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Doppelbödige Träume

UZH-Völkerrechtsprofessor Oliver Diggelmann hat einen Roman geschrieben – um seine Gedanken zum Fliegen zu bringen.
Roger Nickl
Profilierter Forscher und Romanautor: UZH-Völkerrechtler Oliver Diggelmann. (Bild: Frank Brüderli)

 

Die Zeit bei der NZZ war eine harte Schule. Ende der 1990er-Jahre arbeitete Oliver Diggelmann zwei Jahre lang als freier Gerichtsreporter für die Zürcher Tageszeitung. Er befasste sich mit Verbrechen, beobachtete Prozesse, beleuchtete tragische Lebensgeschichten – und er lernte das journalistische Handwerk. «Die NZZ-Redaktoren haben mir das Schreiben beigebracht», sagt der Rechtswissenschaftler. Seither feilt er an den Sätzen für wissenschaftliche Aufsätze oder arbeitet an griffigen Argumentationen für Zeitungsartikel. Und er hat eine packende Dramaturgie entwickelt für seinen ersten Roman mit dem Titel «Maiwald», der in diesem Frühjahr erschienen ist. Oliver Diggelmann ist Professor für Völkerrecht an der UZH. Die wissenschaftlichen Themen, mit denen er sich auseinandersetzt, sind allesamt «politiknah», wie er sagt. Diggelmann schrieb eine Habilitationsarbeit über die Auswirkungen der Globalisierung auf Staat und Demokratie und lehrte und forschte einige Jahre lang an der Andrassy-Universität in Budapest. Seit 2010 ist er wieder in seiner Heimatstadt Zürich.

Universitäre Freiheit unter Druck

Der 50-Jährige ist nicht nur ein profilierter Forscher, sondern auch ein kritischer Geist, der regelmässig in Zeitungsartikeln pointiert und differenziert zu aktuellen Themen Stellung nimmt – etwa wenn es um die Frage geht, was das Völkerrecht angesichts der Flüchtlingskatastrophe zu leisten vermag. Kritisch oder zumindest skeptisch steht Diggelmann auch bestimmten universitären Entwicklungen gegenüber.

Mit der Bologna-Reform sei ein zu grosses Stück akademischer Geist aufgegeben worden, findet er. «Sie zwingt auch fleissige Studierende, zu Rechnern zu werden.» Ein freieres Studium, wie es vor «Bologna» möglich war, fände er angemessener. Die Selbstorganisation, die es dafür benötige, wäre den Studierenden zuzutrauen, sagt Diggelmann. Veränderungen stellt der Jurist auch in der wissenschaftlichen Kultur fest. Forschungsvorhaben müssten heute vor allem anschlussfähig an Zeitstichworte sein und eine hohe Prima-Vista-Plausibilität aufweisen, damit sie unterstützt werden, sagt er. Und: «Das akademische System tendiert heute dazu, agile und ultrakommunikative Projektmanager zu produzieren.»

Sein bevorzugtes Bild des Wissenschaftlers ist dagegen ein anderes: das des Gelehrten, eines Menschen, der sehr viel liest und weiss und sich immer neue Perspektiven des Wissens erschliesst. Die Auseinandersetzung mit völkerrechtlichen Fragen sei beispielsweise ohne ein tiefes Verständnis historischer Zusammenhänge kaum möglich.

Aufmüpfiger Geist

Mit dem kritischen Geist von 1968 und der aufmüpfigen Jugend der 1980er-Jahre beschäftigt sich Diggelmanns lesenswerter Roman «Maiwald». Entstanden ist er quasi als mentale Auflockerungsübung. Bei der Arbeit an einem wissenschaftlichen Projekt geriet Diggelmann in eine Sackgasse. Er jonglierte mit Ideen, bekam sie aber nicht in den Griff. In den USA hatte er dann Zeit, sich einem anderen Thema zu widmen: Während eines Forschungsaufenthalts schrieb er den Entwurf zu einem Roman, dessen Stoff er schon eine ganze Weile mit sich herumgetragen hatte.

Zurück in Zürich, setzte sich Oliver Diggelmann abends für einige Stunden an den Schreibtisch und arbeitete an seinem Buch – ohne den Druck eines professionellen Schriftstellers, wie er sagt, sondern aus blosser Freude am Schreiben. Die Beschäftigung mit dem literarischen Text liess die Gedanken fliegen und machte den Kopf wieder frei. «Beim Schreiben passierte jeweils so viel, dass ich am nächsten Tag wieder einen frischen Blick auf die wissenschaftlichen Probleme hatte», sagt er.

In «Maiwald» spürt ein Gerichtsreporter dem mysteriösen Selbstmord eines renommierten Psychiaters nach. Die Recherchen konfrontieren den Journalisten mit seiner eigenen Vergangenheit und der der Elterngeneration. In atmosphärisch dichten Szenen blendet der Roman zurück in die Zeit der Jugendunruhen um 1980 und zu den 68ern, die von freier Liebe und einer menschlicheren Gesellschaft träumten. Diggelmann kennt diese Milieus aus eigener Erfahrung. In der Pubertät zog ihn die Zürcher Jugendbewegung an, die für kulturelle Freiräume kämpfte und sich ein Autonomes Jugendzentrum beim Sihlquai schuf. Diggelmann betreibe «Hippie-Verklärung », monierten kritische Stimmen, andere sprachen von einem «68er-Bashing».

Dem Autor ging es weder um das eine noch um das andere. Ihn interessierten neben der Liebesgeschichte, die das Buch erzählt, vor allem die Ambivalenzen, die mit Protestbewegungen verknüpft sind. 1968 seien viele gute Ideen entstanden, und – «das klingt jetzt etwas kitschig» – es habe ein enormes Wohlwollen Schwächeren gegenüber gegeben. Auf der anderen Seite hätten Ideale wie das der freien Liebe viele auch überfordert. Ein Teil sei daran zerbrochen, andere – «nicht unbedingt die, die man sich wünscht» – gingen als Sieger von der Bühne. Der Psychiater und «narzisstische Prachtkerl» Klaus Maiwald, die Figur, um die sich Diggelmanns Buch dreht, gehört zu diesen Siegern – doch die Vergangenheit holt ihn unweigerlich ein.

Weiterführende Informationen

UZH Journal

Dieser Artikel erschien im neuen UZH Journal 4/17.