich ihre Arbeit dadurch stark intensiviert hat. Die Arbeitsbelastung ist gestiegen, sie fühlen sich aber auch stärker kontrolliert. Denn Digitalisierung geht auch mit der vermehrten Vermessung von Arbeitsleistungen einher. Daher gibt es tatsächlich negative Auswirkungen. 21 Prozent geben aber an, sie hätten mehr Entscheidungsspielräume; 13 Prozent sagen wiederum, diese hätten sich verschlechtert. Unter dem Strich kann man sagen: Das Verhältnis von Ressourcen und Belastung verschlechtert sich mit der Digitalisierung im Moment eher. 

Arbeit im digitalen Zeitalter verursacht mehr Stress, mehr Unsicherheit, mehr Kontrolle? 

Ja, man muss mehr bewältigen, und das schneller als früher. Der technologische Fortschritt führt eher zu einer Beschleunigung und zu mehr Kontrolle – jedenfalls im Augenblick. 

Die Digitalisierung verschiebt auch die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit. Man arbeitet teilweise zu Hause, zuweilen auch abends. Oder man verteilt die Arbeit auf den ganzen Tag, weil man nebenbei noch Kinder betreut. Was hat das für Auswirkungen? 

Im Idealfall kann man arbeiten, wann und wo es einem am besten passt. Wenn ich sehr selbstbestimmt entscheiden kann, ob ich am Wochenende oder am Abend noch etwas fürs Geschäft mache, dann lassen sich Arbeit und Privatleben besser verbinden und es stärkt mein Autonomieerleben. Ich kann mich auch besser erholen, weil ich Pausen nach Bedarf machen kann. Jahresarbeitszeitmodelle ermöglichen es prinzipiell, die Arbeit über das Jahr hinweg besser zu verteilen und mit persönlichen Zielen abzustimmen. Man kann zum Beispiel vorübergehend seine Arbeitszeit reduzieren – etwa für eine Weiterbildung. So gesehen hat die Flexibilisierung viele positive Potenziale. 

Welches sind die negativen Seiten? 

Das andere Extrem wäre eine Flexibilisierung, die komplett durch den Arbeitgeber gesteuert ist. Eine solche Fremdbestimmung schränkt das Autonomieerleben des Arbeitnehmers total ein und erschwert, von der Arbeit abzuschalten und sich zu erholen. Aber selbst wenn die Verantwortung, wann und wo man arbeitet, stärker den Mitarbeitenden überlassen wird, kann dies negative Auswirkungen haben. Da die Präsenzzeit nicht mehr das entscheidende Kriterium für Entlohnung ist, wird Flexibilisierung eng verknüpft mit Leistungsvereinbarungen, die man zu erfüllen hat. Die Arbeitnehmer lassen sich leider oft auf unrealistisch hohe Zielvereinbarungen ein, weil sie sich als leistungsfähig und vertrauenswürdig darstellen wollen. Das kann zu einer sogenannten interessierten Selbstgefährdung führen, indem man so lange und intensiv arbeitet, bis man die vereinbarten Ziele erreicht – aber auf Kosten der Gesundheit. 

Momentan wird im Schweizer Parlament die Revision des Arbeitsgesetzes diskutiert. Vorgesehen ist eine Flexibilisierung der Arbeitszeiten – etwa soll Sonntagsarbeit möglich werden – und eine Erhöhung der erlaubten Wochenarbeitszeit. Was halten Sie davon? 

Ganz generell würde ich davon abraten, die erlaubten Arbeitszeiten zu stark auszuweiten. Denn das führt dazu, dass wir immer länger arbeiten. Studien belegen: Wer flexibel arbeitet, tut dies pro Woche rund 90 Minuten mehr als jemand mit festen Arbeitszeiten. Man arbeitet auch intensiver. Weil die Arbeit in kleinere Abschnitte aufgeteilt ist, gibt man immer wieder Vollgas, um etwas abzuschliessen, bevor man «Pause» macht und sich beispielsweise um die Kinder kümmert. Der Arbeitstag besteht somit aus einer ganzen Reihe von Endspurts. Dadurch wird die Erholung viel wichtiger. Deswegen sollten Arbeitgeber die Erholungszeiten nicht zu stark einschränken und man sollte unbedingt auch weiterhin Arbeitszeiten erfassen, um sicherzustellen, dass die Mitarbeitenden nicht zu viel arbeiten. Das Hauptproblem der politischen Vorstösse liegt darin, dass überhaupt nicht geregelt wird, wer künftig über die ausgeweitete Flexibilität bestimmt – der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer. 

Die Haltung der Arbeitgeber ist wohl die, möglichst viel aus den Arbeitnehmern herauszuholen. Und solange sie nicht krank werden, ist alles in Ordnung? 

Das kann man so sehen. Viele modernere Arbeitgeber sind sich aber durchaus bewusst, dass es ein ressourcenreiches Umfeld braucht, damit sich die Mitarbeitenden auch engagieren. Wenn Arbeit immer individualisierter wird, muss man den Menschen übrigens auch Wissen zur Verfügung stellen, wie sie diese gut gestalten können. Dazu gibt es Konzepte wie etwa das JobCrafting.

Worum geht es da? 

Über Befragungen versucht man herauszufinden, was die Arbeitnehmer bei der Arbeit am meisten belastet, wo ihre Ressourcen sind und was sie verändern wollen. Anschliessend wird mit ihnen erarbeitet, wie sie beispielsweise ihre Zeit besser planen oder zu angemesseneren Zielvereinbarungen mit dem Chef kommen. Neben dem JobCrafting interessant ist auch das so genannte BoundaryCrafting: Denn es wird immer wichtiger, die Grenze zwischen Job und Freizeit besser zu regeln. Man muss beispielsweise darauf achten, dass Dinge, die einen bei der Arbeit stressen, nicht zu sehr auf das Privatleben übergreifen – und umgekehrt. Neben diesen individuellen Ansätzen kann man aber auch in Teams die Arbeitsqualität verbessern. Dafür haben wir mit Partnern den ersten digitalen Coach für Führungskräfte entwickelt (siehe Box unten). 

Die Work-Life-Balance ist eines der Zauberworte, wenn es um die Frage des gesunden und zufriedenen Arbeitens geht – wann sind Arbeit und Leben im Gleichgewicht? 

Das ist ein sehr individuelles Phänomen. Grundsätzlich bedeutet es, dass wir verschiedene Lebensbereiche, die uns wichtig sind, in der Balance halten – zeitlich, emotional und sozial. 

Das heisst, für die einen stimmt es, 50 Stunden pro Woche zu arbeiten, für andere nur 30 Stunden? 

Das hängt auch von der Lebensphase ab, in der jemand steht: Wenn man jung ist und Karriere machen will, arbeitet man etwas mehr, später mit Familie dann vielleicht etwas weniger. 

Sie haben gesagt, die Erholung sei schwieriger geworden, weil unser Leben heute oft sehr eng getaktet ist. Was raten Sie uns da? 

Wir müssen bewusst darauf achten, wie viel Erholung wir brauchen und wie flexibel wir arbeiten können und wollen. Wir haben in einer Studie gezeigt, dass Leute, die die Grenze zwischen Berufs und Privatleben praktisch aufheben, viel mehr Mühe haben, sich zu erholen. Deshalb haben sie auch mehr gesundheitliche Probleme. Der erste Ratschlag wäre also, sich den Tag so einzuteilen, dass die Erholungsphasen nicht immer unterbrochen werden. Der zweite: Eine intensive körperliche Freizeitaktivität ist am besten, um sich zu erholen – besonders wenn man vor allem intellektuell arbeitet. Körperliche Aktivität führt zum Abbau von Stress und zum Ausschütten von Glückshormonen – das hilft, die Batterien wieder aufzuladen.

Joggen ist für den Manager demnach keine schlechte Idee? 

Wenn es sich nicht um die Hochleistungsvariante handelt, wo es wieder darum geht, alles aus sich rauszuholen, dann ja. 

Jogging ist besser als Sauna? 

Das kann man so sagen. Und: Soziale Kontakte tun uns gut, weil wir uns da austauschen können und uns in ein Beziehungsnetz eingebettet fühlen. Das stärkt uns. 

Was kann eine Firma dafür tun, dass die Arbeitnehmenden gesund und fit bleiben? 

Zentral ist eine mitarbeiterorientierte Unternehmenskultur, die sich in der Wertschätzung der Angestellten und ihres Wohlergehens ausdrückt. Dafür braucht es eine offene Kommunikation, Vertrauen und Gerechtigkeit im Umgang mit den Mitarbeitenden. Nun kann man eine Unternehmenskultur nicht so einfach verändern. Doch man kann Veränderungsprozesse unterstützen, etwa indem man mit Befragungen regelmässig die Arbeitsbedingungen und die Zufriedenheit der Mitarbeitenden erhebt und wenn nötig Anpassungen vornimmt. 

Müssen wir unser Verhältnis zur Arbeit generell ändern? 

Unbedingt. Die Organisation von Arbeit ist anspruchsvoller geworden. Wir sollten uns immer wieder überlegen, was uns im Job und im Privatleben wichtig ist und was uns stärkt und was uns stört. Wir müssen uns künftig mehr als Arbeitsgestalter betätigen, können aber auch selbstbewusster gute Arbeitsbedingungen einfordern, da Unternehmen mehr und mehr auf engagierte Mitarbeitende angewiesen sind. Die Zukunft bietet somit grosses Gestaltungspotenzial. 

 

Weiterführende Informationen

UZH Magazin

Dieser Artikel wurde im UZH Magazin 4/18 veröffentlicht.