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Hautstigmata

Kranke Haut und wunde Seelen

Menschen mit einer Hautauffälligkeit bekommen oft ungewollte Aufmerksamkeit, sie werden mit verstohlenen Blicke gemustert oder durch unbedachte Äusserungen verletzt. Wie damit umgehen? Eine neue Website, die von Fachleuten des Kinderspitals Zürich entwickelt wurde, gibt betroffenen Kindern und ihren Eltern praktische medizinische und psychologische Tipps und soll die Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren. Heute geht www.hautstigma.ch online. 
Marita Fuchs
Till kam mit einem grossen Muttermal, einem Nävus, auf die Welt.

In der Schweiz haben etwa 100'000 Menschen aufgrund von Krankheiten, Fehlbildungen oder Verletzungen einen zumindest teilweise entstellten Körper. Sie werden wegen ihrer Brandnarben, Mutter- oder Feuermale im Alltag oft angestarrt, gemieden oder sogar gemobbt.

Kinder mit einer Auffälligkeit im Gesicht werden von anderen Kindern als weniger attraktiv, weniger beliebt, weniger glücklich und weniger intelligent eingestuft. Das zeigen Studien des Kinderspitals Zürich. Diese Untersuchungen kommen zum Schluss, dass solche Stigmatisierungserfahrungen die Lebensqualität und die Entwicklungschancen von Betroffenen deutlich beeinträchtigen können.

Schönheitsideale relativieren lernen

Um die Öffentlichkeit über das Leiden der Menschen mit Hautstigmata aufzuklären und damit die negativen Folgen für die Betroffenen abzudämpfen, hat ein Team aus Ärzten und Psychologen des Kinderspitals Zürich die neue Website www.hautstigma.ch eingerichtet. Sie bietet sachkundige medizinische und psychologische Hintergrundinformationen und spricht betroffene Kinder, Jugendliche und deren Eltern an, richtet sich jedoch auch an eine allgemeine Öffentlichkeit. «Wir wollen auch die Öffentlichkeit für die Leiden der Kinder und Jugendlichen sensibilisieren und die Akzeptanz gegenüber Stigmata vergrössern», sagt Professor Markus Landolt, Leitender Psychologe am Kinderspital und Mitentwickler der neuen Website.

Geplant sind auch Aufklärungsworkshops in Schulen und Plakat-Aktionen. Das sei notwendig, denn beispielsweise brandverletzte Kinder berichten immer wieder, dass sie von Erwachsenen angestarrt und von anderen Kindern als Monster bezeichnet werden. Dabei haben die Kinder und Jugendlichen selbst genug damit zu tun, ihre im sozialen Kontext auffallenden Körper wieder in ihr Fühlen, Erleben und Handeln zu integrieren. «Sie müssen oft ein verändertes Körperschema akzeptieren und früher bestehende Schönheitsideale relativieren lernen», sagt Landolt. 

Isa erlitt bei einem Grill-Unfall schwere Brandverletzungen.

Stigmatisierungserfahrungen im Alltag

Auf der neuen Website dokumentieren Fallbeispiele von Patienten, wie schwierig es sein kann, mit solchen sichtbaren Auffälligkeiten zu leben. So zum Beispiel bei Isabel, die bei einem Grill-Unfall schwere Brandverletzungen erlitt. Seither fällt sie auf, wird angestarrt. Isabel beschreibt dieses Gefühl als unangenehm. Sie möchte kein Mitleid, sondern am liebsten ganz normal behandelt werden oder direkt und unaufgeregt auf die Narben angesprochen werden. Eine unbedachte Äusserung wie «Jesses Gott, was ist denn passiert?», die sie jüngst hörte, verletzte sie. In diesem Moment wäre sie am liebsten direkt nach Hause gerannt.

Anders der Fall von Till, der mit einem grossen Muttermal, einem Nävus, im Gesicht auf die Welt kam. So ein grosser, brauner oder schwarzer, oft auch behaarter Fleck kann zu einem psychosozial extrem belastenden Stigma werden, etwa wenn er sich über weite Teile des Gesichts erstreckt.

Neue Haut aus dem Labor

«Die mangelnde Erfahrung mancher Ärzte mit angeborenen grossen Muttermalen kann dazu führen, dass betroffene Kinder auch heute noch nicht immer optimal behandelt werden» sagt Markus Landolt. Deshalb richte sich die neue Website auch an interessierte Medizinerinnen und Mediziner. 

Ein solcher Nävus wird in der Regel herausoperiert und auf die betroffene Stelle wird dann eigene Haut des Kindes transplantiert. Dazu sind oft mehrere Operationen und Spitalaufenthalte im jungen Alter nötig. Auch Till hat bereits einige Operationen hinter sich, das grosse Muttermal überzog seine ganz linke Wange bis zum Hals, jetzt sieht man nur noch die Operationsnarben.

Für die Zukunft setzen die Mediziner grosse Hoffnungen in die Forschung der Chirurgischen Klinik des Kinderspitals Zürich. Dort ist es kürzlich gelungen, menschliche Haut im Labor herzustellen. Bereits dieses Jahr werden die ersten Kinder mit schweren Hautverletzungen damit behandelt.