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20 Jahre Ethik-Zentrum

Glanzvoll bescheiden

Aus Anlass seines 20-Jahr-Jubiläums war das Ethik-Zentrum der UZH zu Gast im Zürcher Theater Neumarkt. Eine Inszenierung von Voltaires Candide bot den Rahmen für eine Diskussion über Möglichkeiten und Grenzen der Ethik.
David Werner
Fulminanter Titelheld: Maximilian Kraus als Candide (rechts im Bild) in der gleichnamigen Inszenierung am Theater Neumarkt. (Bild: Theater Neumarkt) 

Keiner hat metaphysische Luftschlösser genussvoller zum Einsturz gebracht als der französische Aufklärungsphilosoph Voltaire. Sein berühmtestes Werk ist die satirische Novelle Candide aus dem Jahr 1759. Sie wird zur Zeit in einer rasanten Inszenierung von Simone Blattner im Zürcher Theater am Neumarkt aufgeführt.

Titelheld der Satire ist ein treuherziger Jüngling, der blindlings der philosophischen Lehre folgt, die ihm sein Meister eingepflanzt hat. Diese Lehre besagt, dass die bestehende Welt die beste aller Welten sei. Das Schlechte, das darin vorkomme, sei nur scheinbar schlecht, denn letztlich befördere es auf unergründliche Weise das Gute.

Mit dieser Philosophie im Kopf redet sich Candide die Schrecken der Welt schön. Erst nach einer Irrfahrt um den halben Erdball, die ihn mit allen erdenklichen Qualen und Abscheulichkeiten konfrontiert, kommt er zur Vernunft und wandelt sich zum skeptischen Pessimisten. Er vermeidet fortan jegliches Nachdenken über die Welt im Grossen und Ganzen und bestellt nur noch bescheiden sein Gärtchen.

Szenisch-philosophisches Pingpong

Das Ethik-Zentrum der Universität Zürich feiert 2015 sein 20-Jahr-Jubiläum. Aus diesem Anlass führte es übers Jahr verteilt mehrere öffentliche Veranstaltungen durch. Den Abschluss der Reihe bildete am letzten Dienstag eine unkonventionelle Podiumsveranstaltung im Zürcher Theater Neumarkt. Das Besondere an dem Abend war, dass die Diskussion immer wieder durch ausgesuchte Szenen aus der Candide-Inszenierung unterbrochen wurde. So kam ein anregendes und kurzweiliges szenisch-philosophisches Pingpongspiel auf der Theaterbühne in Gang.

Eher Kläranlage als Kompass

Der Abend hatte zwei Hauptprotagonisten: Unter den Mimen war es der fulminante Candide-Darsteller Maximilian Kraus. Im Kreis der Diskutierenden war es der Ethiker Markus Huppenbauer. Letzterem kam die Aufgabe zu, das Selbstverständnis seiner Disziplin zu erklären. Die Position, die er vertrat, erinnerte nicht ganz zufällig an jene des geläuterten, skeptisch und nüchtern gewordenen Candide. Er zeichnete das Bild einer Ethik, die vor grossen Würfen und hochfliegenden Gedanken zurückschreckt, dafür aber hartes Brot isst und exakte Expertisen in schwierigen Detailfragen liefert.

Die Erwartung  an die Ethik, allgemeine Orientierung zu bieten, sei kaum mehr zu erfüllen, sagte Huppenbauer. Eher als mit einem Kompass sei die moderne Ethik mit einer Kläranlage zu vergleichen: «Wir greifen die Weltsichten, Alltagstheorien und Wertevorstellungen auf, die in der Gesellschaft kursieren, wir analysieren sie kritisch und geben sie dann in die Diskussion zurück», umschrieb Huppenbauer die heutige Funktion der Ethik.

Vorwürfe und Entgegnungen

Die Mitdiskutierenden auf dem vom Ethiker Markus Christen geleiteten Podium wollten sich mit einer so zurückhaltenden Aufgabenbeschreibung der Ethik nicht widerspruchslos zufrieden geben. Anna Stünzi, Studentin und Präsidentin der Jungen Grünen der Stadt Zürich, sagte, sie vermisse von Seiten der Ethik die klaren Richtlinien. Und Inga Schonlau, Dramaturgin am Theater Neumarkt, äusserte ihr Bedauern darüber, dass sich die Ethik in der Öffentlichkeit nicht deutlicher Gehör verschaffe.

Aus den Reihen des Publikums, das auch mitdiskutieren durfte, wurde der Vorwurf laut, Ethik sei zwar ein gutgemeintes, aber folgenloses Unterfangen: Sie greife zu wenig ins gesellschaftliche Geschehen ein. Diesen Vorwurf wies Markus Huppenbauer umgehend zurück: Folgen habe die Ethik sehr wohl. Wenn zum Beispiel angehende Ökonominnen und Ökonomen der UZH in ihrem Studium das Denken in unternehmensethischen Kategorien einübten, bewirke dies durchaus Positives – wenn auch nur im Kleinen.

«Unsere Skepsis gegenüber umfassenden Sinnangeboten macht es uns schwer, grossartig aufzutreten», lautete Huppenbauers Fazit. Aber ist das schon die ganze Wahrheit? Der Diskussionsabend bewies jedenfalls, dass es der bescheidenen Ethik gar nicht so schlecht zu Gesicht steht, wenn bisweilen ein wenig vom Theaterglanz auf sie abfällt.