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Versicherung für die Ärmsten

«Indexbasierte Mikroversicherung» heisst ein neues Versicherungsmodell, das der armen Bevölkerung in Entwicklungsländern helfen könnte. Leigh Johnson, Postdoktorandin am Geographischen Institut der Universität Zürich, untersucht in Kenia die Vor- und Nachteile dieses Modells. 
Lena Serck-Hanssen
Extreme Dürreperioden gefährden die Lebensgrundlagen der Hirten im Norden Kenias. Mikroversicherungen sollen Abhilfe schaffen.  (Bild: zVg.)

Nie sind wir sicher: Wir können plötzlich das Bein brechen, schwer erkranken oder die Arbeitsstelle verlieren. Die Wohnung kann durch Brand zerstört, das Auto bei einem Unfall demoliert und die ganze Ernte durch Hagel vernichtet werden.

In solchen Fällen braucht man entweder ein ausreichendes finanzielles Polster oder eine Versicherung, die mit der nötigen Liquidität einspringt.

Was aber blüht den Ärmsten der Welt in solchen Fällen? Schätzungen gehen davon aus, dass in Entwicklungsländern nur etwa fünf bis zehn Prozent der Bevölkerung gegen die häufigsten Risiken versichert sind. Krankheit oder Ernteausfall treiben eine Familie oft in den Ruin. Der Klimawandel mit zunehmenden Überschwemmungen, Dürre- und Hitzeperioden wird die Situation der Menschen in Entwicklungsländern vermutlich zusätzlich verschärfen.

Mikroversicherungen für schmale Budgets

Entwicklungsorganisationen sowie Versicherungsunternehmen arbeiten seit einiger Zeit daran, auch für Menschen mit sehr beschränkten finanziellen Mitteln Versicherungsleistungen anzubieten, sogenannte Mikroversicherungen. Mit Mikroversicherungen gegen Risiken in der Landwirtschaft beschäftigt sich auch Leigh Johnson, Postdoktorandin am Geographischen Institut der Universität Zürich. Bei ihrer jetzigen Forschung wird sie vom Forschungskredit der Universität Zürich unterstützt.

«Mikroversicherungen für Landwirtschaftsrisiken zu entwickeln ist nicht einfach», erklärt Johnson. Da meist viele Versicherte gleichzeitig vom Schaden wie zum Beispiel Dürre betroffen sind, handelt es sich um sehr grosse Schadensummen. Versicherungen für Landwirtschaftsrisiken werden deshalb in den Industrieländern oft von den Regierungen subventioniert. In den Entwicklungsländern dagegen fehlt staatliche Unterstützung weitgehend. Gleichzeitig besitzt ein Bauer in den Entwicklungsländern durchschnittlich viel weniger Land oder Vieh als in den reichen Ländern, was das einzelne Geschäft für die Versicherungsunternehmen teurer und deshalb unattraktiver macht.

Messbare Parameter für die Schadensermittlung

Eine weitere Schwierigkeit bei Versicherungen von Landwirtschaftsrisiken ist oft die Ermittlung des Schadens. Sie kann sehr aufwändig sein. Hier kommt nun die sogenannte indexbasierte Versicherung zum Zuge, für deren Nutzen sich Leigh Johnson interessiert.Das Modell wird seit einiger Zeit in verschiedenen Entwicklungsländern erprobt.

Das Prinzip ist folgendes: Indem man zum Beispiel Wetterdaten der Vergangenheit mit Ernteausfällen oder Verlusten von Nutztieren korreliert, erhält man Parameter, die es erlauben, exakt zu definieren, wann von einem Schaden und damit einem Recht auf eine Versicherungsleistung die Rede sein kann: Zum Beispiel, wenn die Regenmenge unter oder über einen vorher festgelegten Wert fällt. Der Vorteil eines solchen Systems liegt darin, dass ein objektiv messbarer Parameter über die Versicherungsleistung entscheidet und so die kostspielige Schadensermittlung wegfällt. Der Nachteil ist, dass ein Bauer oder Hirte Schäden erleiden kann, die nicht auf den vorher definierten Parameter zurückzuführen sind und deshalb auch nicht von der Versicherung gedeckt werden.

Leigh Johnson, Postdoktorandin am Geographischen Institut der UZH, untersucht den Nutzen indexbasierter Versicherungen im Norden Kenias. (Bild: zVg.)

Schwierige Datenlage

Leigh Johnson untersucht zur Zeit eine indexbasierte Versicherung im Norden Kenias, welche für die lokale Hirtenbevölkerung entwickelt wurde. Die meisten dieser Menschen leben unterhalb der Armutsgrenze und sind häufig von Dürren und damit einhergehenden Verlusten der Nutztiere betroffen. Genügend Vegetation ist hier der wichtigste Faktor, der das Wohlergehen der Tiere bestimmt. Für die indexbasierte Versicherung werden Daten der momentanen und vergangenen Vegetationsmenge mit Sterblichkeitsdaten der Tiere korreliert. Wird von diesem Modell eine Sterblichkeitsrate über fünfzehn Prozent vorausgesagt, wird die Versicherungsleistung ausgelöst.

Als schwierig erweist sich bei der indexbasierten Versicherung oft die ungenügende Datenlage. Als erstes muss definiert werden, was für eine optimale Ernte oder das Gedeihen der Viehherde ausschlaggebend ist: also zum Beispiel Regenmenge, Temperatur oder Vegetation. Anschliessend müssen dazu Daten erhoben werden. Obwohl die Fernerkundung über Satelliten gute Hilfe leistet, bleibt doch die Unsicherheit, ob die Messwerte die individuellen Bedingungen der einzelnen Bauern oder Hirten genügend genau abbilden und ob die Daten der Vergangenheit auch für die Zukunft gültig sind.

Verschiedene Akteure

Bei der Entwicklung und Abwicklung der Mikroversicherungen sind oft sehr viele verschiedene Akteure beteiligt. Das Versicherungsmodell in Kenia zum Beispiel wurde vom International Livestock Research Institute in Nairobi (ILRI) in Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten in den USA entwickelt und wird von international bekannten Hilfsorganisationen finanziell unterstützt. Ein lokales Versicherungsunternehmen deckt die Risiken.

«Eine Herausforderung sind die unterschiedlichen und teilweise auch gegensätzlichen Bedürfnisse und Erwartungen der einzelnen Beteiligten», erklärt Johnson. «Die Versicherungsunternehmen und Rückversicherer wollen ihren Markt auf die Entwicklungsländer ausdehnen, die Lokalbevölkerung will möglichst schnell Hilfe aus der Armut, Hilfsorganisationen wollen die Lokalbevölkerung unterstützen und Wissenschaftler arbeiten an der Verfügbarkeit von genauen Daten.

All diese Ansprüche gilt es unter einen Hut zu bringen, doch ob das geht, ist noch offen und Gegenstand meiner Forschung», meint Johnson, die zu diesem Zweck mit allen Beteiligten Interviews führt.

Externe Hilfe notwendig

Neben allen Ungewissheiten bleibt da noch die Frage, wie sich die Betroffenen überhaupt eine Versicherung leisten können. «Bisher subventionieren Hilfsorganisationen die Versicherungsprämien», erläutert Johnson und räumt ein, dass dies nicht unumstritten ist. «Skeptiker monieren, dass Menschen auf diese Weise in ein System gelockt werden, das sie von externer Hilfe abhängig macht.» Anderseits könnte die indexbasierte Mikroversicherung für viele Menschen ein Mittel sein, um aus der Armut zu finden.

Johnson wird noch einige Zeit zwischen ihrem Heimatland USA, Kenia und der Schweiz zirkulieren, bis alle Daten zusammen sind. «Die Schweiz mit ihren vielen grossen Versicherungsunternehmen und ihrer herausragenden Klimaforschung ist ein idealer Ausgangspunkt für meine Forschung», betont Johnson.

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