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Medizin

Wo der Schmerz sitzt

Physischer Schmerz ist eine komplexe und individuelle Angelegenheit. Aus diesem Grund ist es schwierig, die Schmerzen anderer objektiv zu beurteilen. Hilfreich wäre ein Verfahren, mit dem sich Schmerzempfinden objektiv messen lässt. Der Neurowissenschaftler Mike Brügger arbeitet daran. 
Lena Serck-Hanssen
Schmerzen: Jeder erlebt sie unterschiedlich.

Der Patient jammert und stöhnt. Er leidet unter ständigen Schmerzen. Doch wie stark sind diese Schmerzen wirklich? Tut es ihm weh, sehr weh oder unerträglich weh? Lösen die Schmerzen auch Angst und Wut aus, die wiederum das Schmerzempfinden beeinflussen?

Solche Fragen stellen sich besonders häufig bei Patienten mit chronischen Schmerzen; vor allem dann, wenn herkömmliche Schmerzmittel nicht zufriedenstellend wirken. Es wäre deshalb hilfreich, man könnte die verschiedenen Aspekte von Schmerz objektiv erfassen. Dieses Ziel verfolgt Mike Brügger in einem Projekt, das von der Stiftung für Forschung an der Medizinischen Fakultät der Universität Zürich unterstützt wird. Er arbeitet als Postdoc am Zahnmedizinischen Institut der Universität Zürich und am Institut für Biomedizinische Technik der Universität Zürich und der ETH Zürich.

Schmerzzentrum im Hirn

Brügger setzt für die objektive Erfassung der Schmerzgrade verschiedene neurowissenschaftliche Methoden ein. Dazu gehören unter anderem die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und die Magnetresonanzspektroskopie (MRS). Beide Methoden sind nicht-invasiv und ermöglichen es, dem Gehirn bei der Verarbeitung von Schmerzen «zuzusehen».

Bisherige Arbeiten haben bei Schmerzzuständen mit Hilfe der fMRT die Blutflussveränderungen in verschiedenen Hirnarealen gemessen. So konnten jene Hirnregionen bestimmt werden, die bei der Verarbeitung von Schmerz aktiv sind. Diese Hirnareale bezeichnet man zusammenfassend als Schmerzmatrix. Man weiss, dass die Empfindung Schmerz aus Reaktionen verschiedener Hirnareale resultiert, abhängig vom Ort, Art und Intensität des Schmerzes, allgemeinem Befinden, Stress, Angst und anderen Faktoren. Unklar ist jedoch nach wie vor, wie die verschiedenen Schmerzzentren zusammenspielen und welche Botenstoffe in welchen Hirnregionen für welche Art von Schmerz relevant sind.

Künstliche Zahnschmerzen

Für einen Teil seiner Versuche verwendet Mike Brügger den Zahnschmerz als Schmerzmodell. Dieses Modell hat Brügger während seiner Dissertation entwickelt und in mehreren Experimenten erfolgreich angewendet. Die Versuchspersonen beissen auf eine Zahnschiene, auf die über Elektroden Schmerzreize geleitet werden. Vorgängig müssen die Versuchspersonen anhand einer Skala angeben, ab wann sie den Reiz wahrnehmen, ab wann er für sie schmerzhaft wird und ab wann sie den Schmerz nicht mehr ertragen können.

Der eigentliche Versuch verwendet dann eine Schmerzintensität, die über der Schmerz-, aber unter der Toleranzgrenze liegt – also klar als Schmerz wahrgenommen, aber immer noch ertragen wird. Dass gerade Zahnschmerz für diese Untersuchung verwendet wird, hat klare Gründe: «Zahnschmerz erleben die allermeisten Menschen ähnlich, nämlich als einen stechenden, scharfen Schmerz. Dies im Gegensatz zu Schmerzen an anderen Körperteilen, die sehr unterschiedlich sein können», erklärt Mike Brügger und fügt an: «Natürlich wiederspiegeln experimentell erzeugte Schmerzen nicht die Wahrheit, können aber wichtige Hinweise liefern, welche Mechanismen chronischen Schmerzen zugrunde liegen.»

Versuchsanordnung: Beim Beissen auf eine Zahnschiene, werden über Elektroden Schmerzreize geleitet.

Messen der Schmerz-Botenstoffe

Mike Brügger konzentriert sich bei seinem aktuellen Forschungsprojekt auf die MRS. Anders als die fMRT erlaubt die MRS,  die bei Schmerz in den verschiedenen Regionen ausgeschütteten Botenstoffe zu messen.

Während die Versuchspersonen Schmerzreize empfangen, misst die MRS die Menge an ausgeschütteten Botenstoffen und vergleicht deren Konzentration mit dem Zustand vor und nach dem Schmerzreiz. «So konnten wir zeigen, dass gewisse Stoffe vermehrt ausgeschüttet, andere hingegen gehemmt werden», erläutert Brügger. Versuche an anderen Körperteilen wie beispielsweise dem Handrücken oder dem Schienbein sind geplant, um allfällige Unterschiede aufzudecken. Auch soll untersucht werden, wie Schmerzmittel oder Gefühle wie Angst und Zorn die Botenstoffe beeinflussen.

 «Mein langfristiges Ziel ist es, ein Grundlagenmuster zu etablieren, wie sich die Botenstoffe bei verschiedenen Schmerzzuständen in den verschiedenen Hirnregionen verhalten», erklärt Brügger. Noch handelt es sich um reine Grundlagenforschung, doch das Wissen um die genauen Vorgänge bei Schmerz kann den Weg ebnen, um gezielt Schmerzmittel zu entwickeln.