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Forschungsprojekt «What’s up, Switzerland?»

«Wo bisch?»

Dank Smartphones und neuer Apps wie WhatsApp verändert sich unsere Kommunikation. Wir können ständig in Verbindung bleiben, soziale Kontrolle inklusive. Welche Auswirkungen das auf Dauer haben wird, will ein neues Forschungsprojekt beantworten. Im Moment läuft die Datenerhebung. Wer seine Chats der Forschung zur Verfügung stellen möchte, kann das noch bis zum 13. Juli tun. 
Marita Fuchs
Ständig online: Chats fördern den Austausch und die gegenseitige Kontrolle. (Bild: zVg)

Ständiger Begleiter des 17-jährigen Gymischülers Felix S. ist sein Smartphone – und damit auch WhatsApp. Zwei Chats in diesem Kurznachrichtendienst werden von ihm besonders oft konsultiert, etwa jede Viertelstunde: der Klassenchat und der Fussballchat mit seinen Vereinskollegen, der gerade jetzt während der Weltmeisterschaft besonders heiss läuft. Von seinen Mitschülerinnen und Mitschülern liest er täglich. Auch während der Ferien reisst der Strom der Infos kaum ab. «Wo bisch?», heisst es da, oder «Wie goht’s». Es geht aber auch um konkrete Hilfeangebote oder -gesuche. «Häsch Mathiuufgabe scho gmacht?»

Aber auch Familien chatten via WhatsApp. Die Vermutung liegt nahe, dass Helikoptereltern wissen wollen, was die Kinder machen. Es kann aber auch den Familienzusammenhalt stärken, wenn der Vater von unterwegs ein Bild des Ferienhauses schickt, das er gerade entdeckt hat. «Einverstanden?» chattet er.

Familienchat eines ganzen Jahres

Diese neue Art der Kommunikation ist auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler interessant. Fragestellungen sind: Wie verändert sich Kommunikation? Wie verändert sich Sprache? Für die Schweiz zusätzlich spannend: Wie chattet man in Mundart, in Romanisch, Französisch, Italienisch?

Sprachwissenschaftler der UZH und der Universitäten Bern und Neuchâtel sammeln seit dem 1. Juni 2014 WhatsApp-Chats, um eine Datengrundlage zu schaffen für ein neues SNF-Projekt. Das Projekt unter dem Namen «What's up, Switzerland?» wird geleitet von Elisabeth Stark, Professorin für Romanische Sprachwissenschaft an der UZH, sie will zusammen mit ihren Forscherkollegen herausfinden, welchen Einfluss die neuen Kommunikationsmöglichkeiten auf Sprache und Interaktion in der Schweiz haben. Bis jetzt liegen dem Team schon etwa 590'000 Nachrichten vor.

«Das sind zum Teil grosse Datenmengen, vor allem aus Gruppenchats, in denen mehrere Personen ortsunabhängig und parallel miteinander kommunizieren können», sagt die Sprachwissenschaftlerin und Co-Leiterin des Projekts Christa Dürscheid. «Eine Familie hat uns zum Beispiel den Chat eines ganzen Jahres zur Verfügung gestellt.» Dürscheid hat vor fünf Jahren zusammen mit Elisabeth Stark ein grosses Textkorpus zur SMS-Kommunikation aufgebaut und darüber geforscht. «Diese Daten sind heute fast schon historisch», meint sie.

Beliebter Telegrammstil

Auf die Frage, warum die Forscherinnen und Forscher jetzt die Daten von WhatsApp sammeln, sagt Dürscheid: «Die App gehört zu den erfolgreichsten Kurznachrichtendienst-Anbietern, sie ist einfach und intuitiv zu bedienen.» Zudem wäre es für die Erhebung technisch schwierig gewesen, andere Anbieter mit einzubeziehen.   

Bis zum 13. Juli sammeln die Forschenden noch Daten. Was sich jetzt schon sagen lässt: Familien- und Klassenchats werden oft genutzt. Eine Neuerung gegenüber der SMS-Kommunikation scheint zu sein, dass auch ausführliche Diskussionen stattfinden, zum Beispiel über politische Themen wie Abstimmungen oder die aktuelle Fussball-Weltmeisterschaft. «Zum Teil werden ganze Spiele per WhatsApp kommentiert», stellen die Forschenden fest. Auf sprachlicher Ebene fällt auf, dass viele User der Standardrechtschreibung folgen – vielleicht mithilfe der automatischen Worterkennung? Weiter sind ca. 90 Prozent aller deutschen Chats in Mundart abgefasst und weisen ausserdem häufig einen «Telegrammstil» auf.

Aufs Dialogische ausgerichtet

Christa Dürscheid staunt, dass die Nachrichten, die hin und her geschickt werden, so kurz sind, obwohl bei WhatsApp die Möglichkeit besteht, lange Nachrichten zu versenden. «Die Kommunikation ist eher auf das Dialogische ausgerichtet, es ist eine Beziehungskommunikation, die quasi in Echtzeit abgebildet wird», erklärt sie. «Die Verbindung untereinander bleibt somit immer aufrechterhalten, wie in einem gemeinsamen Kommunikationsraum.» Dass dadurch natürlich auch die soziale Kontrolle grösser ist, sei eine Folgeerscheinung, meint die Sprachwissenschaftlerin.

Neu ist zudem die wachsende Einbindung von Bildelementen in die Kommunikation; die kleinen Icons, die man als Smileys kennt und heute Emojis heissen, sind sehr beliebt und werden oft genutzt. Verwendet werden sie meist als Kommentare zum Geschriebenen: Trauriges wird zum Beispiel mit einem tränenden Gesicht unterstrichen. Andere Bildelemente können aber auch Wörter ersetzen, zum Beispiel kann bei der Aufforderung: «Trinken wir ein Bier» das Wort Bier durch ein Bierkrug-Icon ersetzt werden.

Das dem Datenmaterial ergeben sich spannende Fragen für die Forschenden, die nun empirisch überprüft werden können. Thesen dazu hat Christa Dürscheid zusammen mit ihrer Doktorandin Karina Frick in einem Aufsatz verfasst. Darin gehen die Forschenden u.a. der Frage nach, wie das Bild Sprache verändert und wie das Kommunikationsverhalten sich wandelt, wenn man immer und überall erreichbar ist. Interessant ist auch die Frage, welche Unterschiede zwischen der WhatsApp-Kommunikation und dem Dialog in einer realen Gesprächssituation bestehen.  

Bis jetzt konnten die Forscher eine solide Datengrundlage schaffen, die anonymisiert und nach allen Regeln des Datenschutzes aufbereitet werden. «Wir haben einen Schatz an Daten», freut sich Dürscheid. Für angehende Nachwuchsforschende stellt dies eine ideale Ausgangssituation dar.