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Zoologie

Für den Nachwuchs kooperieren

Im Tierreich ist Egoismus die Regel, so etwa bei Schimpansen. Doch manchmal begünstigen die Umstände Kooperation. Die Menschen haben die Zusammenarbeit zum Erfolgsmodell gemacht.
Theo von Däniken
Weshalb sind Schimpansen und Gorillas eher egoistisch? Und weshalb teilen Krallenaffen gern? Die Anthropologin Judith Burkart hat herausgefunden, was Affenarten selbstlos und kooperativ macht. (Video: Brigitte Blöchlinger, Foto: Zoo Basel)

Schaut man sich im Tierreich um, so ist der Befund klar: Egoismus ist die vorherrschende Lebensform. Im Bestreben, nicht zu verhungern, nicht gefressen zu werden, sich fortzupflanzen und seinen Nachwuchs durchzubringen, ist bei den allermeisten Tieren jeder sich selbst der Nächste. Dennoch gibt es Arten, die im Überlebenskampf auf Kooperation und Zusammenarbeit setzen, bei denen das einzelne Individuum Kosten auf sich nimmt, um Aufgaben für die Gruppe zu übernehmen. Das kommt bei allen möglichen Arten vor; bei Fischen ebenso wie bei Vögeln oder Säugetieren. Besonders ausgeprägt ist dieses Verhalten bei so genannten «cooperative breeders» zu finden, also bei Arten, die ihre Jungen gemeinsam aufziehen. Kooperation, die Fähigkeit zur Zusammenarbeit, ist per se keine höhere oder bessere Lebensform. Sie benötigt keine höhere Intelligenz oder spezifische kognitive Fähigkeiten. Wenn eine kooperative Lebensform jedoch gepaart ist mit einem weit entwickelten Gehirn, dann hat sie grosses Potenzial.

Umsorgter Affennachwuchs

Die Sorge um den Nachwuchs in der Gruppe ist zum Beispiel bei den Krallenaffen stark ausgeprägt. Krallenaffen leben in den Wipfeln des südamerikanischen Urwaldes und sind eine der wenigen Primatenarten, die ihre Jungen gemeinsam aufziehen. Ähnlich wie bei den Erdmännchen unterstützen alle Gruppenmitglieder ein dominantes Paar bei der Aufzucht der Jungen. Eine wichtige Aufgabe dabei ist beispielsweise, den Nachwuchs in den ersten Lebenswochen herumzutragen. Diese Tätigkeit erfordert neben der Bereitschaft, körperliche Arbeit zu leisten, eine grosse Koordination unter den beteiligten Krallenaffen. Denn es muss dafür gesorgt werden, dass stets genügend potenzielle Träger da sind, damit die Jungtiere immer betreut sind.

Tierisches Helfersyndrom

Dies ist jedoch kein Problem – im Gegenteil: Krallenaffen scheinen eher von einer Art Helfersyndrom geprägt. «Manchmal gibt es mehr Tiere, die die Jungen tragen wollen, als nötig», erzählt die Anthropologin Judith Burkart. «Es kann deswegen sogar zum Streit kommen.» Eine ausgeprägte Bereitschaft der Krallenaffen, sich prosozial, also zu Gunsten der Gemeinschaft zu verhalten, zeigt sich auch beim Teilen von Futter: Krallenaffen bieten das Futter von sich aus Jungtieren an. Finden sie Nahrung und es sind keine Jungen in der Nähe, dann rufen sie sie herbei, um mit ihnen das Futter zu teilen. Erdmännchen füttern die Jungen auch. Allerdings reagieren sie vorwiegend auf die Bettelrufe. Sie geben die Nahrung den Tieren, die am lautesten danach schreien. Fütterungen an nicht bettelnde Jungtiere sind die Ausnahme.

Was ist die Motivation für diese grosse Hilfsbereitschaft? Ist es die Sorge um das Gemeinwohl, das die Tiere antreibt, oder geht es ihnen bei der Kooperation vielleicht darum, die anderen Gruppenmitglieder zu beeindrucken und dadurch ihre soziale Stellung in der Gruppe zu stärken? Eine Art Altruismus aus egoistischen Motiven also? Burkart hat diese Hypothese kürzlich in Versuchen getestet und untersucht, ob sich Krallenaffen beim Helfen anders verhalten, wenn andere Gruppenmitglieder zugegen sind. Ihre erstaunliche Erkenntnis: Die Bereitschaft zu helfen – konkret Futter mit Jungtieren zu teilen –, war grösser, wenn ein Krallenaffe mit den Jungen allein war. «Waren sie allein, spürten sie offenbar eine grössere Verantwortung für den Nachwuchs», erklärt sich Burkart dieses Verhalten, «die strategische Motivation, zu helfen, um sich bei den anderen einzuschmeicheln, scheint dagegen nicht so wichtig zu sein.»

Mehr Futter für alle

Positionskämpfe sind auch bei den Krallenaffen zu beobachten. Diese streiten sich auch um gute Futterstücke. Geht es jedoch darum, zusammenzuarbeiten, um beispielsweise an Futter zu kommen, das schwer erreichbar ist, zeigen die Krallenaffen ein Verhalten, das bei anderen Primaten nicht zu beobachten ist. Dies zeigen Experimente, die Judith Burkart mit verschiedenen Primatenarten durchgeführt hat. Die Anthropologin wollte herausfinden, wie stark Primaten bereit sind, zusammenzuarbeiten und miteinander zu teilen. Bei den Versuchen mussten die Tiere gemeinsam eine Apparatur bedienen, um an das begehrte Futter zu gelangen. Ein Individuum musste dabei mit einem Griff die Nahrung so heranziehen, dass ein anderes Individuum diese fassen konnte. Ein einzelnes Tier war nicht in der Lage, das Futter gleichzeitig heranzuziehen und zu ergreifen.

Die Krallenaffen lösten die Aufgabe von allen untersuchten Primaten am besten. Durch Teamwork konnten sie am meisten Futter für die Gruppe sammeln. Die Bereitschaft, zusammenzuarbeiten und zu teilen, sich prosozial zu verhalten, korreliert dabei mit der Höhe des Engagements bei der Aufzucht der Jungen. Durch das gemeinsame Kümmern um den Nachwuchs ergibt sich eine soziale Toleranz, die die Kooperation und das gemeinsame Lösen von Aufgaben befördert, so Burkart. Schimpansen beispielsweise, die intelligenter sind als Krallenaffen, schneiden bei solchen Tests schlechter ab, weil sie es nicht gewohnt sind, Probleme gemeinsam zu lösen.

Krallenaffen und Kindergärtler

Und wie sieht dies bei den Menschen aus? Burkart führte Tests zur Kooperation und zum Teilen nicht nur mit Primaten, sondern auch mit Kindern im Kindergartenalter durch. «Die Kindergärtler verhielten sich ähnlich wie die Krallenaffen, nicht aber wie ihre eigentlich näheren Verwandten, die Schimpansen», erklärt Burkart. Das heisst, nicht die kognitiven Fähigkeiten und das grosse Hirn sind der entscheidende Faktor, dass sich Menschen prosozial oder altruistisch verhalten. Von Bedeutung ist vielmehr die prosoziale Prägung, wie sie eben auch die Krallenaffen durch die gemeinsame Aufzucht des Nachwuchses kennen. Trifft diese auf ein Hirn mit grossen kognitiven Fähigkeiten wie dasjenige des Menschen, dann sind weitere Entwicklungen möglich.

«Wegen der prosozialen Prägung konnten die Menschen ihre kognitiven Fähigkeiten, die Menschenaffen normalerweise nur sehr individualistisch einsetzen, plötzlich auch in kooperativen Zusammenhängen anwenden», so Burkart. Für sie erklärt dieses Zusammentreffen, weshalb der Mensch eine im Vergleich zu anderen Arten unerreichte Kultur der Kooperation erreichen konnte. Was letztlich, so meinen immer mehr Anthropologen, die Grundlage war, auf der sich Intelligenz, Technologie und Kultur der Menschen entwickeln konnten.