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Publizieren – analog versus digital

«Das gedruckte Buch ist unser Labor»

Der Schweizerische Nationalfonds hat viel Kritik ausgelöst mit seinem Entscheid, den Druck von Büchern künftig nur noch in Ausnahmefällen zu finanzieren. Der Historiker Philipp Sarasin und der Kommunikations-wissenschaftler Mike S. Schäfer erläutern, weshalb die neue Open-Access-Strategie noch unausgegoren ist.
Stefan Stöcklin und Marita Fuchs

«Die Regelung könnte das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt war», Mike S. Schäfer, Kommunikationswissenschaftler an der UZH. 

Der Schweizerische Nationalfonds (SNF) verlangt seit Juli die Publikation wissenschaftlicher Bücher (Monografien, Editionen) nach einer Sperrfrist von zwei Jahren in frei zugänglichen Internetportalen. Was halten Sie von dieser Open-Access-Strategie?

Sarasin: Darauf gibt es keine schnelle Antwort; die Sachlage ist kompliziert. Zuerst einmal muss man sagen, dass die Druckkostenzuschüsse des Nationalfonds nur knapp vier Promille des gesamten Budgets ausmachen. Es geht so betrachtet eigentlich um ein nebensächliches Geschäft und nicht darum, Gelder für die Forschungsförderung freizumachen.

Deshalb glaube ich, dass es sich um einen grundsätzlichen und politischen Entscheid handelt. Er macht mir schon Sorgen, weil er zu signalisieren scheint, dass der Nationalfonds das gedruckte Buch als Auslaufmodell betrachtet. Falls das so wäre, beträfe dies besonders meine Disziplin der Geisteswissenschaften, für die das Buch als Arbeits-und Denkraum wichtig ist.

Schäfer: Ich bin mit dem Ziel des Nationalfonds, die schnelle und weltweite Verbreitung von Schweizer Forschungsergebnissen zu fördern, zwar einverstanden. Immerhin weist das wissenschaftliche Publikationssystem viele Schieflagen und Zugangsbarrieren auf. Die Frage ist aber, ob der Entscheid in der vorliegenden Form der beste Weg zu diesem Ziel ist.

Wenn künftig nur noch die sogenannte Druckvorstufe und die Digitalisierung von Büchern gefördert werden sollen, dann wird der Druck zum Ausnahmefall – auch wenn es sich um hochwertige Monografien handelt. Aber die Wissenschafts-und Publikationskulturen in den verschiedenen Fachgebieten sind nun einmal unterschiedlich, und in einigen Disziplinen spielen Bücher, auch gedruckte Bücher, eine wichtige Rolle. Eine differenziertere Lösung wäre nötig.

Sarasin: Völlig einverstanden: Man muss den einzelnen Wissenschaftsbereichen und -kulturen separat Rechnung tragen. Sie sind auf unterschiedliche Formen von Öffentlichkeit angewiesen. Die geschichtswissenschaftliche Monografie funktioniert zum Beispiel als Buch immer noch gut. Unsere Bücher werden wahrgenommen und rezensiert. Und wie gesagt: Das Buch ist unser Labor. Trotzdem wird die Monografie vom SNF abgewertet – ich finde das bedenklich.  

Hat der Nationalfonds vorschnell entschieden?

Schäfer: Man kann schon fragen, ob der Entscheid zum jetzigen Zeitpunkt notwendig und angemessen ist. Der SNF beruft sich ja unter anderem auf Science Europe, die Vereinigung der europäischen Forschungsförderer. Aber Science Europe ist beim Thema Buchpublikationen viel vorsichtiger. Sie ermuntert zwar die Fachkollegen, in Richtung Open Access zu gehen. Dies hat aber den Charakter einer Empfehlung, während der SNF eine forschungspolitische Weichenstellung vornimmt. Zudem weist Science Europe auf die Notwendigkeit eines vorgelagerten Dialogs mit den Beteiligten hin. Die medienöffentlichen Proteste zeigen aber, dass sich viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler beim SNF-Entscheid nicht einbezogen fühlten. 

Sarasin: Ja, ein Gespräch mit Vertretern der Fächer wie auch der Verlage wäre sinnvoll gewesen. Diese Chance hat man verpasst; das Resultat sind nun Proteste und kritische Stellungnahmen der Fachkollegen in den Medien.  

«Bücher sind auch Open Access. Es gibt sie in Bibliotheken jederzeit für jedermann», Philipp Sarasin, Historiker. 

Wie könnte eine differenziertere Lösung aussehen?

Sarasin: Man muss zwischen unterschiedlichen Publikationen unterscheiden. In puncto Handbücher oder Lexika ist die Zeit für gedruckte Ausgaben tatsächlich abgelaufen. Auch bei den Dissertationen fände ich es sinnvoll, wenn sie bald nach Veröffentlichung auf dem Netz zur Verfügung gestellt würden. Ein Druckzwang, wie er heute noch weitgehend besteht, ist nicht mehr angemessen. Aber ich denke, dass insbesondere Editionen und Monografien, das Herzstück der ehemaligen klassischen Geisteswissenschaften, in erster Linie Buchprojekte bleiben sollten.

Schäfer: Einerseits muss man zugeben, dass die Notwendigkeit einer gedruckten Ausgabe nicht bei jedem wissenschaftlichen Buch evident ist. Immer wieder erscheinen Sammelbände, bei denen man sich angesichts ihrer Heterogenität und Qualität fragen kann, ob sie notwendig sind. Aber andererseits gibt es eben auch wegweisende Monografien, die nach wie vor gedruckt werden sollten.  

Sie betonen den Wert gedruckter Monografien. Sind das nicht nostalgische Reminiszenzen an Zeiten, die passé sind?

Schäfer: Die Argumente zugunsten des Buches scheinen auf den ersten Blick vielleicht subjektiv und schwach. Es geht um Ästhetik und Haptik, die Arbeitsweise mit Papier oder die emotionale Bindung an das Medium. Aber deswegen sind die Begründungen nicht per se schlecht.  

Behaupten Sie nicht einfach, Bücher seien wertvoller?

Schäfer: Nein, beide Formen haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Für bestimmte Textformen sind Digitalisate besser. Das beginnt bei der einfachen und schnellen Verarbeitung, setzt sich fort mit den technischen Möglichkeiten und hört beim Preis auf. Sie können zum Beispiel audiovisuelle Elemente einbauen. Andererseits hat auch das gedruckte Buch Vorteile. Es wird nicht nur von Journalisten und Rezensenten anders wahrgenommen. Studien zum Leseverhalten zeigen, dass gedruckte Bücher anders gelesen werden, dass man kreativer und schöpferischer mit ihnen umgeht.  

Dem Entscheid des Nationalfonds liegt ein demokratisches Anliegen zugrunde: Öffentlich finanzierte Forschung soll öffentlich zugänglich sein, die Bücher spätestens nach zwei Jahren. Das ist doch eine legitime und vernünftige Haltung?

Schäfer: Grundsätzlich ist das ein unterstützenswertes Anliegen, dessen Umsetzung man aber kritisch betrachten muss. Man kann etwa fragen, ob die Infrastruktur von Zeitschriftenpublikationen ein lohnenderer Ansatzpunkt gewesen wäre. Es gibt Zeitschriftenverlage, die nur gegen vierstellige Beträge bereit sind, Publikationen Open Access zur Verfügung zu stellen. Die öffentliche Hand zahlt dann im Namen des Öffentlichkeitsprinzips zweimal: erstens für die Förderung der Forschung, die zur Publikation führt, zweitens für die allen zugängliche Veröffentlichung. Ich halte dies für widersinnig.

Die neue Regelung könnte auch im Fall von Büchern das Gegenteil dessen bewirken, was beabsichtigt war. Wenn aus SNF-finanzierter Forschung ein Buch entsteht, das als solches nicht mehr vom SNF, sondern von einem Publikumsverlag finanziert wird, dann muss man dennoch nach zwei Jahren den Nationalfonds kontaktieren und eine Lösung für eine eventuelle digitale Publikation suchen. Die wichtige Frage ist: Was passiert dann? Wenn es bedeutet, dass Publikumsverlage künftig nicht mehr bereit sind, Bücher zu finanzieren, weil sie diese nach zwei Jahren kostenlos digital zur Verfügung stellen müssen, dann verursacht man mit diesem Entscheid das Gegenteil dessen, was beabsichtigt war, nämlich ein Verbreitungsdefizit.

Sarasin: Zur Frage des demokratischen Anliegens: Bücher sind auch Open Access! Sie sind nicht ganz so einfach «abrufbar» wie Digitalisate, aber in Bibliotheken und Buchhandlungen gibt es Bücher jederzeit für jedermann. Die Bibliothek hat ja die öffentliche Funktion, die es ermöglicht, dass man ein Buch benutzen kann, ohne gleich 120 Franken dafür zahlen zu müssen. Viele Bücher werden de facto nur für Bibliotheken produziert.  

Bei den Naturwissenschaften und der Medizin gibt es die PLoS (Public Library of Science). Dort kann man ohne Kostenfolge Open Access publizieren. Wäre das eine Alternative?

Schäfer: Sicher, Open-Access-Publikationen wie PLoS One sind ja auch aus dem Widerstand gegen die Dominanz der grossen Zeitschriftenverlage entstanden. Ein anderes Beispiel ist das Repositorium arXiv der Cornell University, das mittlerweile zu den meistgenutzten und zitierten Publikationsorten vieler naturwissenschaftlicher Disziplinen gehört. Diese Formate funktionieren nur, weil sie eine Infrastruktur, Reputation in den entsprechenden Fächern und – im Fall von PLoS One – einen professionellen Reviewprozess aufgebaut haben und nicht einfach alles veröffentlichen. Das Problem ist, dass es derartige anerkannte Portale in den sozial-und geisteswissenschaftlichen Fächern nicht gibt – zumindest noch nicht.  

Warum nicht?

Sarasin: Unsere Wissenschaften sind zu heterogen und funktionieren überdies sprachregional. Die Naturwissenschaften verfügen global nicht nur über das Englische als einzige Publikationssprache, sondern auch über eine Einheitlichkeit des Gegenstands ihrer Forschung, die es in den Geisteswissenschaften nicht gibt. Geisteswissenschaftler befassen sich oft mit Fragestellungen und Dingen, die sich nicht so schnell in einem weltweiten Diskurs verhandeln lassen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen funktioniert die naturwissenschaftliche Publikationslogik bei uns nicht.

Schäfer: Ein vielversprechender Vorschlag in den Sozialwissenschaften ist das «Social Science Open Access Repository», das von mehreren grossen Forschungsorganisationen unterstützt wird. Wenn man Open Access fördern möchte, braucht man auch die richtigen Orte für eine Veröffentlichung, auf die die Mehrheit der Fachkollegen schaut. Der SNF müsste solche Orte fördern.

Sarasin: Oder der SNF schafft selbst einen solchen Ort. Der SNF hätte ein Open-Access-Portal zur Verfügung stellen können, mit dem Label «Swiss Research» oder so ähnlich. Dann könnte man sich schnell einen Überblick über die Forschung in der Schweiz verschaffen. Ich würde dort sehr gerne Texte einstellen.  

Interviewpartner: Philipp Sarasin ist Professor für Geschichte der Neuzeit und Schweizer Geschichte an der UZH, Mike S. Schäfer ist Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der UZH.       

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