Navigation auf uzh.ch

Suche

UZH News

Debatte zur Ausbildung von Gymnasiallehrpersonen

«Wir müssen erfinderisch sein»

Die Universität Zürich will die Ausbildung von Gymnasiallehrerinnen und -lehrern praxisnäher gestalten – und zu diesem Zweck enger mit den Schulen kooperieren. Aber wie gelingt dieser Brückenschlag am besten? Eine Debatte mit UZH-Prorektor Otfried Jarren, Germanistikprofessor Daniel Müller Nielaba und Schulrektor Peter Ritzmann.
Moderation: David Werner
«Es darf nicht sein, dass Studierende den Lehrberuf als Notlösung sehen». Peter Ritzmann, Rektor der Kantonsschule Küsnacht.

Herr Ritzmann, was erwarten Sie als Rektor eines Gymnasiums von der Lehrpersonenausbildung der UZH?

Peter Ritzmann:Ich erwarte erstens eine fundierte fachwissenschaftliche Ausbildung der zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer im Rahmen eines Masterstudiums, zweitens aber auch, dass Studierende im Rahmen des Lehrdiploms für Maturitätsschulen das Unterrichts-Handwerk von Grund auf lernen. Was den ersten Punkt anbelangt, bin ich sehr zufrieden, was den zweiten anbelangt, gibt es Handlungsbedarf. Die fachdidaktisch-pädagogische Ausbildung ist zu theorielastig, sie berücksichtigt die konkrete Unterrichtssituation zu wenig.

Otfried Jarren: Das Problem ist erkannt, und wir suchen nach Lösungen, auch wenn das nicht ganz einfach zu organisieren sein wird. Es gibt Stimmen, welche sagen, Lehrerbildung gehöre, wie anderswo auch, an die Fachhochschule. Dieser Meinung widerspreche ich dezidiert: Wir haben an der UZH alle nötigen Kompetenzen – die fach- wie die erziehungswissenschaftlichen – auf höchstem Niveau versammelt. Es wäre töricht, hier etwas auseinanderzureis-sen oder gar Teile auszulagern. Es gilt, diese Kompetenzen zu nutzen, vor allem aber, sie klug zu bündeln. Und wir müssen enger mit den Gymnasien zusammenarbeiten.

Peter Ritzmann: Ich bin froh, dass die Schulen einbezogen werden. Lange Zeit konnten die Gymnasien in Fragen rund um die Entwicklung der Lehrpersonenausbildung zu wenig mitreden. Die Beziehung zur Universität war nahezu abgerissen. Es scheint, dass sich dies nun ändert, aber es steht uns noch ein langer Weg bevor, bis die Zusammenarbeit selbstverständlich wird.

Herr Müller Nielaba, Sie sind Professor eines Maturitätsfachs und engagieren sich seit langem für den Kontakt zwischen Hochschule und Gymnasium. Was muss geschehen, um die Zusammenarbeit in der Lehrerbildung zu stärken?

Daniel Müller Nielaba: Es gibt viele Formen des Engagements, etwa in der fachlichen Weiterbildung von Gymnasiallehrpersonen oder in Gremien wie der Schnittstellengruppe Hochschule und Gymnasien, dem Expertenpool oder der Zürcher Kantonalen Maturitätskommission. Mir scheint wichtig, dass sich nicht immer nur dieselben Leute in solchen Gremien engagieren. Ich will ja nicht als der Professor gesehen werden, der speziell für die Mittelschulen zuständig ist, sondern als einer, dessen Forschung international respektiert wird. Die Lasten sollten also auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Wie gut das gelingt, ist letztlich auch eine Frage der Berufungspolitik.

Herr Müller Nielaba, ein grosser Teil der Studierenden in Ihrem Fach sind künftige Deutschlehrerinnen und -lehrer, das heisst also: keine wissenschaftlichen Spezialisten, sondern eher Generalisten. Nehmen Sie, wenn Sie Seminare und Vorlesungen planen, Rücksicht auf deren spezifische Interessen?

Daniel Müller Nielaba: Es wäre verantwortungslos, die Bedürfnisse künftiger Lehrerinnen und Lehrer nicht im Auge zu behalten. Was aber nicht heisst, dass ich Fachdidaktik unterrichten würde. Für diesen Teil der Lehrpersonenausbildung sind Fachleute zuständig, die nahe an der Schulpraxis sind. Es ist auch nicht so, dass ich in meinen Veranstaltungen Stoffe behandeln würde, die eins zu eins in den Schulunterricht übertragbar wären. Die Vorstellung, man könne Wissenschaft als einen kanonischen Block vermitteln, geht in die Irre. Ich mache, besonders im Master, forschungsnahen Unterricht auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Und das kommt auch zukünftigen Lehrerinnen und Lehrern zugute, denn die müssen viel mehr wissen als das, was auf dem gymnasialen Lehrplan steht. Ich sage immer: Ein guter Deutschlehrer kann vielleicht mit vierzig literarischen Werken seinen Unterricht bestreiten, aber er wäre ein unfähiger Lehrer, wenn er nur diese vierzig Werke kennen würde.

Peter Ritzmann: Ich teile diese Erfahrung. Nur Lehrer, die fachlich sattelfest sind, können den Schülern glaubwürdig die entsprechende Begeisterung und Kompetenz vermitteln. Wer selbst wissenschaftlich gearbeitet hat, weiss, wovon er spricht. Unverzichtbar ist zudem die kontinuierliche fachwissenschaftliche Weiterbildung.

Das wissenschaftliche Niveau des Fachstudiums soll also nicht angetastet, die Fachdidaktik im Lehrdiplom-Studium aber verbessert werden. Herr Jarren: Wie soll das gehen, ohne dass die Ausbildung insgesamt länger und aufwändiger wird?

Otfried Jarren: Wir müssen, um dieses Ziel zu erreichen, mehr Kapazitäten in der fachdidaktischen Ausbildung schaffen. Die Lehr- und Lernforschung muss mehr in den Mittelpunkt rücken. Einen Anfang haben wir soeben gemacht, indem wir das Institut für Gymnasial- und Berufspädagogik mit dem Institut für Erziehungswissenschaften zusammengeführt haben. Das gestärkte Institut wird die Leistungen für die Lehrpersonenaus- und -weiterbildung neu definieren und die Schul- und Unterrichtssituation vermehrt in den Blick nehmen.

Sehen Sie noch weitere Möglichkeiten, die Ausbildung der Gymnasiallehrerinnen und -lehrer zu verbessern?

Otfried Jarren: Wir sollten Formen des Co-Teachings im Schnittstellenbereich von Schule und Universität finden, also dort, wo Praxislehrkräfte und Fachdidaktiker eng zusammenwirken. Dazu müssen wir erfinderisch sein. Wir müssen wegkommen von traditionellen universitären Lehr- und Lernformen, die ohnehin vielfach nicht mehr als erwachsenenadäquat anzusehen sind. Für die Universität ist praktische Berufsausbildung ja eher etwas Ungewöhnliches. Der akademische Courant normal bringt uns in diesem Feld nicht weiter. Lernen können wir dagegen – um nur ein Beispiel zu nennen – von der Ausbildung der Ärztinnen und Ärzte. In der Humanmedizin hat sich eine Form bewährt, bei der Studierende zur Integration in den klinischen Alltag ein Training direkt am Krankenbett erhalten: das sogenannte Bedside-Teaching. Für ähnlich praxisnahe Unterrichtsmodule in der Lehrpersonenausbildung braucht es Dozierende, die den Austausch zwischen Akademie und Schulpraxis organisieren. Und wir benötigen dazu, ähnlich wie im Bereich der Medizin mit den Lehrspitälern, feste Kooperationen mit Mittelschulen.

«Wir sollten Lehrstühle mit Leuten besetzen, die das Schweizer Schulsystem verstehen.» Daniel Müller Nielaba, Professor für Neuere deutsche Literatur. Links im Bild: Otfried Jarren, Prorektor Geistes- und Sozialwissenschaften.

Peter Ritzmann: Ich möchte auf ein weiteres Anliegen der Gymnasien aufmerksam machen: Wichtig für uns sind Lehrpersonen mit einer Promotion, solche mit engen Beziehungen zur Wissenschaft und zur Universität. Deren Zahl nimmt aber seit Jahrzehnten stetig ab – im gleichen Zuge etwa, wie der Aufwand für eine Dissertation und die Lehrpersonenausbildung zunimmt.

Otfried Jarren: Das halte ich für ein lösbares Problem: Leistungen in Fachdidaktik oder in den überfachlichen Kompetenzen, die im Rahmen der Dissertation erbracht werden, könnten für Lehrpersonen anerkannt werden. Mein Vorschlag wäre zudem, ein Promotionsstudium speziell für Lehrpersonen anzubieten – dafür gibt es Vorbilder. Gravierender scheint mir aber die Schwierigkeit, für Fächer wie Mathematik, Chemie oder Physik überhaupt begabte Lehrdiplom-Absolventinnen und -Absolventen zu finden, seien sie nun promoviert oder nicht.

Peter Ritzmann: Ja, die Konkurrenz von Seiten der Wirtschaft und der Wissenschaft ist hier sehr gross. Die Schulen sollten daher mehr für ein gutes Image des Lehrberufs tun. Aber auch die Universitäten. Es sollte deutlicher werden, dass der Lehrberuf Anforderungen stellt, denen eigentlich nur die besonders guten Studierenden genügen. Es darf nicht sein, dass Studierende die Option Lehrberuf als Notlösung für den Fall ansehen, dass sie keine passende Anstellung finden. Das bedeutet eine Abwertung der Schule als Arbeitsfeld, die sie nicht verdient hat.

Daniel Müller Nielaba: Ich sehe in diesem Punkt auch eine gewisse Mitverantwortung der Universitäten. Es gibt eine Fama, die da lautet, brillante Professoren beschäftigten sich hauptsächlich mit ihrer Forschung, mittelmässige und schlechte dagegen kümmerten sich um zukünftige Lehrkräfte und den Kontakt zu den Gymnasien. Das ist eine Vorstellung, die mit nichts den Gegebenheiten entspricht und für das Image des Lehrberufs ziemlich katastrophal ist.

Was kann man tun, um das Image des Lehrberufs zu verbessern?

Perer Ritzmann: Talentierte Köpfe begeistern sich dann für die Unterrichtstätigkeit, wenn sie sich von ihren Schulleitungen unterstützt fühlen und wissen, dass man ihnen vertraut und sie in einer Klasse wissenschaftliche Akzente setzen, Schwerpunkt- oder Fokuskurse durchführen, mit Schülergruppen ans Limit gehen können – oder darüber hinaus. Es ist viel getan, wenn sichtbar wird, dass die Gymnasien ein attraktives Umfeld für wissenschaftlich interessierte Leute sind, die sich weiterentwickeln wollen.

Daniel Müller Nielaba: Ich sehe in diesem Punkt nicht nur die Schulen und Universitäten in der Verantwortung, sondern auch die Erziehungspolitik. Sie sollte sich davor hüten, die Lehrpläne zu standardisieren. Damit vergrault man talentierte Lehrpersonen. Wenn wir uns wünschen, dass die besten Absolventinnen und Absolventen der Universität im Schuldienst einen sinnvollen, interessanten und perspektivreichen Beruf sehen, dann muss man ihnen das Gefühl geben, dass ihre Ideen, ihre wissenschaftliche Kompetenz und ihr Gestaltungswille am Gymnasium erwünscht sind.