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Antrittsvorlesung

Die Simpsons sollen Simpsons bleiben

Sozialpädagogik und Sozialpolitik sind an gesellschaftliche Wertvorstellungen geknüpft, die festlegen, was als normal und anormal, als anerkennungsfähig und das nicht-anerkennungsfähig gilt. Dies kritisch zu reflektieren sei Aufgabe der Sozialpädagogik als Wissenschaft, sagte Professorin Catrin Heite an ihrer Antrittsvorlesung. Wie das geht, erklärte sie mit Hilfe der Simpson-Familie.
Regula Pfeifer
Erklärt, inwiefern die Simpson-Familie gesellschaftlichen Soll-Vorstellungen widerspricht: Catrin Heite bei ihrer Antrittsvorlesung. (Bild: Regula Pfeifer)

Die vielfach ausgezeichnete US-amerikanische Zeichentrickserie «The Simpsons» persifliert verschiedene Aspekte des US-amerikanischen Alltags- und Familienlebens. Die chaotische Familie entspricht in keiner Weise den landläufigen Soll-Vorstellungen eines als «gut» betrachteten Familienlebens. Die Eltern erscheinen wenig erziehungskompetent. Der Sohn, Bart Simpson, ist aufsässig und renitent, die hochbegabte Tochter wird nicht hinreichend gefördert und das Baby Maggy häufig vernachlässigt. Deshalb erscheint diese Familie als eine potentielle Adressatin sozialpädagogischer Intervention – und diese Intervention wiederum wäre interessant für die sozialpädagogische Wissenschaft, führte Catrin Heite, Professorin für Sozialpädagogik an ihrer Antrittsvorlesung aus.

Staatlich organisierte Sozialpädagogik greife mittels Erziehungsberatung oder Krisenintervention in den Lebensraum einer Familie ein, so Heite. Die Sozialpädagogik als Wissenschaft wiederum untersuche solche sozialpädagogischen Interventionen wie auch die normativen Vorstellungen und normierenden Zugriffe, die diesen zugrunde liegen.

Jenseits der Normvorstellungen

Als Beispiel für eine sozialpädagogische Intervention griff Heite auf ein Beispiel aus dem 19. Jahrhundert zurück – auf die Figur des Jean Valjean aus Victor Hugos sozialkritischem Roman «Les Misérables» (erschienen 1882). Der junge Jean musste ohne familiäre Unterstützung leben, wurde zum Vagabunden, stahl Essen und wurde dabei erwischt und bestraft. Jean fand aber Unterschlupf bei einem Bischof – den er sogleich bestahl. Der Bischof reagierte mit einer «paradoxen sozialpädagogischen Intervention», indem er den Dieb reichlich beschenkte. Mit der Bedingung allerdings, Jean Valjean möge ein guter Mensch werden und das Geld in seinem Sinn verwenden. Das passierte tatsächlich: Jean wurde reich – und selber wohltätig.

Persönlichkeiten respektieren

Benachteiligte wurden früher nicht bedingungslos materiell unterstützt – und werden es auch heute nicht. Vielmehr wird die Unterstützung – wie beim Bischof in Victor Hugos Roman – in der Regel an pädagogische Zielvorstellungen geknüpft. Das aber, so Catrin Heite, sei heikel, denn damit würden Benachteiligten bestimmte Normvorstellungen aufgedrängt. Dies zu reflektieren sei für ihre Disziplin grundlegend. «Sozialpädagogik als Wissenschaft kann nicht ohne eine gesellschaftskritische Analyse auskommen», sagte sie.

Die Sozialpädagogik als Wissenschaft untersucht beispielsweise in sozialpädagogischen Grenzanalysen, wie Menschen in die Gesellschaft eingeschlossen und aus ihr ausgeschlossen werden. Es geht ihr um die Offenlegung von Begrenzungen und Ausgrenzungen sowie um die entsprechende Erweiterung der gesellschaftlichen Teilhabe- und Teilnahmemöglichkeiten der Benachteiligten. Zugleich geht es ihr darum, Grenzverletzungen zu verhindern.

Sozialpädagogische Praxis, unterstreicht Catrin Heite, müsse die Persönlichkeit der betroffenen Personen respektieren. Sozialpädagoginnen und -pädagogen müssten sich in professioneller Selbstbegrenzung üben, um Benachteiligte und ihre Lebensführung vor den Normvorstellungen und Wertungen der Mehrheitsgesellschaft ein Stück weit zu schützen, sagte Catrin Heite. Es gehe darum, «die Simpsons Simpsons sein zu lassen».