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Schweizerisches Institut in Rom

Literarische Porträts auf der Piazza

Das Schweizerische Institut in Rom beherbergt jedes Jahr zwölf ausgewählte junge Schweizer Kunstschaffende und Studierende. Christoph Riedweg, Professor für Klassische Philologie an der UZH, lenkte acht Jahre die Geschicke des Schweizerischen Instituts und machte es zu einem Zentrum des Kulturaustauschs. 
Marita Fuchs

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«Es gibt wohl kaum eine andere Stadt, die das Auge so sehr nährt wie Rom»: Christoph Riedweg, Professor für Klassische Philologie an der UZH.

Herr Riedweg, Sie haben als Direktor acht Jahre lang das Schweizerische Institut in Rom geleitet. Welche Aufgabe erfüllt das Institut?

Christoph Riedweg: Die Stiftung Schweizerisches Institut in Rom, welche hauptsächlich vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation, von Pro Helvetia und dem Bundesamt für Kultur getragen wird, hat im Prinzip zwei Aufgaben: Zum einen bietet es jungen Schweizerinnen und Schweizern für jeweils ein Jahr die Chance, sich mit zwei der grossen europäischen Kulturen – der italienischen sowie der antiken lateinischen – wissenschaftlich und künstlerisch auseinanderzusetzen.

Das Institut soll gleichzeitig die schweizerische Kultur nach aussen spiegeln und eine Plattform der Begegnung und des Austauschs zwischen Italien und der Schweiz sein. Um das umzusetzen, organisiert das Institut verschiedene Anlässe wie Lesungen, Kongresse oder Ausstellungen, die die kulturelle Vielfalt und die künstlerische und wissenschaftliche Kreativität der Schweiz dokumentieren. Die Villa Maraini liefert dafür beste Bedingungen: ein prächtiges Haus in einer einzigartigen Umgebung mit einer guten Bibliothek und Ausstellungsräumen.

Sie scheinen auf wunderbare Arbeitsbedinungen gestossen zu sein und auf besseres Wetter als hier in Zürich.

Riedweg: Von der baulichen Infrastruktur her kann man das sagen. Seit 1948 ist die Villa Maraini, deren Terrasse den höchsten Punkt Roms nach der Peterskuppel darstellt und einen atemberaubenden Rundblick auf die ganze Stadt bietet, Sitz des Schweizerischen Instituts in Rom (ISR). Sie liegt am Abhang des Pincio und wurde von dem vermögenden Industriellen Emilio Maraini aus Lugano erbaut. Seine Witwe, Carolina Gräfin Maraini-Sommaruga – eine Verwandte unserer heutigen Bundesrätin Simonetta Sommaruga –, vermachte das Gebäude und den Park der Eidgenossenschaft in der Absicht, endlich auch der Schweiz zu einem Kulturinstitut in Rom zu verhelfen.

Übrigens hat Simonetta Sommaruga hier ihren Mann, den Schriftsteller Lukas Hartmann, kennengelernt. Er war für ein Jahr Membro am Institut. Membri nennen wir die ausgewählten jungen Personen, die für ein Jahr am Institut arbeiten.

Und was das Wetter anbelangt: Ja, das mediterrane Klima in Rom tut einfach gut – an Leib und Seele. Das Licht der Stadt ist unvergleichlich. Sobald sich die Sonne zeigt, beginnen die Fassaden warm zu strahlen. Kommt hinzu, dass es wohl kaum eine andere Stadt gibt, die das Auge so sehr nährt wie Rom: hier ein kleiner Satyr, dort ein antikes Säulenfragment oder Spuren des päpstlichen Rom, von Beispielen faschistischer und auch zeitgenössischer Architektur wie dem Museum für zeitgenössische Kunst «MAXXI» ganz zu schweigen. Die Stadt lädt fast an jeder Ecke zu historischen Reflexionen und zum Nachdenken über die Grundlagen der menschlichen Existenz ein.

Jetzt klingen Sie nostalgisch.

Riedweg: Mag sein. Allerdings habe ich es immer mit Cicero gehalten: Ubi bene, ibi patria. Wo es gut ist, bin ich zu Hause. Und jetzt bin ich wieder hier im schönen Zürich zu Hause und glücklich, mich erneut meinem eigentlichen Beruf widmen zu können. Dabei werde ich aber auch weiterhin mit grösster Freude an die Zeit im Istituto Svizzero zurückdenken, welche mir neue Horizonte weit über das engere Fachgebiet hinaus eröffnet und Gelegenheit zu vielen bereichernden Begegnungen mit Protagonistinnen und Protagonisten aus Kultur, Wissenschaft und Politik geboten hat.

Beherbergt das Schweizerische Institut in Rom: Die Villa Maraini befindet sich im Quartier Ludovisi zwischen Via Veneto und der berühmten Piazza Spagna.

Was hat Sie vor acht Jahren dazu bewogen, die Stelle des Leiters anzunehmen?

Riedweg: Das Institut hat einen guten Ruf. Viele illustre Persönlichkeiten, so zum Beispiel der Schriftsteller Paul Nizon – der Rom als Ort seiner künstlerischen Geburt bezeichnete – oder Stanislaus von Moos, Kunsthistoriker an der Universität Zürich, waren einst Membri des ISR. Die Aussicht, angehende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Kunstschaffende aus den verschiedensten Disziplinen betreuen und überhaupt sich in der Ewigen Stadt für schweizerische Kultur engagieren zu dürfen, war verlockend. Zudem bestand die Hoffnung, mehr Zeit für die Forschung zur Verfügung zu haben, welche unter den Reformen und einer spürbar zunehmenden Bürokratisierung des Universitätsalltags gelitten hatte.

Konnten Sie in Rom freier arbeiten?

Riedweg: Was die administrative Belastung betrifft, bin ich vom Regen in die Traufe gekommen. Der Stiftungsrat wollte dem aktiven Austausch zwischen Italien und der Schweiz neuen Schwung geben. Deshalb trat ich mit dem Auftrag an, nicht nur die jungen Kunstschaffenden und Studierenden zu betreuen, sondern auch das Institut neu aufzustellen. Es sollte sich mit einem vielfältigen, attraktiven Programm zur Stadt hin öffnen und die schweizerische mit der italienischen Kultur in vertieften Dialog bringen.

In mancher Hinsicht betraten wir Neuland und mussten Pionierarbeit leisten. Da ich zu Beginn zum Beispiel kein eigenes Sekretariat hatte, erledigte ich die Organisation der wissenschaftlichen Aktivitäten weitgehend allein. Der damalige Staatssekretär und jetzige Stiftungspräsident Charles Kleiber hat uns später Geld für ein wissenschaftliches Sekretariat zugesprochen, was zu einer ersten partiellen Professionalisierung beigetragen hat.

Werden hauptsächlich Geisteswissenschaftler als Membri ausgewählt?

Riedweg: Die Ausschreibung richtet sich grundsätzlich an alle Disziplinen, wobei Geisteswissenschaftlerinnen und Geisteswissenschaftler natürlich besonders gute Gründe haben, ihre Forschungen in Rom voranzutreiben. Die Bewerberinnen und Bewerber werden von der Wissenschafts- oder der Kunstkommission ausgewählt. Neu an der diesjährigen, bereits von meinem Nachfolger Michele Luminati betreuten Ausschreibung war, dass alle Anwärter sich mit einem Thema befassen sollten. Diesmal ist es «die Krise». Der Gedanke hinter dieser Änderung: Wenn alle Membri sich – zumindest für eine gewisse Zeit – mit einem Thema aus ganz unterschiedlicher Sicht auseinandersetzen, entsteht ein facettenreiches Bild vom Ganzen. Auch für Beobachter des Instituts wird es spannend zu sehen, wie ein Künstler das Thema angeht oder ein Literat, eine Gräzistin oder eine Naturwissenschaftlerin.

An welche künstlerische Aktion erinnern Sie sich besonders gern?

Riedweg: Vielleicht sind es weniger einzelne Aktionen als das Zusammenleben mit zwölf Membri, Wissenschaftlerinnen und Künstler, unter einem Dach. Da passiert sehr viel an Austausch und Diskussion und kreativen Ideen, bereits in der Küche der Membri, aber auch im Gespräch mit den so genannten Artists und Scholars in Residence sowie anderen Gästen.

Die Membri wiederum haben oft sehr originelle Projekte – um nur ein Beispiel zu nennen: Einer unserer Künstler setzte sich mit seiner Schreibmaschine auf die bei Touristen besonders beliebte Fontana di Trevi. Wie ein Strassenmaler sprach er Passanten an, ob sie ein Porträt wünschten, doch anstatt mit Palette und Papier zu arbeiten, schrieb er die Geschichten der Passanten auf. So verfasste er en passant literarische Porträts vorbeiziehender Menschen. Die Texte gab er getippt den Touristen mit, einen Abzug behielt der Künstler für sich. Aus den Porträts entsteht jetzt ein Roman.

Die Schweizer Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji war im Jahr 2011 auch mit von der Partie.

Riedweg: Melinda Nadj Abonji war als Artist in Residence bei uns. Sie hat in einem kurzen Bericht unter dem Titel «Römische Luft» ihre Erfahrungen in unserem Haus sehr anschaulich beschrieben. Zusammen mit ihr und der Schriftstellerin Dragica Rajčić haben wir einen öffentlichen Leseabend veranstaltet.

Wie geht es jetzt für Sie weiter?

Riedweg: Ich werde mich wieder ganz den Studierenden und der Forschung widmen, und ich freue mich insbesondere darauf, mehr Zeit für die Wissenschaft zur Verfügung zu haben. Eines meiner Forschungsprojekte, das weiterhin vom Nationalfonds finanziert wird, gilt der Philosophie der Kaiserzeit und der Spätantike – einer Zeit des Übergangs und der Veränderung, in der die Grundlagen nicht nur der europäischen, sondern ebenso der islamischen Denktradition gelegt wurden.